Klumpen gleichsam organischer Bausteine daliegt, aus denen der Wunderbau des kindlichen Leibes nun werden mag. Die lebendigen Bausteine lagern sich zu Schichten aufeinander, aus jeder dieser Schichten werden bestimmte Organe und Ordnungen von Organen. Das krümmt sich, faltet sich, gruppiert sich wie in einem rechten Hexenkessel, dem ein Homunkulus entsteigen soll. Auf einmal ist ein Rückenmark da, ein Kopf, Augen, Beine. Eine Zeitlang zeigt sich im Ganzen noch eine ge¬ schwänzte Mißgestalt, aus der recht wohl auch ein Schwein oder Hase werden könnte. Dann geht auch das vorüber und nun ist's endlich wirklich ein possierlich kleines, aber waschechtes Menschlein, das bloß noch eine gewisse Größe und Schwere zu erreichen braucht, um, unter jähem Losreißen aller körper¬ lichen Verknüpfungen mit der Mutter, aus der Öffnung der Gebärmutter und schließlich der des ganzen weiblichen Körpers nach außen an die freie Luft befördert zu werden. Diese "Geburt" vollendet im Grunde nur, was die "Zeugung" ent¬ scheidend begonnen hat: die Schaffung eines neuen, selbständig lebensfähigen Menschen.
[Abbildung]
Wissen mußt du zu dem ganzen Vorgange nur noch eins.
Ich sagte dir, das weibliche Ei wie das männliche Samen¬ tierchen stellten jedes ein kleines lebendiges "Stückchen" dar, das von dem lebendigen weiblichen oder männlichen Leibe los¬ gerissen würde. Die Wissenschaft definiert das in ihrer Sprache etwas genauer, indem sie ein Wort anwendet, das uns noch öfter in diesen Betrachtungen begegnen wird. Sie sagt: das Ei wie das Samentierchen stellen je eine einzige lebendige, vom elterlichen Organismus losgelöste "Zelle" dar.
Dazu ist nun nötig, daß du dir eine ziemlich einfache, in unsere konventionelle Allgemeinbildung aber noch nicht über¬ gegangene naturgeschichtliche Sache vergegenwärtigst.
Klumpen gleichſam organiſcher Bauſteine daliegt, aus denen der Wunderbau des kindlichen Leibes nun werden mag. Die lebendigen Bauſteine lagern ſich zu Schichten aufeinander, aus jeder dieſer Schichten werden beſtimmte Organe und Ordnungen von Organen. Das krümmt ſich, faltet ſich, gruppiert ſich wie in einem rechten Hexenkeſſel, dem ein Homunkulus entſteigen ſoll. Auf einmal iſt ein Rückenmark da, ein Kopf, Augen, Beine. Eine Zeitlang zeigt ſich im Ganzen noch eine ge¬ ſchwänzte Mißgeſtalt, aus der recht wohl auch ein Schwein oder Haſe werden könnte. Dann geht auch das vorüber und nun iſt's endlich wirklich ein poſſierlich kleines, aber waſchechtes Menſchlein, das bloß noch eine gewiſſe Größe und Schwere zu erreichen braucht, um, unter jähem Losreißen aller körper¬ lichen Verknüpfungen mit der Mutter, aus der Öffnung der Gebärmutter und ſchließlich der des ganzen weiblichen Körpers nach außen an die freie Luft befördert zu werden. Dieſe „Geburt“ vollendet im Grunde nur, was die „Zeugung“ ent¬ ſcheidend begonnen hat: die Schaffung eines neuen, ſelbſtändig lebensfähigen Menſchen.
[Abbildung]
Wiſſen mußt du zu dem ganzen Vorgange nur noch eins.
Ich ſagte dir, das weibliche Ei wie das männliche Samen¬ tierchen ſtellten jedes ein kleines lebendiges „Stückchen“ dar, das von dem lebendigen weiblichen oder männlichen Leibe los¬ geriſſen würde. Die Wiſſenſchaft definiert das in ihrer Sprache etwas genauer, indem ſie ein Wort anwendet, das uns noch öfter in dieſen Betrachtungen begegnen wird. Sie ſagt: das Ei wie das Samentierchen ſtellen je eine einzige lebendige, vom elterlichen Organismus losgelöſte „Zelle“ dar.
