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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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es nimmt eben Pflanzenstoff. Es saugt, pflückt, zerbeißt, ver¬
daut zur einfachen Nahrung Pflanzen, -- es wird Pflanzen¬
fresser.

Auch jetzt ist zunächst noch immer kein Konflikt mit der
Liebe da, obwohl der Unterschied gegen die Pflanzenmethode
selbst an sich schon gewaltig ist. Das Tier frißt zum gewöhn¬
lichen Ernährungszweck Pflanzen, indem es sich daran gewöhnt,
deren eigenes Leben dabei gewaltsam zu zerstören. Zu
Liebeszwecken dagegen "frißt" es verwandten lebendigen tieri¬
schen Stoff, der aber bei Leibe nicht zerstört werden darf,
sondern mit dem eine absolut friedliche Verschmelzung bei
beiderseitigem Leben stattfindet. Du siehst: der Kontrast ist
schon gewaltig. Aber noch kein Konflikt!

Dieser kommt erst mit dem folgenden Moment.

Eine Unzahl von Tieren gewöhnt sich an, auch jene organische,
aber tote "einfache Nahrung" nicht mehr von der Pflanze zu
nehmen, sondern vom Tier selbst. Tiere fangen an, sich nicht
bloß mit Tieren in Liebe zu begatten, sondern auch Tiere bei
einfachem Hungergefühl zu fassen, durch Zerbeißen oder sonst
irgendwie in ihrem eigenen Leben zu zerstören und dann als
mundgerechten einfachen Nahrungsstoff zu fressen. Jetzt hast
du gegeneinander: Tier sucht Tier, um sich lebendig mit ihm
zu einen, -- zu höchster Harmonie unter absoluter Wahrung
des fremden Lebens; und Tier sucht Tier, um es als zwar
organischen, aber vorher zu tötenden Stoff in sich aufzunehmen --
in absoluter Disharmonie und unter Zerstörung des anderen
Lebens.

Nun, das Tierreich ist nicht untergegangen, sondern hat
sich im Gegenteil bis zur Geistesherrlichkeit des Menschen
herauf entwickelt. Beweis genug, daß jener Konflikt nicht sein
wirklicher Galgen gewesen sein kann. Im großen und ganzen
stellten sich eben gewisse Hilfskonventionen ähnlich wie bei
jenem gefährlichen Konflikt der Inzucht ein, von dem ich dir
erzählt habe.

es nimmt eben Pflanzenſtoff. Es ſaugt, pflückt, zerbeißt, ver¬
daut zur einfachen Nahrung Pflanzen, — es wird Pflanzen¬
freſſer.

Auch jetzt iſt zunächſt noch immer kein Konflikt mit der
Liebe da, obwohl der Unterſchied gegen die Pflanzenmethode
ſelbſt an ſich ſchon gewaltig iſt. Das Tier frißt zum gewöhn¬
lichen Ernährungszweck Pflanzen, indem es ſich daran gewöhnt,
deren eigenes Leben dabei gewaltſam zu zerſtören. Zu
Liebeszwecken dagegen „frißt“ es verwandten lebendigen tieri¬
ſchen Stoff, der aber bei Leibe nicht zerſtört werden darf,
ſondern mit dem eine abſolut friedliche Verſchmelzung bei
beiderſeitigem Leben ſtattfindet. Du ſiehſt: der Kontraſt iſt
ſchon gewaltig. Aber noch kein Konflikt!

Dieſer kommt erſt mit dem folgenden Moment.

Eine Unzahl von Tieren gewöhnt ſich an, auch jene organiſche,
aber tote „einfache Nahrung“ nicht mehr von der Pflanze zu
nehmen, ſondern vom Tier ſelbſt. Tiere fangen an, ſich nicht
bloß mit Tieren in Liebe zu begatten, ſondern auch Tiere bei
einfachem Hungergefühl zu faſſen, durch Zerbeißen oder ſonſt
irgendwie in ihrem eigenen Leben zu zerſtören und dann als
mundgerechten einfachen Nahrungsſtoff zu freſſen. Jetzt haſt
du gegeneinander: Tier ſucht Tier, um ſich lebendig mit ihm
zu einen, — zu höchſter Harmonie unter abſoluter Wahrung
des fremden Lebens; und Tier ſucht Tier, um es als zwar
organiſchen, aber vorher zu tötenden Stoff in ſich aufzunehmen —
in abſoluter Disharmonie und unter Zerſtörung des anderen
Lebens.

Nun, das Tierreich iſt nicht untergegangen, ſondern hat
ſich im Gegenteil bis zur Geiſtesherrlichkeit des Menſchen
herauf entwickelt. Beweis genug, daß jener Konflikt nicht ſein
wirklicher Galgen geweſen ſein kann. Im großen und ganzen
ſtellten ſich eben gewiſſe Hilfskonventionen ähnlich wie bei
jenem gefährlichen Konflikt der Inzucht ein, von dem ich dir
erzählt habe.

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[326/0342] es nimmt eben Pflanzenſtoff. Es ſaugt, pflückt, zerbeißt, ver¬ daut zur einfachen Nahrung Pflanzen, — es wird Pflanzen¬ freſſer. Auch jetzt iſt zunächſt noch immer kein Konflikt mit der Liebe da, obwohl der Unterſchied gegen die Pflanzenmethode ſelbſt an ſich ſchon gewaltig iſt. Das Tier frißt zum gewöhn¬ lichen Ernährungszweck Pflanzen, indem es ſich daran gewöhnt, deren eigenes Leben dabei gewaltſam zu zerſtören. Zu Liebeszwecken dagegen „frißt“ es verwandten lebendigen tieri¬ ſchen Stoff, der aber bei Leibe nicht zerſtört werden darf, ſondern mit dem eine abſolut friedliche Verſchmelzung bei beiderſeitigem Leben ſtattfindet. Du ſiehſt: der Kontraſt iſt ſchon gewaltig. Aber noch kein Konflikt! Dieſer kommt erſt mit dem folgenden Moment. Eine Unzahl von Tieren gewöhnt ſich an, auch jene organiſche, aber tote „einfache Nahrung“ nicht mehr von der Pflanze zu nehmen, ſondern vom Tier ſelbſt. Tiere fangen an, ſich nicht bloß mit Tieren in Liebe zu begatten, ſondern auch Tiere bei einfachem Hungergefühl zu faſſen, durch Zerbeißen oder ſonſt irgendwie in ihrem eigenen Leben zu zerſtören und dann als mundgerechten einfachen Nahrungsſtoff zu freſſen. Jetzt haſt du gegeneinander: Tier ſucht Tier, um ſich lebendig mit ihm zu einen, — zu höchſter Harmonie unter abſoluter Wahrung des fremden Lebens; und Tier ſucht Tier, um es als zwar organiſchen, aber vorher zu tötenden Stoff in ſich aufzunehmen — in abſoluter Disharmonie und unter Zerſtörung des anderen Lebens. Nun, das Tierreich iſt nicht untergegangen, ſondern hat ſich im Gegenteil bis zur Geiſtesherrlichkeit des Menſchen herauf entwickelt. Beweis genug, daß jener Konflikt nicht ſein wirklicher Galgen geweſen ſein kann. Im großen und ganzen ſtellten ſich eben gewiſſe Hilfskonventionen ähnlich wie bei jenem gefährlichen Konflikt der Inzucht ein, von dem ich dir erzählt habe.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/342>, abgerufen am 23.11.2024.