Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Mitte um die Sonne kreist. Aber um diese Zeit naht hier kein
Eis. Es ist der Silberglanz eines vielköpfig Lebendigen, das
sich da näher und näher schiebt.

Nicht ein einzelnes Seeungetüm kommt. In unermeßlichem
Gewimmel zusammengedrängt wälzt sich eine silberne Insel von
Tieren heran.

Der Häring naht, zu Millionen vereint.

Der Lichtschein, der den Nebel hellt, ist Wiederschein der
ungezählten glitzernden Leiber selbst, die der Massensturm gegen
die Fläche, ja heraus aus den Wellen treibt, bis das Ganze
sich hier und da wölbt wie eine riesenhafte Schildkröte, deren
blanker Rücken das Mondlicht wiederstrahlt. Aber nie, auch
in keinen Urtagen fabelhaftester Riesentiere, hat eine Schildkröte
von solcher Ausdehnung gelebt. Eine Meile in die Länge wie
Breite dehnt sich die Insel lebendiger Fische. Scharen weißer
Möwen schweben darüber, als handle es sich um eine jener ein¬
samen Klippen des Weltmeers, die Myriaden lärmender See¬
vögel als Nistplatz dient. Jetzt hier, jetzt dort blitzt ein ganzer
Körper herauf, als spielten weißblaue Flammen aus dem er¬
regten, brausenden Element, als wolle die Insel sich in vulka¬
nischen Zuckungen entladen.

So müßte es sein, wenn Gigantenhand ein Netz quer
durch den Bauch des freien Ozeans spannte und nun langsam
damit gegen die Festlandküste ruderte, alles Lebendige der fisch¬
durchwimmelten Weite vor sich her zusammendrängend, bis das
verengte Element die Masse nicht mehr faßte und das Gewirre
sich gegen den Strand heraufstaute wie eine ungeheure Pyra¬
mide lebenden, zuckenden Stoffs, -- in all den wahnsinnigen
Fratzenformen der Tiefe.

Der Gigant ist die Liebe.

Wie ein Stäubchen im flutenden Sonnenlicht verliert sich
sonst der einzelne Häring im offenen Weltenmeer. Kaum daß
menschliche Forschung bis heute ergründet hat, wo er eigentlich in
den stillen, leidenschaftslosen Zeiten seines Lebens sich birgt, ob

Mitte um die Sonne kreiſt. Aber um dieſe Zeit naht hier kein
Eis. Es iſt der Silberglanz eines vielköpfig Lebendigen, das
ſich da näher und näher ſchiebt.

Nicht ein einzelnes Seeungetüm kommt. In unermeßlichem
Gewimmel zuſammengedrängt wälzt ſich eine ſilberne Inſel von
Tieren heran.

Der Häring naht, zu Millionen vereint.

Der Lichtſchein, der den Nebel hellt, iſt Wiederſchein der
ungezählten glitzernden Leiber ſelbſt, die der Maſſenſturm gegen
die Fläche, ja heraus aus den Wellen treibt, bis das Ganze
ſich hier und da wölbt wie eine rieſenhafte Schildkröte, deren
blanker Rücken das Mondlicht wiederſtrahlt. Aber nie, auch
in keinen Urtagen fabelhafteſter Rieſentiere, hat eine Schildkröte
von ſolcher Ausdehnung gelebt. Eine Meile in die Länge wie
Breite dehnt ſich die Inſel lebendiger Fiſche. Scharen weißer
Möwen ſchweben darüber, als handle es ſich um eine jener ein¬
ſamen Klippen des Weltmeers, die Myriaden lärmender See¬
vögel als Niſtplatz dient. Jetzt hier, jetzt dort blitzt ein ganzer
Körper herauf, als ſpielten weißblaue Flammen aus dem er¬
regten, brauſenden Element, als wolle die Inſel ſich in vulka¬
niſchen Zuckungen entladen.

So müßte es ſein, wenn Gigantenhand ein Netz quer
durch den Bauch des freien Ozeans ſpannte und nun langſam
damit gegen die Feſtlandküſte ruderte, alles Lebendige der fiſch¬
durchwimmelten Weite vor ſich her zuſammendrängend, bis das
verengte Element die Maſſe nicht mehr faßte und das Gewirre
ſich gegen den Strand heraufſtaute wie eine ungeheure Pyra¬
mide lebenden, zuckenden Stoffs, — in all den wahnſinnigen
Fratzenformen der Tiefe.

Der Gigant iſt die Liebe.

Wie ein Stäubchen im flutenden Sonnenlicht verliert ſich
ſonſt der einzelne Häring im offenen Weltenmeer. Kaum daß
menſchliche Forſchung bis heute ergründet hat, wo er eigentlich in
den ſtillen, leidenſchaftsloſen Zeiten ſeines Lebens ſich birgt, ob

