Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

junge Vestalinnenmade da. Was nun? Da haben die anderen
Vestalinnen halt in letzter Not einfach eine erwachsene Vestalin
gewählt, systematisch eine Weile dick herausgefüttert und noch
nachträglich wirklich wenigstens soweit gebracht, daß sie, gleichsam
überheizt wie ein Mensch, den man auf rohe Eier, Schabe¬
fleisch, Tokayer und Paprika setzt, endlich doch noch ihren
Eierstock zur Eierproduktion gepreßt hat. Freilich gab's nur
Drohneneier, da eine Begattungstasche sich auch so nicht mehr
entwickeln wollte. Aber der Fall stellt an sich alles zu genüge
klar: das "Künstliche" der Vestalin, das unter Umständen selbst
bei ihrem ausgewachsenen Zustande noch einer Diätänderung
bis zu gewissem Grade wieder weicht .....

Du siehst aber jetzt auch schon: die wirkliche Bienen¬
geschichte fällt vollständig mit unserem angenommenen Fall
oben zusammen. Ein echter Begattungsakt am Anfang zwischen
Mann und Weib: Drohne und Königin. Aus diesem Be¬
gattungsakt aber erwachsend nicht eine Generation mit Neben¬
einander männlicher und weiblicher Geburten. Sondern zwei
Generationen mit nacheinander wechselndem Geschlecht: eine
weibliche Bienenkönigin, die ohne Neubefruchtung noch einmal
männliche Drohnen aus sich erzeugt. Eine einfache Kompli¬
kation ohne grundlegenden Eingriff giebt dann hier wie dort
bloß noch die Thatsache, daß dieselbe Königin noch ehe sie per
Parthenogenesis oder "Jungfernzeugung", also ohne Neu¬
begattung, Männer erzeugt hat, auch noch sich von neuem hat
begatten lassen und aus dieser Begattung heraus, abermals teils
echte fruchtbare Bienenköniginnen, teils verkümmerte, aber im
Prinzip doch auch weibliche Vestalinnen erzeugt.

Jedenfalls verliert der wunderbare "Jungfernakt" der
Drohnenzeugung, wenn du ihn so anschaust, wenigstens etwas
von seinem schlechtweg Paradoxen und Umstürzlerischen. Das
Begattungsprinzip mit seinem alten Rezept aus Samenzelle
und Eizelle erscheint nicht umgeworfen damit -- du siehst ja,
wie verflixt nötig die Begattung doch immer und immer wieder

25

junge Veſtalinnenmade da. Was nun? Da haben die anderen
Veſtalinnen halt in letzter Not einfach eine erwachſene Veſtalin
gewählt, ſyſtematiſch eine Weile dick herausgefüttert und noch
nachträglich wirklich wenigſtens ſoweit gebracht, daß ſie, gleichſam
überheizt wie ein Menſch, den man auf rohe Eier, Schabe¬
fleiſch, Tokayer und Paprika ſetzt, endlich doch noch ihren
Eierſtock zur Eierproduktion gepreßt hat. Freilich gab's nur
Drohneneier, da eine Begattungstaſche ſich auch ſo nicht mehr
entwickeln wollte. Aber der Fall ſtellt an ſich alles zu genüge
klar: das „Künſtliche“ der Veſtalin, das unter Umſtänden ſelbſt
bei ihrem ausgewachſenen Zuſtande noch einer Diätänderung
bis zu gewiſſem Grade wieder weicht .....

