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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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So von allen Seiten zerbröckelt, schwindet die silberne
Insel endlich dahin. Über Millionen liebesfroher Individuen
ist es hereingebrochen wie ein Weltgericht. Aber der große,
dunkle Zweck ist erfüllt. Aus den befruchteten Eiern, um die
sich keiner von all den Angreifern gekümmert hat, wird ein
Heer winziger neuer Fischlein erstehen. Zu ihrer Zeit werden
sie wieder vom Ufer fort auf die Hochsee wandern. Bis auch
über sie in schwellender Reife die Sehnsucht kommt. Die
Sehnsucht, die sie an die Küste treibt, in die Liebe und in den
Opfertod. Und dann wird eine neue silberstrahlende Liebes¬
insel aus der schwarzen Tiefe tauchen .....

Auch dieser Hochzeitszug der Fische wiederholt sich seit
undeutlicher Zeit. Auch der Fisch ist viel, viel älter als der
Mensch. In seinem stieren Auge liegt ein Blick der Urwelt,
die den bunten Erdengarten noch ohne Menschen sah. Mehr
aber noch als das. Der Mensch war gar nicht möglich ohne
ihn. Erst mußte der Fisch sein, ehe der Mensch sich entwickeln
konnte. Jahrmillionen zurück: und der Mensch ist Fisch, ein
Urfisch verschollener Zeit, in dem nur erst die Anlage steckte,
dermaleinst ein Mensch zu werden.

In liebender Sehnsucht finden sich heute ein Mann und
Weib, -- im hellen Licht des neunzehnten Jahrhunderts, neun¬
zehn Jahrhunderte nach der Geburt des großen Reformators,
hinter dem es noch bergetief liegt an Geschichte der Menschheit
bis in die blutigen Nebel der ersten Anfänge zurück. Aus
den heißen Schauern dieser vollendeten Liebesminute erwächst
im Leibe der Frau ein Kind. Und nach so viel Jahrtausenden
der Zwischenzeit seit der ersten Menschwerdung auf Erden, nach
so viel Wandlungen des Geistes von dämmernder Ahnung bis
in die strahlende Erfüllung der Kultur: tief im Leibe der
schwangeren Mutter zeigt sich an dem eben keimenden Embryo
ein großes, bedeutsames Mysterium. Der reifende Keim wird,
ehe er Mensch wird, noch einmal Fisch. In der dunklen
Muttertiefe, wo weder Land ist noch Meer, zeigen sich an der

So von allen Seiten zerbröckelt, ſchwindet die ſilberne
Inſel endlich dahin. Über Millionen liebesfroher Individuen
iſt es hereingebrochen wie ein Weltgericht. Aber der große,
dunkle Zweck iſt erfüllt. Aus den befruchteten Eiern, um die
ſich keiner von all den Angreifern gekümmert hat, wird ein
Heer winziger neuer Fiſchlein erſtehen. Zu ihrer Zeit werden
ſie wieder vom Ufer fort auf die Hochſee wandern. Bis auch
über ſie in ſchwellender Reife die Sehnſucht kommt. Die
Sehnſucht, die ſie an die Küſte treibt, in die Liebe und in den
Opfertod. Und dann wird eine neue ſilberſtrahlende Liebes¬
inſel aus der ſchwarzen Tiefe tauchen .....

Auch dieſer Hochzeitszug der Fiſche wiederholt ſich ſeit
undeutlicher Zeit. Auch der Fiſch iſt viel, viel älter als der
Menſch. In ſeinem ſtieren Auge liegt ein Blick der Urwelt,
die den bunten Erdengarten noch ohne Menſchen ſah. Mehr
aber noch als das. Der Menſch war gar nicht möglich ohne
ihn. Erſt mußte der Fiſch ſein, ehe der Menſch ſich entwickeln
konnte. Jahrmillionen zurück: und der Menſch iſt Fiſch, ein
Urfiſch verſchollener Zeit, in dem nur erſt die Anlage ſteckte,
dermaleinſt ein Menſch zu werden.

In liebender Sehnſucht finden ſich heute ein Mann und
Weib, — im hellen Licht des neunzehnten Jahrhunderts, neun¬
zehn Jahrhunderte nach der Geburt des großen Reformators,
hinter dem es noch bergetief liegt an Geſchichte der Menſchheit
bis in die blutigen Nebel der erſten Anfänge zurück. Aus
den heißen Schauern dieſer vollendeten Liebesminute erwächſt
im Leibe der Frau ein Kind. Und nach ſo viel Jahrtauſenden
der Zwiſchenzeit ſeit der erſten Menſchwerdung auf Erden, nach
ſo viel Wandlungen des Geiſtes von dämmernder Ahnung bis
in die ſtrahlende Erfüllung der Kultur: tief im Leibe der
ſchwangeren Mutter zeigt ſich an dem eben keimenden Embryo
ein großes, bedeutſames Myſterium. Der reifende Keim wird,
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[22/0038] So von allen Seiten zerbröckelt, ſchwindet die ſilberne Inſel endlich dahin. Über Millionen liebesfroher Individuen iſt es hereingebrochen wie ein Weltgericht. Aber der große, dunkle Zweck iſt erfüllt. Aus den befruchteten Eiern, um die ſich keiner von all den Angreifern gekümmert hat, wird ein Heer winziger neuer Fiſchlein erſtehen. Zu ihrer Zeit werden ſie wieder vom Ufer fort auf die Hochſee wandern. Bis auch über ſie in ſchwellender Reife die Sehnſucht kommt. Die Sehnſucht, die ſie an die Küſte treibt, in die Liebe und in den Opfertod. Und dann wird eine neue ſilberſtrahlende Liebes¬ inſel aus der ſchwarzen Tiefe tauchen ..... Auch dieſer Hochzeitszug der Fiſche wiederholt ſich ſeit undeutlicher Zeit. Auch der Fiſch iſt viel, viel älter als der Menſch. In ſeinem ſtieren Auge liegt ein Blick der Urwelt, die den bunten Erdengarten noch ohne Menſchen ſah. Mehr aber noch als das. Der Menſch war gar nicht möglich ohne ihn. Erſt mußte der Fiſch ſein, ehe der Menſch ſich entwickeln konnte. Jahrmillionen zurück: und der Menſch iſt Fiſch, ein Urfiſch verſchollener Zeit, in dem nur erſt die Anlage ſteckte, dermaleinſt ein Menſch zu werden. In liebender Sehnſucht finden ſich heute ein Mann und Weib, — im hellen Licht des neunzehnten Jahrhunderts, neun¬ zehn Jahrhunderte nach der Geburt des großen Reformators, hinter dem es noch bergetief liegt an Geſchichte der Menſchheit bis in die blutigen Nebel der erſten Anfänge zurück. Aus den heißen Schauern dieſer vollendeten Liebesminute erwächſt im Leibe der Frau ein Kind. Und nach ſo viel Jahrtauſenden der Zwiſchenzeit ſeit der erſten Menſchwerdung auf Erden, nach ſo viel Wandlungen des Geiſtes von dämmernder Ahnung bis in die ſtrahlende Erfüllung der Kultur: tief im Leibe der ſchwangeren Mutter zeigt ſich an dem eben keimenden Embryo ein großes, bedeutſames Myſterium. Der reifende Keim wird, ehe er Menſch wird, noch einmal Fiſch. In der dunklen Muttertiefe, wo weder Land iſt noch Meer, zeigen ſich an der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/38>, abgerufen am 24.11.2024.