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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Neben dem Bienenstaat stehen noch zwei ausgesprochen
große Anläufe der Insektenwelt zum Staatsbau. Beide mehr
oder minder ebenfalls "Liebesstaaten". Und beide als solche
ebenso unfruchtbar.

Der eine ist der Ameisenstaat. Im Gegensatz zum Bienen¬
staat fehlt ihm auch der letzte Schein monarchischer Verfassung.
Im übrigen wie dort dreierlei Staatsbürger: Männchen,
Weibchen und im Geschlecht absolut verkümmerte "Arbeiter".
Oft teilen sich die Arbeiter noch wieder in echte kinderpflegende
Arbeiter und großköpfige, wehrhafte Soldaten. Doch das ist
für die Liebesfrage nebensächlich. Es bleibt auch hier der
ganz grelle Kontrast der Individuen. Männchen, deren ganze
Kulturaufgabe (und du stehst mit solchem Insektenstaat schon
in einer gewissen "Kultur", zweifellos) sich auf den einen
Begattungsmoment konzentriert, und Weibchen, die schlechter¬
dings nichts thun als sich begatten lassen und Eier legen.
Schließlich doch ein Haremsdasein für beide Parteien. Und
die ganze eigentliche Staatsarbeit in der Hand von lebens¬
länglichen natürlichen Eunuchen, denen die Liebe eine absolut
fremde Welt bleibt.

Der zweite Fall ist der Staat der sogenannten Termiten.
Du kennst die schwarzen Gesellen in deiner Speisenkammer, die
man Kakerlaken, Schwaben oder Russen nennt. Die Hausfrau
pflegt sie für "Käfer" zu halten. Aber es sind keine Käfer,
wenn sie auch Insekten gleich diesen sind. Sie bilden eine
Insektengruppe, die den Ohrwürmern und Heuschrecken näher
steht als den Käfern. Neben diesen Schwaben magst du dir
jetzt auch die Termiten einreihen, ameisenähnliche Tiere, die
doch so wenig Ameisen sind, wie die Schwaben Käfer. Du
hast von den Termitenbauten der Tropen gehört, Kolossen, wie
sie keine Ameise je baut. Hier haust der Termitenstaat. Und
wieder ist's ein Liebesstaat. Begattende Männchen. Eine eier¬
legende "Königin", die in der Vollkraft, wenn sie von Eiern
strotzt, wie eine kleine Kartoffel schwillt. Und zweierlei absolut

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Neben dem Bienenſtaat ſtehen noch zwei ausgeſprochen
große Anläufe der Inſektenwelt zum Staatsbau. Beide mehr
oder minder ebenfalls „Liebesſtaaten“. Und beide als ſolche
ebenſo unfruchtbar.

Der eine iſt der Ameiſenſtaat. Im Gegenſatz zum Bienen¬
ſtaat fehlt ihm auch der letzte Schein monarchiſcher Verfaſſung.
Im übrigen wie dort dreierlei Staatsbürger: Männchen,
Weibchen und im Geſchlecht abſolut verkümmerte „Arbeiter“.
Oft teilen ſich die Arbeiter noch wieder in echte kinderpflegende
Arbeiter und großköpfige, wehrhafte Soldaten. Doch das iſt
für die Liebesfrage nebenſächlich. Es bleibt auch hier der
ganz grelle Kontraſt der Individuen. Männchen, deren ganze
Kulturaufgabe (und du ſtehſt mit ſolchem Inſektenſtaat ſchon
in einer gewiſſen „Kultur“, zweifellos) ſich auf den einen
Begattungsmoment konzentriert, und Weibchen, die ſchlechter¬
dings nichts thun als ſich begatten laſſen und Eier legen.
Schließlich doch ein Haremsdaſein für beide Parteien. Und
die ganze eigentliche Staatsarbeit in der Hand von lebens¬
länglichen natürlichen Eunuchen, denen die Liebe eine abſolut
fremde Welt bleibt.

