Ich denke, du hast selber bei der ganzen Historia schon etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tausende beständig neu auftauchender Vestalinnen sind Kinder der konsequenten weiblichen Geschlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das ist begriffen. Den Mannessamen zu ihrer ungeheuerlichen Massen¬ produktion haben dieser Königin die Drohnen geliefert. Gut, das sei auch klar, wenn es auch etwas summarisch geschah. Aber nun eine folgerichtig neue Gewissensfrage. Woher stammt ursprünglich die Königin? Woher stammen die Drohnenpapas, deren Existenz einfach schon im Frühjahr vorausgesetzt wurde? Und woher endlich stammte die erste Generation von Vesta¬ linnen? Denn du verstehst: eine solche Generation muß da gewesen sein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit Erfolg einsetzen konnte. Diese erste Generation muß zunächst die Kinderzellchen gebaut haben, in die unsere gute Frau ihre Eier legen sollte. Und, als dann die erste Eierlage da war, muß sie die auskriechende erste Ration hilfloser Würmchen auf¬ gefüttert haben, -- andernfalls wäre der ganze hübsche Mechanis¬ mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.
Um diese drei neuen Fragen zu lösen, müßten wir von Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in dieser Wunderwelt verschlägt's auch nichts, wenn wir einfach vorwärts schreiten. Die Schlange beißt sich wieder in den Schweif, wie das Jahr selber, das, vom Frühling kommend, über Sommer, Herbst und Winter doch wieder auf den Früh¬ ling ausläuft.
Also geradeaus im Text. Gegen den Herbst hin giebt's im Bienenstock zunächst furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Vestalinnen totgeschlagen. Brutal werden sie überfallen, gejagt, aus¬ gehungert, erstochen. Nur fort damit! Es ist wie ein plötz¬ licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem
Ich denke, du haſt ſelber bei der ganzen Hiſtoria ſchon etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tauſende beſtändig neu auftauchender Veſtalinnen ſind Kinder der konſequenten weiblichen Geſchlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das iſt begriffen. Den Mannesſamen zu ihrer ungeheuerlichen Maſſen¬ produktion haben dieſer Königin die Drohnen geliefert. Gut, das ſei auch klar, wenn es auch etwas ſummariſch geſchah. Aber nun eine folgerichtig neue Gewiſſensfrage. Woher ſtammt urſprünglich die Königin? Woher ſtammen die Drohnenpapas, deren Exiſtenz einfach ſchon im Frühjahr vorausgeſetzt wurde? Und woher endlich ſtammte die erſte Generation von Veſta¬ linnen? Denn du verſtehſt: eine ſolche Generation muß da geweſen ſein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit Erfolg einſetzen konnte. Dieſe erſte Generation muß zunächſt die Kinderzellchen gebaut haben, in die unſere gute Frau ihre Eier legen ſollte. Und, als dann die erſte Eierlage da war, muß ſie die auskriechende erſte Ration hilfloſer Würmchen auf¬ gefüttert haben, — andernfalls wäre der ganze hübſche Mechanis¬ mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.
Um dieſe drei neuen Fragen zu löſen, müßten wir von Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in dieſer Wunderwelt verſchlägt's auch nichts, wenn wir einfach vorwärts ſchreiten. Die Schlange beißt ſich wieder in den Schweif, wie das Jahr ſelber, das, vom Frühling kommend, über Sommer, Herbſt und Winter doch wieder auf den Früh¬ ling ausläuft.