Du ſiehſt aber jetzt auch ſchon: die wirkliche Bienen¬
geſchichte fällt vollſtändig mit unſerem angenommenen Fall
oben zuſammen. Ein echter Begattungsakt am Anfang zwiſchen
Mann und Weib: Drohne und Königin. Aus dieſem Be¬
gattungsakt aber erwachſend nicht eine Generation mit Neben¬
einander männlicher und weiblicher Geburten. Sondern zwei
Generationen mit nacheinander wechſelndem Geſchlecht: eine
weibliche Bienenkönigin, die ohne Neubefruchtung noch einmal
männliche Drohnen aus ſich erzeugt. Eine einfache Kompli¬
kation ohne grundlegenden Eingriff giebt dann hier wie dort
bloß noch die Thatſache, daß dieſelbe Königin noch ehe ſie per
Parthenogeneſis oder „Jungfernzeugung“, alſo ohne Neu¬
begattung, Männer erzeugt hat, auch noch ſich von neuem hat
begatten laſſen und aus dieſer Begattung heraus, abermals teils
echte fruchtbare Bienenköniginnen, teils verkümmerte, aber im
Prinzip doch auch weibliche Veſtalinnen erzeugt.

Jedenfalls verliert der wunderbare „Jungfernakt“ der
Drohnenzeugung, wenn du ihn ſo anſchauſt, wenigſtens etwas
von ſeinem ſchlechtweg Paradoxen und Umſtürzleriſchen. Das
Begattungsprinzip mit ſeinem alten Rezept aus Samenzelle
und Eizelle erſcheint nicht umgeworfen damit — du ſiehſt ja,
wie verflixt nötig die Begattung doch immer und immer wieder