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="18"/>
Mitte um die Sonne krei&#x017F;t. Aber um die&#x017F;e Zeit naht hier kein<lb/>
Eis. Es i&#x017F;t der Silberglanz eines vielköpfig Lebendigen, das<lb/>
&#x017F;ich da näher und näher &#x017F;chiebt.</p><lb/>
        <p>Nicht ein einzelnes Seeungetüm kommt. In unermeßlichem<lb/>
Gewimmel zu&#x017F;ammengedrängt wälzt &#x017F;ich eine &#x017F;ilberne In&#x017F;el von<lb/>
Tieren heran.</p><lb/>
        <p>Der Häring naht, zu Millionen vereint.</p><lb/>
        <p>Der Licht&#x017F;chein, der den Nebel hellt, i&#x017F;t Wieder&#x017F;chein der<lb/>
ungezählten glitzernden Leiber &#x017F;elb&#x017F;t, die der Ma&#x017F;&#x017F;en&#x017F;turm gegen<lb/>
die Fläche, ja heraus aus den Wellen treibt, bis das Ganze<lb/>
&#x017F;ich hier und da wölbt wie eine rie&#x017F;enhafte Schildkröte, deren<lb/>
blanker Rücken das Mondlicht wieder&#x017F;trahlt. Aber nie, auch<lb/>
in keinen Urtagen fabelhafte&#x017F;ter Rie&#x017F;entiere, hat eine Schildkröte<lb/>
von &#x017F;olcher Ausdehnung gelebt. Eine Meile in die Länge wie<lb/>
Breite dehnt &#x017F;ich die In&#x017F;el lebendiger Fi&#x017F;che. Scharen weißer<lb/>
Möwen &#x017F;chweben darüber, als handle es &#x017F;ich um eine jener ein¬<lb/>
&#x017F;amen Klippen des Weltmeers, die Myriaden lärmender See¬<lb/>
vögel als Ni&#x017F;tplatz dient. Jetzt hier, jetzt dort blitzt ein ganzer<lb/>
Körper herauf, als &#x017F;pielten weißblaue Flammen aus dem er¬<lb/>
regten, brau&#x017F;enden Element, als wolle die In&#x017F;el &#x017F;ich in vulka¬<lb/>
ni&#x017F;chen Zuckungen entladen.</p><lb/>
        <p>So müßte es &#x017F;ein, wenn Gigantenhand ein Netz quer<lb/>
durch den Bauch des freien Ozeans &#x017F;pannte und nun lang&#x017F;am<lb/>
damit gegen die Fe&#x017F;tlandkü&#x017F;te ruderte, alles Lebendige der fi&#x017F;ch¬<lb/>
durchwimmelten Weite vor &#x017F;ich her zu&#x017F;ammendrängend, bis das<lb/>
verengte Element die Ma&#x017F;&#x017F;e nicht mehr faßte und das Gewirre<lb/>
&#x017F;ich gegen den Strand herauf&#x017F;taute wie eine ungeheure Pyra¬<lb/>
mide lebenden, zuckenden Stoffs, &#x2014; in all den wahn&#x017F;innigen<lb/>
Fratzenformen der Tiefe.</p><lb/>
        <p>Der Gigant i&#x017F;t die Liebe.</p><lb/>
        <p>Wie ein Stäubchen im flutenden Sonnenlicht verliert &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t der einzelne Häring im offenen Weltenmeer. Kaum daß<lb/>
men&#x017F;chliche For&#x017F;chung bis heute ergründet hat, wo er eigentlich in<lb/>
den &#x017F;tillen, leiden&#x017F;chaftslo&#x017F;en Zeiten &#x017F;eines Lebens &#x017F;ich birgt, ob<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0034] Mitte um die Sonne kreiſt. Aber um dieſe Zeit naht hier kein Eis. Es iſt der Silberglanz eines vielköpfig Lebendigen, das ſich da näher und näher ſchiebt. Nicht ein einzelnes Seeungetüm kommt. In unermeßlichem Gewimmel zuſammengedrängt wälzt ſich eine ſilberne Inſel von Tieren heran. Der Häring naht, zu Millionen vereint. Der Lichtſchein, der den Nebel hellt, iſt Wiederſchein der ungezählten glitzernden Leiber ſelbſt, die der Maſſenſturm gegen die Fläche, ja heraus aus den Wellen treibt, bis das Ganze ſich hier und da wölbt wie eine rieſenhafte Schildkröte, deren blanker Rücken das Mondlicht wiederſtrahlt. Aber nie, auch in keinen Urtagen fabelhafteſter Rieſentiere, hat eine Schildkröte von ſolcher Ausdehnung gelebt. Eine Meile in die Länge wie Breite dehnt ſich die Inſel lebendiger Fiſche. Scharen weißer Möwen ſchweben darüber, als handle es ſich um eine jener ein¬ ſamen Klippen des Weltmeers, die Myriaden lärmender See¬ vögel als Niſtplatz dient. Jetzt hier, jetzt dort blitzt ein ganzer Körper herauf, als ſpielten weißblaue Flammen aus dem er¬ regten, brauſenden Element, als wolle die Inſel ſich in vulka¬ niſchen Zuckungen entladen. So müßte es ſein, wenn Gigantenhand ein Netz quer durch den Bauch des freien Ozeans ſpannte und nun langſam damit gegen die Feſtlandküſte ruderte, alles Lebendige der fiſch¬ durchwimmelten Weite vor ſich her zuſammendrängend, bis das verengte Element die Maſſe nicht mehr faßte und das Gewirre ſich gegen den Strand heraufſtaute wie eine ungeheure Pyra¬ mide lebenden, zuckenden Stoffs, — in all den wahnſinnigen Fratzenformen der Tiefe. Der Gigant iſt die Liebe. Wie ein Stäubchen im flutenden Sonnenlicht verliert ſich ſonſt der einzelne Häring im offenen Weltenmeer. Kaum daß menſchliche Forſchung bis heute ergründet hat, wo er eigentlich in den ſtillen, leidenſchaftsloſen Zeiten ſeines Lebens ſich birgt, ob

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/34
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/34>, abgerufen am 27.12.2024.