übrigen Leib ist noch eine alte Wurmkerbe, ein "Absatz" übrig geblieben.
Aber die Beine selbst blieben auch so noch in reicher Zahl bestehen. War Kopf und Brust ein Körper geworden, so saßen doch noch daran sechs Beinpaare. Das waren bei der engen Konzentrierung des Körpers aus einem langen Wurm zur kurzen dicken Spinne zum Laufen überflüssig viele. Und so kam's, daß allmählich nur mehr vier Paare wirklich zum Laufen benutzt wurden. Die beiden ersten Paare aber traten enger in den Dienst des gerade in ihrer Nähe befindlichen Mundes: sie verengten sich aus langen Pack- und Laufbeinen zu engeren Pack- und Beißorganen des Mundes, -- sie wurden einfach zu Kiefern. Siehst du dir ein anderes, heute noch höher entwickeltes Gliedertier an, das wohl parallel zu den Spinnen auch aus Tausendfüßlern und noch früher echten Ringelwürmern heraufgekommen ist, ein Insekt etwa wie den Käfer, so ge¬ wahrst du dort, wie der Prozeß noch weiter gegangen ist: hier sind gar drei von den sechs Beinpaaren als Kiefern verwertet worden und nur noch drei Paar echte Laufbeine statt vieren vorhanden, -- der Käfer hat sechs Beine, statt acht wie die Spinne, dafür aber dreierlei Kiefern statt zweierlei wie die Spinne. Mit diesem Stückchen Darwinismus wirst du jetzt die Sache schon eher begreifen, die unser Spinnerich macht, -- eine an sich höchst, höchst seltsame Sache.
Obwohl jene Spinnenkiefern am Munde in erster Linie als echte Kiefern zum Ernährungszweck arbeiten, so haben sie doch noch ihre allgemeine Gestalt als Gliedmaßen, -- als Beine oder Arme, wie du es nennen willst -- im kleinen treu bewahrt. Man könnte sich denken, daß sie gelegentlich doch auch noch manchen anderen Zwecken nebenher dienen möchten. Denke dir's doch menschlich durch: du sollst statt Kiefern mit Zähnen um den Mund vier kleine Arme sitzen haben, oben zwei und unten zwei. Diese Ärmchen passen mit den Ober¬ armen fest wie Zähne aufeinander und arbeiten, aufeinander
übrigen Leib iſt noch eine alte Wurmkerbe, ein „Abſatz“ übrig geblieben.
Aber die Beine ſelbſt blieben auch ſo noch in reicher Zahl beſtehen. War Kopf und Bruſt ein Körper geworden, ſo ſaßen doch noch daran ſechs Beinpaare. Das waren bei der engen Konzentrierung des Körpers aus einem langen Wurm zur kurzen dicken Spinne zum Laufen überflüſſig viele. Und ſo kam's, daß allmählich nur mehr vier Paare wirklich zum Laufen benutzt wurden. Die beiden erſten Paare aber traten enger in den Dienſt des gerade in ihrer Nähe befindlichen Mundes: ſie verengten ſich aus langen Pack- und Laufbeinen zu engeren Pack- und Beißorganen des Mundes, — ſie wurden einfach zu Kiefern. Siehſt du dir ein anderes, heute noch höher entwickeltes Gliedertier an, das wohl parallel zu den Spinnen auch aus Tauſendfüßlern und noch früher echten Ringelwürmern heraufgekommen iſt, ein Inſekt etwa wie den Käfer, ſo ge¬ wahrſt du dort, wie der Prozeß noch weiter gegangen iſt: hier ſind gar drei von den ſechs Beinpaaren als Kiefern verwertet worden und nur noch drei Paar echte Laufbeine ſtatt vieren vorhanden, — der Käfer hat ſechs Beine, ſtatt acht wie die Spinne, dafür aber dreierlei Kiefern ſtatt zweierlei wie die Spinne. Mit dieſem Stückchen Darwinismus wirſt du jetzt die Sache ſchon eher begreifen, die unſer Spinnerich macht, — eine an ſich höchſt, höchſt ſeltſame Sache.
