in den Abgründen unterseeischer Thäler, ob, was wohl wahrschein¬ licher ist, in geringer Tiefe, aber in der freiesten, landfernen See.
Da auf einmal ist es, als erklinge der Posaunenruf aus der Vision des alten Propheten, der die Knochen sich sammeln ließ im Thal. Durch das innerste Mark all der einsam Ver¬ streuten zittert ein dunkles Verlangen nach Enge, nach flachem Grund zwischen Klippen, wo viele sich wollüstig aneinander drängen können. Es sind Erinnerungsbilder frühester Jugend darin. Am Ufer, in der Enge sind sie alle einst geboren worden, ehe sie das offene Weltmeer fanden. Wer ahnt, bis zu welcher greifbaren Gestalt bestimmter Örtlichkeit dies ver¬ blaßte Bild in der plötzlichen tiefen Erregung des ganzen Organismus noch einmal erwächst! Sicher ist, daß eine voll¬ kommene Wandlung in allen Lebensgewohnheiten jetzt erfolgt. Der Häring drängt zur Küste. Bald sind Scharen beisammen, die das gleiche Ziel nicht voneinander läßt. Schar stößt zu Schar. Es ist ein unendliches, dumpfes, blindes Dahin¬ schwimmen nach einer Seite, schwindelerregend, wenn man sich den unermeßlichen Raum des Ozeans ausmalt, aus dem die Liebe hier ihre Massen zusammensiebt. Endlich wird der Boden flach, die ersehnte Küste ist nah. Alle Radien streben jetzt in einen Punkt zusammen ..... und aus den dunkeln Wassern schimmert die silberne Insel der Millionen, die ihren Schein bis in die Nebelwolken wirft.
Aber die ungeheure Fischmenge staut sich. Die Enge des Zusammendrängens löst die ganze verhaltene Liebeswollust plötzlich aus, -- in einer Form, die wie dieser ganze Massen¬ sturm etwas beinahe Brutales, jedenfalls etwas Gigantisches hat. Durch die Salzflut ergießen sich dichte Wolken männlicher Samenflüssigkeit, Wolken so gewaltig, daß der Ozean sich weit¬ hin trübt, daß die ganze Silberinsel wollüstig bewegter Fische darin badet, darin schwimmt.
Derselbe Blitz höchster Gefühlsauslösung durchfährt aber gleichzeitig auch die Weibchen, -- in die weißen Samenwolken
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in den Abgründen unterſeeiſcher Thäler, ob, was wohl wahrſchein¬ licher iſt, in geringer Tiefe, aber in der freieſten, landfernen See.
Da auf einmal iſt es, als erklinge der Poſaunenruf aus der Viſion des alten Propheten, der die Knochen ſich ſammeln ließ im Thal. Durch das innerſte Mark all der einſam Ver¬ ſtreuten zittert ein dunkles Verlangen nach Enge, nach flachem Grund zwiſchen Klippen, wo viele ſich wollüſtig aneinander drängen können. Es ſind Erinnerungsbilder früheſter Jugend darin. Am Ufer, in der Enge ſind ſie alle einſt geboren worden, ehe ſie das offene Weltmeer fanden. Wer ahnt, bis zu welcher greifbaren Geſtalt beſtimmter Örtlichkeit dies ver¬ blaßte Bild in der plötzlichen tiefen Erregung des ganzen Organismus noch einmal erwächſt! Sicher iſt, daß eine voll¬ kommene Wandlung in allen Lebensgewohnheiten jetzt erfolgt. Der Häring drängt zur Küſte. Bald ſind Scharen beiſammen, die das gleiche Ziel nicht voneinander läßt. Schar ſtößt zu Schar. Es iſt ein unendliches, dumpfes, blindes Dahin¬ ſchwimmen nach einer Seite, ſchwindelerregend, wenn man ſich den unermeßlichen Raum des Ozeans ausmalt, aus dem die Liebe hier ihre Maſſen zuſammenſiebt. Endlich wird der Boden flach, die erſehnte Küſte iſt nah. Alle Radien ſtreben jetzt in einen Punkt zuſammen ..... und aus den dunkeln Waſſern ſchimmert die ſilberne Inſel der Millionen, die ihren Schein bis in die Nebelwolken wirft.
Aber die ungeheure Fiſchmenge ſtaut ſich. Die Enge des Zuſammendrängens löſt die ganze verhaltene Liebeswolluſt plötzlich aus, — in einer Form, die wie dieſer ganze Maſſen¬ ſturm etwas beinahe Brutales, jedenfalls etwas Gigantiſches hat. Durch die Salzflut ergießen ſich dichte Wolken männlicher Samenflüſſigkeit, Wolken ſo gewaltig, daß der Ozean ſich weit¬ hin trübt, daß die ganze Silberinſel wollüſtig bewegter Fiſche darin badet, darin ſchwimmt.
Derſelbe Blitz höchſter Gefühlsauslöſung durchfährt aber gleichzeitig auch die Weibchen, — in die weißen Samenwolken
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[19/0035]
in den Abgründen unterſeeiſcher Thäler, ob, was wohl wahrſchein¬
licher iſt, in geringer Tiefe, aber in der freieſten, landfernen See.
Da auf einmal iſt es, als erklinge der Poſaunenruf aus
der Viſion des alten Propheten, der die Knochen ſich ſammeln
ließ im Thal. Durch das innerſte Mark all der einſam Ver¬
ſtreuten zittert ein dunkles Verlangen nach Enge, nach flachem
Grund zwiſchen Klippen, wo viele ſich wollüſtig aneinander
drängen können. Es ſind Erinnerungsbilder früheſter Jugend
darin. Am Ufer, in der Enge ſind ſie alle einſt geboren
worden, ehe ſie das offene Weltmeer fanden. Wer ahnt, bis
zu welcher greifbaren Geſtalt beſtimmter Örtlichkeit dies ver¬
blaßte Bild in der plötzlichen tiefen Erregung des ganzen
Organismus noch einmal erwächſt! Sicher iſt, daß eine voll¬
kommene Wandlung in allen Lebensgewohnheiten jetzt erfolgt.
Der Häring drängt zur Küſte. Bald ſind Scharen beiſammen,
die das gleiche Ziel nicht voneinander läßt. Schar ſtößt zu
Schar. Es iſt ein unendliches, dumpfes, blindes Dahin¬
ſchwimmen nach einer Seite, ſchwindelerregend, wenn man ſich
den unermeßlichen Raum des Ozeans ausmalt, aus dem die
Liebe hier ihre Maſſen zuſammenſiebt. Endlich wird der Boden
flach, die erſehnte Küſte iſt nah. Alle Radien ſtreben jetzt
in einen Punkt zuſammen ..... und aus den dunkeln Waſſern
ſchimmert die ſilberne Inſel der Millionen, die ihren Schein
bis in die Nebelwolken wirft.
Aber die ungeheure Fiſchmenge ſtaut ſich. Die Enge des
Zuſammendrängens löſt die ganze verhaltene Liebeswolluſt
plötzlich aus, — in einer Form, die wie dieſer ganze Maſſen¬
ſturm etwas beinahe Brutales, jedenfalls etwas Gigantiſches
hat. Durch die Salzflut ergießen ſich dichte Wolken männlicher
Samenflüſſigkeit, Wolken ſo gewaltig, daß der Ozean ſich weit¬
hin trübt, daß die ganze Silberinſel wollüſtig bewegter Fiſche
darin badet, darin ſchwimmt.
Derſelbe Blitz höchſter Gefühlsauslöſung durchfährt aber
gleichzeitig auch die Weibchen, — in die weißen Samenwolken
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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