Je mehr sich die Tiere in feste Einzelarten zerspalteten, desto fester wurde ja in Liebessachen das Untergesetz: zum "Liebesfressen", d. h. zur geschlechtlichen Vereinigung meidet man zwar Geschwister und sucht "Fremde", -- aber diese Fremden müssen doch immer noch annähernd derselben Tier¬ sorte angehören; der Frosch kann nicht eine Fliege, der See¬ stern eine Auster lieben! Hier knüpfte eine gewisse Lösung nun an. Lieben können sich nur Auster und Auster, Seestern und Seestern, Fliege und Fliege, Frosch und Frosch. Fressen im gewöhnlichen Sinne aber kann ohne weiteres auch Seestern die Auster, Frosch die Fliege. Also sei Gesetz: niemals frißt Frosch Frosch, Seestern Seestern. Damit er nicht in den Konflikt von Fressen und Lieben kommt. Dagegen mag See¬ stern ruhig Auster, Frosch Fliege fressen. Mit anderen Worten: gleiche Artgenossen beschränken sich in ihrem Verkehr auf die schöne harmonische Freßform des Liebens, gegen ungleiche aber walte frei die zerstörende gewöhnliche Nahrungsfresserei, -- hier kann sie ja mit der Liebe nicht in Konflikt kommen, da diese hier so wie so nicht gilt.
Aber nun: auch solche Gesetze fallen nicht eines Tages vom Himmel. Das hat sich erst sehr mühsam unter tausend Nöten herauskrystallisieren müssen. Vielfach ganz mangelhaft, schwankend. In gewissem Sinne kann man geradezu sagen, das "Gesetz" hat für eine Reihe von Tiergruppen mehr oder minder nur theoretisch bestanden, -- mit der halben Praxis mindestens als "Ausnahme, die die Regel bestätigte". Noch heute giebt es Tiere, die in ihren Gewohnheiten gleichsam an der Grenze versteint, stehen geblieben sind. Nichts seltsamer als solche Gewohnheitsfossile. Statt alter Knochen im Gestein lebende Wesen, emsig weiter lebend. Und doch in diesem Leben, in bestimmter zäh bewahrter Lebensart ein Ahasver-Antlitz, das tief hinab erst ins Werden der Dinge zeigt. Es ist, als sei eine Brücke gebaut worden. Als der erste Spatenstich gethan wurde, war ein Mann dabei, den einer in Hypnose
Je mehr ſich die Tiere in feſte Einzelarten zerſpalteten, deſto feſter wurde ja in Liebesſachen das Untergeſetz: zum „Liebesfreſſen“, d. h. zur geſchlechtlichen Vereinigung meidet man zwar Geſchwiſter und ſucht „Fremde“, — aber dieſe Fremden müſſen doch immer noch annähernd derſelben Tier¬ ſorte angehören; der Froſch kann nicht eine Fliege, der See¬ ſtern eine Auſter lieben! Hier knüpfte eine gewiſſe Löſung nun an. Lieben können ſich nur Auſter und Auſter, Seeſtern und Seeſtern, Fliege und Fliege, Froſch und Froſch. Freſſen im gewöhnlichen Sinne aber kann ohne weiteres auch Seeſtern die Auſter, Froſch die Fliege. Alſo ſei Geſetz: niemals frißt Froſch Froſch, Seeſtern Seeſtern. Damit er nicht in den Konflikt von Freſſen und Lieben kommt. Dagegen mag See¬ ſtern ruhig Auſter, Froſch Fliege freſſen. Mit anderen Worten: gleiche Artgenoſſen beſchränken ſich in ihrem Verkehr auf die ſchöne harmoniſche Freßform des Liebens, gegen ungleiche aber walte frei die zerſtörende gewöhnliche Nahrungsfreſſerei, — hier kann ſie ja mit der Liebe nicht in Konflikt kommen, da dieſe hier ſo wie ſo nicht gilt.
Aber nun: auch ſolche Geſetze fallen nicht eines Tages vom Himmel. Das hat ſich erſt ſehr mühſam unter tauſend Nöten herauskryſtalliſieren müſſen. Vielfach ganz mangelhaft, ſchwankend. In gewiſſem Sinne kann man geradezu ſagen, das „Geſetz“ hat für eine Reihe von Tiergruppen mehr oder minder nur theoretiſch beſtanden, — mit der halben Praxis mindeſtens als „Ausnahme, die die Regel beſtätigte“. Noch heute giebt es Tiere, die in ihren Gewohnheiten gleichſam an der Grenze verſteint, ſtehen geblieben ſind. Nichts ſeltſamer als ſolche Gewohnheitsfoſſile. Statt alter Knochen im Geſtein lebende Weſen, emſig weiter lebend. Und doch in dieſem Leben, in beſtimmter zäh bewahrter Lebensart ein Ahasver-Antlitz, das tief hinab erſt ins Werden der Dinge zeigt. Es iſt, als ſei eine Brücke gebaut worden. Als der erſte Spatenſtich gethan wurde, war ein Mann dabei, den einer in Hypnoſe
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Je mehr ſich die Tiere in feſte Einzelarten zerſpalteten,
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man zwar Geſchwiſter und ſucht „Fremde“, — aber dieſe
Fremden müſſen doch immer noch annähernd derſelben Tier¬
ſorte angehören; der Froſch kann nicht eine Fliege, der See¬
ſtern eine Auſter lieben! Hier knüpfte eine gewiſſe Löſung
nun an. Lieben können ſich nur Auſter und Auſter, Seeſtern
und Seeſtern, Fliege und Fliege, Froſch und Froſch. Freſſen
im gewöhnlichen Sinne aber kann ohne weiteres auch Seeſtern
die Auſter, Froſch die Fliege. Alſo ſei Geſetz: niemals frißt
Froſch Froſch, Seeſtern Seeſtern. Damit er nicht in den
Konflikt von Freſſen und Lieben kommt. Dagegen mag See¬
ſtern ruhig Auſter, Froſch Fliege freſſen. Mit anderen Worten:
gleiche Artgenoſſen beſchränken ſich in ihrem Verkehr auf die
ſchöne harmoniſche Freßform des Liebens, gegen ungleiche aber
walte frei die zerſtörende gewöhnliche Nahrungsfreſſerei, —
hier kann ſie ja mit der Liebe nicht in Konflikt kommen, da
dieſe hier ſo wie ſo nicht gilt.
Aber nun: auch ſolche Geſetze fallen nicht eines Tages
vom Himmel. Das hat ſich erſt ſehr mühſam unter tauſend
Nöten herauskryſtalliſieren müſſen. Vielfach ganz mangelhaft,
ſchwankend. In gewiſſem Sinne kann man geradezu ſagen,
das „Geſetz“ hat für eine Reihe von Tiergruppen mehr oder
minder nur theoretiſch beſtanden, — mit der halben Praxis
mindeſtens als „Ausnahme, die die Regel beſtätigte“. Noch heute
giebt es Tiere, die in ihren Gewohnheiten gleichſam an der
Grenze verſteint, ſtehen geblieben ſind. Nichts ſeltſamer als
ſolche Gewohnheitsfoſſile. Statt alter Knochen im Geſtein
lebende Weſen, emſig weiter lebend. Und doch in dieſem Leben,
in beſtimmter zäh bewahrter Lebensart ein Ahasver-Antlitz,
das tief hinab erſt ins Werden der Dinge zeigt. Es iſt, als
ſei eine Brücke gebaut worden. Als der erſte Spatenſtich
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/343>, abgerufen am 27.11.2024.
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