Obwohl jene Spinnenkiefern am Munde in erſter Linie als echte Kiefern zum Ernährungszweck arbeiten, ſo haben ſie doch noch ihre allgemeine Geſtalt als Gliedmaßen, — als Beine oder Arme, wie du es nennen willſt — im kleinen treu bewahrt. Man könnte ſich denken, daß ſie gelegentlich doch auch noch manchen anderen Zwecken nebenher dienen möchten. Denke dir's doch menſchlich durch: du ſollſt ſtatt Kiefern mit Zähnen um den Mund vier kleine Arme ſitzen haben, oben zwei und unten zwei. Dieſe Ärmchen paſſen mit den Ober¬ armen feſt wie Zähne aufeinander und arbeiten, aufeinander
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0350"n="334"/>
übrigen Leib iſt noch eine alte Wurmkerbe, ein „Abſatz“ übrig<lb/>
geblieben.</p><lb/><p>Aber die Beine ſelbſt blieben auch ſo noch in reicher Zahl<lb/>
beſtehen. War Kopf und Bruſt ein Körper geworden, ſo ſaßen<lb/>
doch noch daran ſechs Beinpaare. Das waren bei der engen<lb/>
Konzentrierung des Körpers aus einem langen Wurm zur<lb/>
kurzen dicken Spinne zum Laufen überflüſſig viele. Und ſo<lb/>
kam's, daß allmählich nur mehr vier Paare wirklich zum Laufen<lb/>
benutzt wurden. Die beiden erſten Paare aber traten enger in<lb/>
den Dienſt des gerade in ihrer Nähe befindlichen Mundes: ſie<lb/>
verengten ſich aus langen Pack- und Laufbeinen zu engeren<lb/>
Pack- und Beißorganen des Mundes, —ſie wurden einfach<lb/>
zu <hirendition="#g">Kiefern</hi>. Siehſt du dir ein anderes, heute noch höher<lb/>
entwickeltes Gliedertier an, das wohl parallel zu den Spinnen<lb/>
auch aus Tauſendfüßlern und noch früher echten Ringelwürmern<lb/>
heraufgekommen iſt, ein Inſekt etwa wie den Käfer, ſo ge¬<lb/>
wahrſt du dort, wie der Prozeß noch weiter gegangen iſt: hier<lb/>ſind gar drei von den ſechs Beinpaaren als Kiefern verwertet<lb/>
worden und nur noch drei Paar echte Laufbeine ſtatt vieren<lb/>
vorhanden, — der Käfer hat ſechs Beine, ſtatt acht wie die<lb/>
Spinne, dafür aber dreierlei Kiefern ſtatt zweierlei wie die<lb/>
Spinne. Mit dieſem Stückchen Darwinismus wirſt du jetzt<lb/>
die Sache ſchon eher begreifen, die unſer Spinnerich macht, —<lb/>
eine an ſich höchſt, höchſt ſeltſame Sache.</p><lb/><p>Obwohl jene Spinnenkiefern am Munde in erſter Linie<lb/>
als echte Kiefern zum Ernährungszweck arbeiten, ſo haben ſie<lb/>
doch noch ihre allgemeine Geſtalt als Gliedmaßen, — als<lb/>
Beine oder Arme, wie du es nennen willſt — im kleinen treu<lb/>
bewahrt. Man könnte ſich denken, daß ſie gelegentlich doch<lb/>
auch noch manchen anderen Zwecken nebenher dienen möchten.<lb/>
Denke dir's doch menſchlich durch: du ſollſt ſtatt Kiefern mit<lb/>
Zähnen um den Mund vier kleine Arme ſitzen haben, oben<lb/>
zwei und unten zwei. Dieſe Ärmchen paſſen mit den Ober¬<lb/>
armen feſt wie Zähne aufeinander und arbeiten, aufeinander<lb/></p></div></body></text></TEI>
[334/0350]
übrigen Leib iſt noch eine alte Wurmkerbe, ein „Abſatz“ übrig
geblieben.
Aber die Beine ſelbſt blieben auch ſo noch in reicher Zahl
beſtehen. War Kopf und Bruſt ein Körper geworden, ſo ſaßen
doch noch daran ſechs Beinpaare. Das waren bei der engen
Konzentrierung des Körpers aus einem langen Wurm zur
kurzen dicken Spinne zum Laufen überflüſſig viele. Und ſo
kam's, daß allmählich nur mehr vier Paare wirklich zum Laufen
benutzt wurden. Die beiden erſten Paare aber traten enger in
den Dienſt des gerade in ihrer Nähe befindlichen Mundes: ſie
verengten ſich aus langen Pack- und Laufbeinen zu engeren
Pack- und Beißorganen des Mundes, — ſie wurden einfach
zu Kiefern. Siehſt du dir ein anderes, heute noch höher
entwickeltes Gliedertier an, das wohl parallel zu den Spinnen
auch aus Tauſendfüßlern und noch früher echten Ringelwürmern
heraufgekommen iſt, ein Inſekt etwa wie den Käfer, ſo ge¬
wahrſt du dort, wie der Prozeß noch weiter gegangen iſt: hier
ſind gar drei von den ſechs Beinpaaren als Kiefern verwertet
worden und nur noch drei Paar echte Laufbeine ſtatt vieren
vorhanden, — der Käfer hat ſechs Beine, ſtatt acht wie die
Spinne, dafür aber dreierlei Kiefern ſtatt zweierlei wie die
Spinne. Mit dieſem Stückchen Darwinismus wirſt du jetzt
die Sache ſchon eher begreifen, die unſer Spinnerich macht, —
eine an ſich höchſt, höchſt ſeltſame Sache.
Obwohl jene Spinnenkiefern am Munde in erſter Linie
als echte Kiefern zum Ernährungszweck arbeiten, ſo haben ſie
doch noch ihre allgemeine Geſtalt als Gliedmaßen, — als
Beine oder Arme, wie du es nennen willſt — im kleinen treu
bewahrt. Man könnte ſich denken, daß ſie gelegentlich doch
auch noch manchen anderen Zwecken nebenher dienen möchten.
Denke dir's doch menſchlich durch: du ſollſt ſtatt Kiefern mit
Zähnen um den Mund vier kleine Arme ſitzen haben, oben
zwei und unten zwei. Dieſe Ärmchen paſſen mit den Ober¬
armen feſt wie Zähne aufeinander und arbeiten, aufeinander
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/350>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.