Das hat Kopfzerbrechen gemacht: in diesem festgewachsenen Rankentier noch den Krebs herauszukennen.
Das fertige Ding selbst kannte man längst, ohne zu ahnen, was es sei. In der naiven Tierkunde des Volks hatte sich, Allah weiß, wie, die Ansicht hartnäckig festgesetzt, jene mysteri¬ ösen Knospen, die man von sturmverschlagenen Schiffsplanken in dicken Sträußen mit rotem Stil und blauer Krone herab¬ hängen sah, seien eine ganz geheimnisvolle Art von Vogel¬ eiern, aus denen durch eine Art Urzeugung die Ringel- oder Bernickelgänse hervorkämen. Es ist, als steckten diese verrückten Tiere den Menschenverstand mit in den Sack. Die nüchterne Forschung hat aber doch schließlich den Krebs herausgeschält und nur der Name "Entenmuschel" ist jener Art geblieben.
Ein Spezialfall dieses kopfhängerischen Rankenfüßerlebens¬ laufs ist nun auch unser Wurzelkrebs. Auch er fegt als regel¬ rechte Krebslarve, die ebenso gut auch eine Garneele werden könnte, durchs freie Wasser. Doch eines Tages kommt auch sein Damaskus, da er Kopf steht. Aber statt der Schiffsplanke oder dem dicken Fell eines alten Walfischvaters, das dem Holz nicht viel nachgiebt, sucht er sich einen näheren Verwandten: die Krabbe. Er will nicht bloß anwachsen. Statt sich mit Zement anzukitten, kriecht er der Krabbe -- er nimmt sich stets eine noch ganz junge dazu -- unter den Schwanz und setzt sich mit ihr in eine ungeheuerliche engste Verbindung.
Er senkt nämlich von sich aus eine Art hohlen Stiels in das Innere der Krabbe und in diesem Stiel läßt er sich dann gewissermaßen selbst in die Krabbe hineinrutschen, indem er gleichzeitig aus seiner bisherigen Larvenhülle sich löst.
Denke dir einen Menschen, der sich etwa mit einem herz¬ haften Kuß an einen zweiten anheftet, -- der dann in sich selbst aus der eigenen Haut fährt und mit einem Ruck ganz in den Mund des anderen flitscht und darin abwärts ver¬ schwindet. Nicht ganz leicht zu denken, was? Aber zeige mal guten Willen!
Das hat Kopfzerbrechen gemacht: in dieſem feſtgewachſenen Rankentier noch den Krebs herauszukennen.
Das fertige Ding ſelbſt kannte man längſt, ohne zu ahnen, was es ſei. In der naiven Tierkunde des Volks hatte ſich, Allah weiß, wie, die Anſicht hartnäckig feſtgeſetzt, jene myſteri¬ öſen Knoſpen, die man von ſturmverſchlagenen Schiffsplanken in dicken Sträußen mit rotem Stil und blauer Krone herab¬ hängen ſah, ſeien eine ganz geheimnisvolle Art von Vogel¬ eiern, aus denen durch eine Art Urzeugung die Ringel- oder Bernickelgänſe hervorkämen. Es iſt, als ſteckten dieſe verrückten Tiere den Menſchenverſtand mit in den Sack. Die nüchterne Forſchung hat aber doch ſchließlich den Krebs herausgeſchält und nur der Name „Entenmuſchel“ iſt jener Art geblieben.
Ein Spezialfall dieſes kopfhängeriſchen Rankenfüßerlebens¬ laufs iſt nun auch unſer Wurzelkrebs. Auch er fegt als regel¬ rechte Krebslarve, die ebenſo gut auch eine Garneele werden könnte, durchs freie Waſſer. Doch eines Tages kommt auch ſein Damaskus, da er Kopf ſteht. Aber ſtatt der Schiffsplanke oder dem dicken Fell eines alten Walfiſchvaters, das dem Holz nicht viel nachgiebt, ſucht er ſich einen näheren Verwandten: die Krabbe. Er will nicht bloß anwachſen. Statt ſich mit Zement anzukitten, kriecht er der Krabbe — er nimmt ſich ſtets eine noch ganz junge dazu — unter den Schwanz und ſetzt ſich mit ihr in eine ungeheuerliche engſte Verbindung.
Er ſenkt nämlich von ſich aus eine Art hohlen Stiels in das Innere der Krabbe und in dieſem Stiel läßt er ſich dann gewiſſermaßen ſelbſt in die Krabbe hineinrutſchen, indem er gleichzeitig aus ſeiner bisherigen Larvenhülle ſich löſt.
Denke dir einen Menſchen, der ſich etwa mit einem herz¬ haften Kuß an einen zweiten anheftet, — der dann in ſich ſelbſt aus der eigenen Haut fährt und mit einem Ruck ganz in den Mund des anderen flitſcht und darin abwärts ver¬ ſchwindet. Nicht ganz leicht zu denken, was? Aber zeige mal guten Willen!
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Das hat Kopfzerbrechen gemacht: in dieſem feſtgewachſenen
Rankentier noch den Krebs herauszukennen.
Das fertige Ding ſelbſt kannte man längſt, ohne zu ahnen,
was es ſei. In der naiven Tierkunde des Volks hatte ſich,
Allah weiß, wie, die Anſicht hartnäckig feſtgeſetzt, jene myſteri¬
öſen Knoſpen, die man von ſturmverſchlagenen Schiffsplanken
in dicken Sträußen mit rotem Stil und blauer Krone herab¬
hängen ſah, ſeien eine ganz geheimnisvolle Art von Vogel¬
eiern, aus denen durch eine Art Urzeugung die Ringel- oder
Bernickelgänſe hervorkämen. Es iſt, als ſteckten dieſe verrückten
Tiere den Menſchenverſtand mit in den Sack. Die nüchterne
Forſchung hat aber doch ſchließlich den Krebs herausgeſchält
und nur der Name „Entenmuſchel“ iſt jener Art geblieben.
Ein Spezialfall dieſes kopfhängeriſchen Rankenfüßerlebens¬
laufs iſt nun auch unſer Wurzelkrebs. Auch er fegt als regel¬
rechte Krebslarve, die ebenſo gut auch eine Garneele werden
könnte, durchs freie Waſſer. Doch eines Tages kommt auch
ſein Damaskus, da er Kopf ſteht. Aber ſtatt der Schiffsplanke
oder dem dicken Fell eines alten Walfiſchvaters, das dem Holz
nicht viel nachgiebt, ſucht er ſich einen näheren Verwandten:
die Krabbe. Er will nicht bloß anwachſen. Statt ſich mit
Zement anzukitten, kriecht er der Krabbe — er nimmt ſich ſtets
eine noch ganz junge dazu — unter den Schwanz und ſetzt
ſich mit ihr in eine ungeheuerliche engſte Verbindung.
Er ſenkt nämlich von ſich aus eine Art hohlen Stiels in
das Innere der Krabbe und in dieſem Stiel läßt er ſich dann
gewiſſermaßen ſelbſt in die Krabbe hineinrutſchen, indem er
gleichzeitig aus ſeiner bisherigen Larvenhülle ſich löſt.
Denke dir einen Menſchen, der ſich etwa mit einem herz¬
haften Kuß an einen zweiten anheftet, — der dann in ſich
ſelbſt aus der eigenen Haut fährt und mit einem Ruck ganz
in den Mund des anderen flitſcht und darin abwärts ver¬
ſchwindet. Nicht ganz leicht zu denken, was? Aber zeige mal
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/330>, abgerufen am 24.11.2024.
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