Wie ein Schleier sinkt es über das heitere Bild. Überall der Rausch von Liebe. Jeder Bienenbesuch in einer reifen Blüte ein Zeugungsfest. Allenthalben Käfer, Fliegen, Libellen sich findend, sich fassend, sich begattend. Der bunte Schmetter¬ ling ganz nur noch losgelöste Liebeselfe. In der blauen Luft wie ein einiger goldener Liebesstaub, -- stäubende Blüten, heiße begehrende Geschlechtsindividuen der Tiere. Und zwischen all das jetzt ein Schatten. Die liebste, regste, uns vertrauteste Schar, die Bienen: eine arme, traurige, graue Genossenschaft Enterbter, die an der Liebe nie teil hatten und nie teil haben werden ..... Aber jetzt ernstlicher noch die Frage:
wem sammeln sie? Wenn sie alle geschlechtslos sind, -- für welchen Nachwuchs, für Nachwuchs von wem? Wie geht ihr Geschlecht überhaupt weiter?
Gieb das Morden auf und folge einer der Vestalinnen, wie sie lebendig dahingeht. Sie hat genug eingeheimst. Hoch¬ bepackt erhebt sie sich und fliegt heim. Nahe dem grünen Zaun, wo wir das Spinnenpaar beobachtet haben, stehen die allbekannten Bienenkörbe, -- künstliche Wohnungen, die der Mensch der fleißigen Biene zum inneren Ausbau überlassen hat. Er ist zu ihr in ein ähnliches Verhältnis getreten, wie die Biene selbst zur stäubenden Blüte. Er leistet ihr nachdrücklich Hilfe im Rahmen ihrer Lebensbedürfnisse -- und zum Entgelt nimmt er ihr immerfort einen gewissen Überschuß ihrer Leistung in Gestalt schmackhaften Honigs für seine Privatzwecke fort.
Im Flugloch eines solchen Korbes verschwindet unsere be¬ packte Vestalin. Sie ist zu Hause. Zu Hause in einer Wunder¬ welt, die auch ihr Rätsel -- das Rätsel der armen Geschlechts¬ losen -- löst. Gegen dieses Naturmärchen ist eigentlich alles,
Wie ein Schleier ſinkt es über das heitere Bild. Überall der Rauſch von Liebe. Jeder Bienenbeſuch in einer reifen Blüte ein Zeugungsfeſt. Allenthalben Käfer, Fliegen, Libellen ſich findend, ſich faſſend, ſich begattend. Der bunte Schmetter¬ ling ganz nur noch losgelöſte Liebeselfe. In der blauen Luft wie ein einiger goldener Liebesſtaub, — ſtäubende Blüten, heiße begehrende Geſchlechtsindividuen der Tiere. Und zwiſchen all das jetzt ein Schatten. Die liebſte, regſte, uns vertrauteſte Schar, die Bienen: eine arme, traurige, graue Genoſſenſchaft Enterbter, die an der Liebe nie teil hatten und nie teil haben werden ..... Aber jetzt ernſtlicher noch die Frage:
wem ſammeln ſie? Wenn ſie alle geſchlechtslos ſind, — für welchen Nachwuchs, für Nachwuchs von wem? Wie geht ihr Geſchlecht überhaupt weiter?
Gieb das Morden auf und folge einer der Veſtalinnen, wie ſie lebendig dahingeht. Sie hat genug eingeheimſt. Hoch¬ bepackt erhebt ſie ſich und fliegt heim. Nahe dem grünen Zaun, wo wir das Spinnenpaar beobachtet haben, ſtehen die allbekannten Bienenkörbe, — künſtliche Wohnungen, die der Menſch der fleißigen Biene zum inneren Ausbau überlaſſen hat. Er iſt zu ihr in ein ähnliches Verhältnis getreten, wie die Biene ſelbſt zur ſtäubenden Blüte. Er leiſtet ihr nachdrücklich Hilfe im Rahmen ihrer Lebensbedürfniſſe — und zum Entgelt nimmt er ihr immerfort einen gewiſſen Überſchuß ihrer Leiſtung in Geſtalt ſchmackhaften Honigs für ſeine Privatzwecke fort.
Im Flugloch eines ſolchen Korbes verſchwindet unſere be¬ packte Veſtalin. Sie iſt zu Hauſe. Zu Hauſe in einer Wunder¬ welt, die auch ihr Rätſel — das Rätſel der armen Geſchlechts¬ loſen — löſt. Gegen dieſes Naturmärchen iſt eigentlich alles,
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Wie ein Schleier ſinkt es über das heitere Bild. Überall
der Rauſch von Liebe. Jeder Bienenbeſuch in einer reifen
Blüte ein Zeugungsfeſt. Allenthalben Käfer, Fliegen, Libellen
ſich findend, ſich faſſend, ſich begattend. Der bunte Schmetter¬
ling ganz nur noch losgelöſte Liebeselfe. In der blauen Luft
wie ein einiger goldener Liebesſtaub, — ſtäubende Blüten,
heiße begehrende Geſchlechtsindividuen der Tiere. Und zwiſchen
all das jetzt ein Schatten. Die liebſte, regſte, uns vertrauteſte
Schar, die Bienen: eine arme, traurige, graue Genoſſenſchaft
Enterbter, die an der Liebe nie teil hatten und nie teil
haben werden ..... Aber jetzt ernſtlicher noch die Frage:
wem ſammeln ſie? Wenn ſie alle geſchlechtslos ſind, — für
welchen Nachwuchs, für Nachwuchs von wem? Wie geht ihr
Geſchlecht überhaupt weiter?
Gieb das Morden auf und folge einer der Veſtalinnen,
wie ſie lebendig dahingeht. Sie hat genug eingeheimſt. Hoch¬
bepackt erhebt ſie ſich und fliegt heim. Nahe dem grünen
Zaun, wo wir das Spinnenpaar beobachtet haben, ſtehen die
allbekannten Bienenkörbe, — künſtliche Wohnungen, die der
Menſch der fleißigen Biene zum inneren Ausbau überlaſſen hat.
Er iſt zu ihr in ein ähnliches Verhältnis getreten, wie die
Biene ſelbſt zur ſtäubenden Blüte. Er leiſtet ihr nachdrücklich
Hilfe im Rahmen ihrer Lebensbedürfniſſe — und zum Entgelt
nimmt er ihr immerfort einen gewiſſen Überſchuß ihrer Leiſtung
in Geſtalt ſchmackhaften Honigs für ſeine Privatzwecke fort.
Im Flugloch eines ſolchen Korbes verſchwindet unſere be¬
packte Veſtalin. Sie iſt zu Hauſe. Zu Hauſe in einer Wunder¬
welt, die auch ihr Rätſel — das Rätſel der armen Geſchlechts¬
loſen — löſt. Gegen dieſes Naturmärchen iſt eigentlich alles,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/382>, abgerufen am 22.11.2024.
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