Der zweite Fall iſt der Staat der ſogenannten Termiten.
Du kennſt die ſchwarzen Geſellen in deiner Speiſenkammer, die
man Kakerlaken, Schwaben oder Ruſſen nennt. Die Hausfrau
pflegt ſie für „Käfer“ zu halten. Aber es ſind keine Käfer,
wenn ſie auch Inſekten gleich dieſen ſind. Sie bilden eine
Inſektengruppe, die den Ohrwürmern und Heuſchrecken näher
ſteht als den Käfern. Neben dieſen Schwaben magſt du dir
jetzt auch die Termiten einreihen, ameiſenähnliche Tiere, die
doch ſo wenig Ameiſen ſind, wie die Schwaben Käfer. Du
haſt von den Termitenbauten der Tropen gehört, Koloſſen, wie
ſie keine Ameiſe je baut. Hier hauſt der Termitenſtaat. Und
wieder iſt's ein Liebesſtaat. Begattende Männchen. Eine eier¬
legende „Königin“, die in der Vollkraft, wenn ſie von Eiern
ſtrotzt, wie eine kleine Kartoffel ſchwillt. Und zweierlei abſolut

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[401/0417] Neben dem Bienenſtaat ſtehen noch zwei ausgeſprochen große Anläufe der Inſektenwelt zum Staatsbau. Beide mehr oder minder ebenfalls „Liebesſtaaten“. Und beide als ſolche ebenſo unfruchtbar. Der eine iſt der Ameiſenſtaat. Im Gegenſatz zum Bienen¬ ſtaat fehlt ihm auch der letzte Schein monarchiſcher Verfaſſung. Im übrigen wie dort dreierlei Staatsbürger: Männchen, Weibchen und im Geſchlecht abſolut verkümmerte „Arbeiter“. Oft teilen ſich die Arbeiter noch wieder in echte kinderpflegende Arbeiter und großköpfige, wehrhafte Soldaten. Doch das iſt für die Liebesfrage nebenſächlich. Es bleibt auch hier der ganz grelle Kontraſt der Individuen. Männchen, deren ganze Kulturaufgabe (und du ſtehſt mit ſolchem Inſektenſtaat ſchon in einer gewiſſen „Kultur“, zweifellos) ſich auf den einen Begattungsmoment konzentriert, und Weibchen, die ſchlechter¬ dings nichts thun als ſich begatten laſſen und Eier legen. Schließlich doch ein Haremsdaſein für beide Parteien. Und die ganze eigentliche Staatsarbeit in der Hand von lebens¬ länglichen natürlichen Eunuchen, denen die Liebe eine abſolut fremde Welt bleibt. Der zweite Fall iſt der Staat der ſogenannten Termiten. Du kennſt die ſchwarzen Geſellen in deiner Speiſenkammer, die man Kakerlaken, Schwaben oder Ruſſen nennt. Die Hausfrau pflegt ſie für „Käfer“ zu halten. Aber es ſind keine Käfer, wenn ſie auch Inſekten gleich dieſen ſind. Sie bilden eine Inſektengruppe, die den Ohrwürmern und Heuſchrecken näher ſteht als den Käfern. Neben dieſen Schwaben magſt du dir jetzt auch die Termiten einreihen, ameiſenähnliche Tiere, die doch ſo wenig Ameiſen ſind, wie die Schwaben Käfer. Du haſt von den Termitenbauten der Tropen gehört, Koloſſen, wie ſie keine Ameiſe je baut. Hier hauſt der Termitenſtaat. Und wieder iſt's ein Liebesſtaat. Begattende Männchen. Eine eier¬ legende „Königin“, die in der Vollkraft, wenn ſie von Eiern ſtrotzt, wie eine kleine Kartoffel ſchwillt. Und zweierlei abſolut 26

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/417>, abgerufen am 28.11.2024.