Alſo geradeaus im Text. Gegen den Herbſt hin giebt's im Bienenſtock zunächſt furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Veſtalinnen totgeſchlagen. Brutal werden ſie überfallen, gejagt, aus¬ gehungert, erſtochen. Nur fort damit! Es iſt wie ein plötz¬ licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0390"n="374"/><p>Ich denke, du haſt ſelber bei der ganzen Hiſtoria ſchon<lb/>
etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich<lb/>
nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tauſende beſtändig<lb/>
neu auftauchender Veſtalinnen ſind Kinder der konſequenten<lb/>
weiblichen Geſchlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das iſt<lb/>
begriffen. Den Mannesſamen zu ihrer ungeheuerlichen Maſſen¬<lb/>
produktion haben dieſer Königin die Drohnen geliefert. Gut,<lb/>
das ſei auch klar, wenn es auch etwas ſummariſch geſchah.<lb/>
Aber nun eine folgerichtig neue Gewiſſensfrage. Woher ſtammt<lb/>
urſprünglich die Königin? Woher ſtammen die Drohnenpapas,<lb/>
deren Exiſtenz einfach ſchon im Frühjahr vorausgeſetzt wurde?<lb/>
Und woher endlich ſtammte die <hirendition="#g">erſte</hi> Generation von Veſta¬<lb/>
linnen? Denn du verſtehſt: <hirendition="#g">eine</hi>ſolche Generation muß da<lb/>
geweſen ſein, <hirendition="#g">ehe</hi> überhaupt die Eierlegerei der Königin mit<lb/>
Erfolg einſetzen konnte. Dieſe erſte Generation muß zunächſt<lb/>
die Kinderzellchen gebaut haben, in die unſere gute Frau ihre<lb/>
Eier legen ſollte. Und, als dann die erſte Eierlage da war,<lb/>
muß ſie die auskriechende erſte Ration hilfloſer Würmchen auf¬<lb/>
gefüttert haben, — andernfalls wäre der ganze hübſche Mechanis¬<lb/>
mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.</p><lb/><p>Um dieſe drei neuen Fragen zu löſen, müßten wir von<lb/>
Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in<lb/>
dieſer Wunderwelt verſchlägt's auch nichts, wenn wir einfach<lb/>
vorwärts ſchreiten. Die Schlange beißt ſich wieder in den<lb/>
Schweif, wie das Jahr ſelber, das, vom Frühling kommend,<lb/>
über Sommer, Herbſt und Winter doch wieder auf den Früh¬<lb/>
ling ausläuft.</p><lb/><p>Alſo geradeaus im Text. Gegen den Herbſt hin giebt's<lb/>
im Bienenſtock zunächſt furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen<lb/>
werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Veſtalinnen<lb/>
totgeſchlagen. Brutal werden ſie überfallen, gejagt, aus¬<lb/>
gehungert, erſtochen. Nur fort damit! Es iſt wie ein plötz¬<lb/>
licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock<lb/>
überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[374/0390]
Ich denke, du haſt ſelber bei der ganzen Hiſtoria ſchon
etwas zurückgeblinzelt nach einer neuen Frage hin. Nämlich
nach der Anfangsfrage im Ganzen. Die Tauſende beſtändig
neu auftauchender Veſtalinnen ſind Kinder der konſequenten
weiblichen Geſchlechtsbiene im Stock: der Königin. Gut, das iſt
begriffen. Den Mannesſamen zu ihrer ungeheuerlichen Maſſen¬
produktion haben dieſer Königin die Drohnen geliefert. Gut,
das ſei auch klar, wenn es auch etwas ſummariſch geſchah.
Aber nun eine folgerichtig neue Gewiſſensfrage. Woher ſtammt
urſprünglich die Königin? Woher ſtammen die Drohnenpapas,
deren Exiſtenz einfach ſchon im Frühjahr vorausgeſetzt wurde?
Und woher endlich ſtammte die erſte Generation von Veſta¬
linnen? Denn du verſtehſt: eine ſolche Generation muß da
geweſen ſein, ehe überhaupt die Eierlegerei der Königin mit
Erfolg einſetzen konnte. Dieſe erſte Generation muß zunächſt
die Kinderzellchen gebaut haben, in die unſere gute Frau ihre
Eier legen ſollte. Und, als dann die erſte Eierlage da war,
muß ſie die auskriechende erſte Ration hilfloſer Würmchen auf¬
gefüttert haben, — andernfalls wäre der ganze hübſche Mechanis¬
mus überhaupt von vornherein nie in Gang gekommen.
Um dieſe drei neuen Fragen zu löſen, müßten wir von
Rechtswegen jetzt rückwärts den Dingen nachgehen. Aber in
dieſer Wunderwelt verſchlägt's auch nichts, wenn wir einfach
vorwärts ſchreiten. Die Schlange beißt ſich wieder in den
Schweif, wie das Jahr ſelber, das, vom Frühling kommend,
über Sommer, Herbſt und Winter doch wieder auf den Früh¬
ling ausläuft.
Alſo geradeaus im Text. Gegen den Herbſt hin giebt's
im Bienenſtock zunächſt furchtbaren Krach. Die faulen Drohnen
werden in einer wahren Bartholomäusnacht von den Veſtalinnen
totgeſchlagen. Brutal werden ſie überfallen, gejagt, aus¬
gehungert, erſtochen. Nur fort damit! Es iſt wie ein plötz¬
licher Reinigungsteufel, der die fleißigen Jüngferchen im Stock
überkommt. Allerdings ein verflixt grober. Fort mit dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/390>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.