Dazu iſt nun nötig, daß du dir eine ziemlich einfache, in unſere konventionelle Allgemeinbildung aber noch nicht über¬ gegangene naturgeſchichtliche Sache vergegenwärtigſt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0073"n="57"/>
Klumpen gleichſam organiſcher Bauſteine daliegt, aus denen<lb/>
der Wunderbau des kindlichen Leibes nun werden mag. Die<lb/>
lebendigen Bauſteine lagern ſich zu Schichten aufeinander, aus<lb/>
jeder dieſer Schichten werden beſtimmte Organe und Ordnungen<lb/>
von Organen. Das krümmt ſich, faltet ſich, gruppiert ſich wie<lb/>
in einem rechten Hexenkeſſel, dem ein Homunkulus entſteigen<lb/>ſoll. Auf einmal iſt ein Rückenmark da, ein Kopf, Augen,<lb/>
Beine. Eine Zeitlang zeigt ſich im Ganzen noch eine ge¬<lb/>ſchwänzte Mißgeſtalt, aus der recht wohl auch ein Schwein<lb/>
oder Haſe werden könnte. Dann geht auch das vorüber und<lb/>
nun iſt's endlich wirklich ein poſſierlich kleines, aber waſchechtes<lb/>
Menſchlein, das bloß noch eine gewiſſe Größe und Schwere<lb/>
zu erreichen braucht, um, unter jähem Losreißen aller körper¬<lb/>
lichen Verknüpfungen mit der Mutter, aus der Öffnung der<lb/>
Gebärmutter und ſchließlich der des ganzen weiblichen Körpers<lb/>
nach außen an die freie Luft befördert zu werden. Dieſe<lb/>„Geburt“ vollendet im Grunde nur, was die „Zeugung“ ent¬<lb/>ſcheidend begonnen hat: die Schaffung eines neuen, ſelbſtändig<lb/>
lebensfähigen Menſchen.</p><lb/><figure/><p>Wiſſen mußt du zu dem ganzen Vorgange nur noch eins.</p><lb/><p>Ich ſagte dir, das weibliche Ei wie das männliche Samen¬<lb/>
tierchen ſtellten jedes ein kleines lebendiges „Stückchen“ dar,<lb/>
das von dem lebendigen weiblichen oder männlichen Leibe los¬<lb/>
geriſſen würde. Die Wiſſenſchaft definiert das in ihrer Sprache<lb/>
etwas genauer, indem ſie ein Wort anwendet, das uns noch<lb/>
öfter in dieſen Betrachtungen begegnen wird. Sie ſagt: das<lb/>
Ei wie das Samentierchen ſtellen je eine einzige lebendige, vom<lb/>
elterlichen Organismus losgelöſte „Zelle“ dar.</p><lb/><p>Dazu iſt nun nötig, daß du dir eine ziemlich einfache, in<lb/>
unſere konventionelle Allgemeinbildung aber noch nicht über¬<lb/>
gegangene naturgeſchichtliche Sache vergegenwärtigſt.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[57/0073]
Klumpen gleichſam organiſcher Bauſteine daliegt, aus denen
der Wunderbau des kindlichen Leibes nun werden mag. Die
lebendigen Bauſteine lagern ſich zu Schichten aufeinander, aus
jeder dieſer Schichten werden beſtimmte Organe und Ordnungen
von Organen. Das krümmt ſich, faltet ſich, gruppiert ſich wie
in einem rechten Hexenkeſſel, dem ein Homunkulus entſteigen
ſoll. Auf einmal iſt ein Rückenmark da, ein Kopf, Augen,
Beine. Eine Zeitlang zeigt ſich im Ganzen noch eine ge¬
ſchwänzte Mißgeſtalt, aus der recht wohl auch ein Schwein
oder Haſe werden könnte. Dann geht auch das vorüber und
nun iſt's endlich wirklich ein poſſierlich kleines, aber waſchechtes
Menſchlein, das bloß noch eine gewiſſe Größe und Schwere
zu erreichen braucht, um, unter jähem Losreißen aller körper¬
lichen Verknüpfungen mit der Mutter, aus der Öffnung der
Gebärmutter und ſchließlich der des ganzen weiblichen Körpers
nach außen an die freie Luft befördert zu werden. Dieſe
„Geburt“ vollendet im Grunde nur, was die „Zeugung“ ent¬
ſcheidend begonnen hat: die Schaffung eines neuen, ſelbſtändig
lebensfähigen Menſchen.
[Abbildung]
Wiſſen mußt du zu dem ganzen Vorgange nur noch eins.
Ich ſagte dir, das weibliche Ei wie das männliche Samen¬
tierchen ſtellten jedes ein kleines lebendiges „Stückchen“ dar,
das von dem lebendigen weiblichen oder männlichen Leibe los¬
geriſſen würde. Die Wiſſenſchaft definiert das in ihrer Sprache
etwas genauer, indem ſie ein Wort anwendet, das uns noch
öfter in dieſen Betrachtungen begegnen wird. Sie ſagt: das
Ei wie das Samentierchen ſtellen je eine einzige lebendige, vom
elterlichen Organismus losgelöſte „Zelle“ dar.
Dazu iſt nun nötig, daß du dir eine ziemlich einfache, in
unſere konventionelle Allgemeinbildung aber noch nicht über¬
gegangene naturgeſchichtliche Sache vergegenwärtigſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/73>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.