25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0401" n="385"/>
junge Ve&#x017F;talinnenmade da. Was nun? Da haben die anderen<lb/>
Ve&#x017F;talinnen halt in letzter Not einfach eine <hi rendition="#g">erwach&#x017F;ene</hi> Ve&#x017F;talin<lb/>
gewählt, &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch eine Weile dick herausgefüttert und noch<lb/>
nachträglich wirklich wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">&#x017F;oweit</hi> gebracht, daß &#x017F;ie, gleich&#x017F;am<lb/>
überheizt wie ein Men&#x017F;ch, den man auf rohe Eier, Schabe¬<lb/>
flei&#x017F;ch, Tokayer und Paprika &#x017F;etzt, endlich doch noch ihren<lb/>
Eier&#x017F;tock zur Eierproduktion gepreßt hat. Freilich gab's nur<lb/>
Drohneneier, da eine Begattungsta&#x017F;che &#x017F;ich auch &#x017F;o nicht mehr<lb/>
entwickeln wollte. Aber der Fall &#x017F;tellt an &#x017F;ich alles zu genüge<lb/>
klar: das &#x201E;Kün&#x017F;tliche&#x201C; der Ve&#x017F;talin, das unter Um&#x017F;tänden &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
bei ihrem ausgewach&#x017F;enen Zu&#x017F;tande noch einer Diätänderung<lb/>
bis zu gewi&#x017F;&#x017F;em Grade wieder weicht .....</p><lb/>
        <p>Du &#x017F;ieh&#x017F;t aber jetzt auch &#x017F;chon: die wirkliche Bienen¬<lb/>
ge&#x017F;chichte fällt voll&#x017F;tändig mit un&#x017F;erem angenommenen Fall<lb/>
oben zu&#x017F;ammen. Ein echter Begattungsakt am Anfang zwi&#x017F;chen<lb/>
Mann und Weib: Drohne und Königin. Aus die&#x017F;em Be¬<lb/>
gattungsakt aber erwach&#x017F;end nicht <hi rendition="#g">eine</hi> Generation mit Neben¬<lb/>
einander männlicher und weiblicher Geburten. Sondern zwei<lb/>
Generationen mit nacheinander wech&#x017F;elndem Ge&#x017F;chlecht: eine<lb/>
weibliche Bienenkönigin, die ohne Neubefruchtung noch einmal<lb/>
männliche Drohnen aus &#x017F;ich erzeugt. Eine einfache Kompli¬<lb/>
kation ohne grundlegenden Eingriff giebt dann hier wie dort<lb/>
bloß noch die That&#x017F;ache, daß die&#x017F;elbe Königin noch ehe &#x017F;ie per<lb/>
Parthenogene&#x017F;is oder &#x201E;Jungfernzeugung&#x201C;, al&#x017F;o ohne Neu¬<lb/>
begattung, Männer erzeugt hat, <hi rendition="#g">auch</hi> noch &#x017F;ich von neuem hat<lb/>
begatten la&#x017F;&#x017F;en und aus die&#x017F;er Begattung heraus, abermals teils<lb/>
echte fruchtbare Bienenköniginnen, teils verkümmerte, aber im<lb/>
Prinzip doch auch weibliche Ve&#x017F;talinnen erzeugt.</p><lb/>
        <p>Jedenfalls verliert der wunderbare &#x201E;Jungfernakt&#x201C; der<lb/>
Drohnenzeugung, wenn du ihn &#x017F;o an&#x017F;chau&#x017F;t, wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">etwas</hi><lb/>
von &#x017F;einem &#x017F;chlechtweg Paradoxen und Um&#x017F;türzleri&#x017F;chen. Das<lb/>
Begattungsprinzip mit &#x017F;einem alten Rezept aus Samenzelle<lb/>
und Eizelle er&#x017F;cheint nicht umgeworfen damit &#x2014; du &#x017F;ieh&#x017F;t ja,<lb/>
wie verflixt nötig die Begattung doch immer und immer wieder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">25<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0401] junge Veſtalinnenmade da. Was nun? Da haben die anderen Veſtalinnen halt in letzter Not einfach eine erwachſene Veſtalin gewählt, ſyſtematiſch eine Weile dick herausgefüttert und noch nachträglich wirklich wenigſtens ſoweit gebracht, daß ſie, gleichſam überheizt wie ein Menſch, den man auf rohe Eier, Schabe¬ fleiſch, Tokayer und Paprika ſetzt, endlich doch noch ihren Eierſtock zur Eierproduktion gepreßt hat. Freilich gab's nur Drohneneier, da eine Begattungstaſche ſich auch ſo nicht mehr entwickeln wollte. Aber der Fall ſtellt an ſich alles zu genüge klar: das „Künſtliche“ der Veſtalin, das unter Umſtänden ſelbſt bei ihrem ausgewachſenen Zuſtande noch einer Diätänderung bis zu gewiſſem Grade wieder weicht ..... Du ſiehſt aber jetzt auch ſchon: die wirkliche Bienen¬ geſchichte fällt vollſtändig mit unſerem angenommenen Fall oben zuſammen. Ein echter Begattungsakt am Anfang zwiſchen Mann und Weib: Drohne und Königin. Aus dieſem Be¬ gattungsakt aber erwachſend nicht eine Generation mit Neben¬ einander männlicher und weiblicher Geburten. Sondern zwei Generationen mit nacheinander wechſelndem Geſchlecht: eine weibliche Bienenkönigin, die ohne Neubefruchtung noch einmal männliche Drohnen aus ſich erzeugt. Eine einfache Kompli¬ kation ohne grundlegenden Eingriff giebt dann hier wie dort bloß noch die Thatſache, daß dieſelbe Königin noch ehe ſie per Parthenogeneſis oder „Jungfernzeugung“, alſo ohne Neu¬ begattung, Männer erzeugt hat, auch noch ſich von neuem hat begatten laſſen und aus dieſer Begattung heraus, abermals teils echte fruchtbare Bienenköniginnen, teils verkümmerte, aber im Prinzip doch auch weibliche Veſtalinnen erzeugt. Jedenfalls verliert der wunderbare „Jungfernakt“ der Drohnenzeugung, wenn du ihn ſo anſchauſt, wenigſtens etwas von ſeinem ſchlechtweg Paradoxen und Umſtürzleriſchen. Das Begattungsprinzip mit ſeinem alten Rezept aus Samenzelle und Eizelle erſcheint nicht umgeworfen damit — du ſiehſt ja, wie verflixt nötig die Begattung doch immer und immer wieder 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/401
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/401>, abgerufen am 22.11.2024.