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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Im Innern angelangt, stellt unser kleiner böser Wurzler
jetzt das grausige Geflecht her, von dem wir sprachen: er "um¬
spinnt" geradezu das Gedärm seines unfreiwilligen Wirtes
und saugt sich da aufs vergnüglichste voll. Beinahe zwei
Jahre dauert dieses ausschließliche Innenleben. Eigentliche
Organe braucht er dabei nicht mehr. Die Krabbe, die sich
mühsam durch Beutejagen, Fressen und Verdauen ihren
nährenden Lebenssaft schafft, strömt gleichsam in ihn über,
sie jagt, frißt und verdaut auch für ihn mit. Und nur eine
einzige selbstständige Handlung bleibt ihm zu thun übrig: zu
lieben.

Das geht nun schlechterdings nicht in der Krabbe selbst.
Wohl besitzt er Geschlechtsteile, -- sogar ursprünglich Anlage
zu beiden, männlichen und weiblichen. Aber du kennst das
alte, unerbittliche Gesetz: keine Selbstbefruchtung. In der
That: das Mannesorgan verkümmert ihm auch lange vor
jeder Benutzungsmöglichkeit und in der Vollkraft seiner
Liebeszeit fühlt er sich ausschließlich Weib. Was thun? Er
drängelt wieder rückwärts und rutscht mit einem größeren
Stück seines formlosen Leibes wieder aus der Krabbe heraus.
Bloß das saugende Wurzelgespinst bleibt im Innern. Außen
aber erscheint jetzt jene komische nachklappernde rote Frank¬
furter Wurst. Sie birgt seine Eierstöcke und sein weibliches
Geschlechtsthor.

Aber eine neue Frage. Woher jetzt den Mann nehmen?
Ich habe dir bisher von einem männlichen Wurzelkrebs mit
Absicht überhaupt nicht geredet. Denkst du ihn dir ebenso am
Hinterteil einer Krabbe angesaugt, so dürfte die Frage eine
wahre Doktorfrage werden: wie jetzt der eine Schmarotzer zum
zweiten kommen soll, um die Begattung zu vollziehen. Ja, es
müßten eben zwei Krabben zunächst zum Aktus schreiten, --
und während sich die Liebe der beiden beweglichen Großen
vollzieht, müßten die nachgeschleiften Kleinen hinterrücks gleich¬
zeitig ihr Programm erfüllen. Gut erdacht. Aber ein neues

Im Innern angelangt, ſtellt unſer kleiner böſer Wurzler
jetzt das grauſige Geflecht her, von dem wir ſprachen: er „um¬
ſpinnt“ geradezu das Gedärm ſeines unfreiwilligen Wirtes
und ſaugt ſich da aufs vergnüglichſte voll. Beinahe zwei
Jahre dauert dieſes ausſchließliche Innenleben. Eigentliche
Organe braucht er dabei nicht mehr. Die Krabbe, die ſich
mühſam durch Beutejagen, Freſſen und Verdauen ihren
nährenden Lebensſaft ſchafft, ſtrömt gleichſam in ihn über,
ſie jagt, frißt und verdaut auch für ihn mit. Und nur eine
einzige ſelbſtſtändige Handlung bleibt ihm zu thun übrig: zu
lieben.

Das geht nun ſchlechterdings nicht in der Krabbe ſelbſt.
Wohl beſitzt er Geſchlechtsteile, — ſogar urſprünglich Anlage
zu beiden, männlichen und weiblichen. Aber du kennſt das
alte, unerbittliche Geſetz: keine Selbſtbefruchtung. In der
That: das Mannesorgan verkümmert ihm auch lange vor
jeder Benutzungsmöglichkeit und in der Vollkraft ſeiner
Liebeszeit fühlt er ſich ausſchließlich Weib. Was thun? Er
drängelt wieder rückwärts und rutſcht mit einem größeren
Stück ſeines formloſen Leibes wieder aus der Krabbe heraus.
Bloß das ſaugende Wurzelgeſpinſt bleibt im Innern. Außen
aber erſcheint jetzt jene komiſche nachklappernde rote Frank¬
furter Wurſt. Sie birgt ſeine Eierſtöcke und ſein weibliches
Geſchlechtsthor.

Aber eine neue Frage. Woher jetzt den Mann nehmen?
Ich habe dir bisher von einem männlichen Wurzelkrebs mit
Abſicht überhaupt nicht geredet. Denkſt du ihn dir ebenſo am
Hinterteil einer Krabbe angeſaugt, ſo dürfte die Frage eine
wahre Doktorfrage werden: wie jetzt der eine Schmarotzer zum
zweiten kommen ſoll, um die Begattung zu vollziehen. Ja, es
müßten eben zwei Krabben zunächſt zum Aktus ſchreiten, —
und während ſich die Liebe der beiden beweglichen Großen
vollzieht, müßten die nachgeſchleiften Kleinen hinterrücks gleich¬
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[315/0331] Im Innern angelangt, ſtellt unſer kleiner böſer Wurzler jetzt das grauſige Geflecht her, von dem wir ſprachen: er „um¬ ſpinnt“ geradezu das Gedärm ſeines unfreiwilligen Wirtes und ſaugt ſich da aufs vergnüglichſte voll. Beinahe zwei Jahre dauert dieſes ausſchließliche Innenleben. Eigentliche Organe braucht er dabei nicht mehr. Die Krabbe, die ſich mühſam durch Beutejagen, Freſſen und Verdauen ihren nährenden Lebensſaft ſchafft, ſtrömt gleichſam in ihn über, ſie jagt, frißt und verdaut auch für ihn mit. Und nur eine einzige ſelbſtſtändige Handlung bleibt ihm zu thun übrig: zu lieben. Das geht nun ſchlechterdings nicht in der Krabbe ſelbſt. Wohl beſitzt er Geſchlechtsteile, — ſogar urſprünglich Anlage zu beiden, männlichen und weiblichen. Aber du kennſt das alte, unerbittliche Geſetz: keine Selbſtbefruchtung. In der That: das Mannesorgan verkümmert ihm auch lange vor jeder Benutzungsmöglichkeit und in der Vollkraft ſeiner Liebeszeit fühlt er ſich ausſchließlich Weib. Was thun? Er drängelt wieder rückwärts und rutſcht mit einem größeren Stück ſeines formloſen Leibes wieder aus der Krabbe heraus. Bloß das ſaugende Wurzelgeſpinſt bleibt im Innern. Außen aber erſcheint jetzt jene komiſche nachklappernde rote Frank¬ furter Wurſt. Sie birgt ſeine Eierſtöcke und ſein weibliches Geſchlechtsthor. Aber eine neue Frage. Woher jetzt den Mann nehmen? Ich habe dir bisher von einem männlichen Wurzelkrebs mit Abſicht überhaupt nicht geredet. Denkſt du ihn dir ebenſo am Hinterteil einer Krabbe angeſaugt, ſo dürfte die Frage eine wahre Doktorfrage werden: wie jetzt der eine Schmarotzer zum zweiten kommen ſoll, um die Begattung zu vollziehen. Ja, es müßten eben zwei Krabben zunächſt zum Aktus ſchreiten, — und während ſich die Liebe der beiden beweglichen Großen vollzieht, müßten die nachgeſchleiften Kleinen hinterrücks gleich¬ zeitig ihr Programm erfüllen. Gut erdacht. Aber ein neues

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/331>, abgerufen am 24.11.2024.