Krebs gilt: die Lebensregungen der Gattungsindividuen werden in dem Sinne, den man gewöhnlich "geistig" nennt, lebhafter. Ein Krebs oder gar eine Ameise ist ein ganz anders regsames Liebeswesen als etwa ein Blutegel oder gar ein Bandwurm. Wir haben das Erwachen solcher Dinge schon beim Tintenfisch erlebt. Die Liebe wird mit einem Wort jetzt mehr und mehr Gehirnsache.
Wenn man im Menschenleben wohl sagt, Gehirn und Ge¬ schlechtsrausch schlössen sich aus, die Liebe mache dumm und sei wirklich ein rechter Rausch, der die besten Fähigkeiten des Menschen außer Kraft setze, so paßt das eben höchstens auf den Menschen, in dem bewußte Beherrschung der Dinge und dunkler Naturtrieb seit ein paar Jahrtausenden in einer Art Krisis stehen; und selbst auf ihn paßt es eigentlich nur ein¬ seitig und halb.
In der Gesamtheit der tierischen Entwickelung aber siehst du Gehirn und Geschlechtsapparat in einem ganz unzertrenn¬ lichen, höchst fruchtbaren Wechselverhältnis. Gerade die Liebe bedarf des Gehirns in erster Linie, und umgekehrt ist kein Zweifel, daß je beweglicher, thatkräftiger und umsichtiger das Gattungsleben mit allem, was darum und daran hängt (Pflege für die Jungen u. s. w.), sich beim Tier gestaltet, desto sichtbar¬ licher sich ein "Gehirn" ausbildet als eine einheitliche Leitungs¬ stelle für alle diese Handlungen, -- eine oberste Leitungsstelle, die auf die verschiedensten äußeren Anforderungen hin jedesmal möglichst zweckentsprechend reagiert.
Gehirntiere sind auch Liebestiere im verfeinerten Sinne: das ist ein Satz, der unumstößlich ist.
Und so dürfen wir jetzt mit dem Aufstieg in Regionen, wo das Hirn anfängt mächtig zu werden, auch neue inter¬ essantere Liebesregungen in Hülle und Fülle erwarten.
Krebs gilt: die Lebensregungen der Gattungsindividuen werden in dem Sinne, den man gewöhnlich „geiſtig“ nennt, lebhafter. Ein Krebs oder gar eine Ameiſe iſt ein ganz anders regſames Liebesweſen als etwa ein Blutegel oder gar ein Bandwurm. Wir haben das Erwachen ſolcher Dinge ſchon beim Tintenfiſch erlebt. Die Liebe wird mit einem Wort jetzt mehr und mehr Gehirnſache.
Wenn man im Menſchenleben wohl ſagt, Gehirn und Ge¬ ſchlechtsrauſch ſchlöſſen ſich aus, die Liebe mache dumm und ſei wirklich ein rechter Rauſch, der die beſten Fähigkeiten des Menſchen außer Kraft ſetze, ſo paßt das eben höchſtens auf den Menſchen, in dem bewußte Beherrſchung der Dinge und dunkler Naturtrieb ſeit ein paar Jahrtauſenden in einer Art Kriſis ſtehen; und ſelbſt auf ihn paßt es eigentlich nur ein¬ ſeitig und halb.
In der Geſamtheit der tieriſchen Entwickelung aber ſiehſt du Gehirn und Geſchlechtsapparat in einem ganz unzertrenn¬ lichen, höchſt fruchtbaren Wechſelverhältnis. Gerade die Liebe bedarf des Gehirns in erſter Linie, und umgekehrt iſt kein Zweifel, daß je beweglicher, thatkräftiger und umſichtiger das Gattungsleben mit allem, was darum und daran hängt (Pflege für die Jungen u. ſ. w.), ſich beim Tier geſtaltet, deſto ſichtbar¬ licher ſich ein „Gehirn“ ausbildet als eine einheitliche Leitungs¬ ſtelle für alle dieſe Handlungen, — eine oberſte Leitungsſtelle, die auf die verſchiedenſten äußeren Anforderungen hin jedesmal möglichſt zweckentſprechend reagiert.
Gehirntiere ſind auch Liebestiere im verfeinerten Sinne: das iſt ein Satz, der unumſtößlich iſt.
Und ſo dürfen wir jetzt mit dem Aufſtieg in Regionen, wo das Hirn anfängt mächtig zu werden, auch neue inter¬ eſſantere Liebesregungen in Hülle und Fülle erwarten.
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Krebs gilt: die Lebensregungen der Gattungsindividuen werden
in dem Sinne, den man gewöhnlich „geiſtig“ nennt, lebhafter.
Ein Krebs oder gar eine Ameiſe iſt ein ganz anders regſames
Liebesweſen als etwa ein Blutegel oder gar ein Bandwurm.
Wir haben das Erwachen ſolcher Dinge ſchon beim Tintenfiſch
erlebt. Die Liebe wird mit einem Wort jetzt mehr und mehr
Gehirnſache.
Wenn man im Menſchenleben wohl ſagt, Gehirn und Ge¬
ſchlechtsrauſch ſchlöſſen ſich aus, die Liebe mache dumm und ſei
wirklich ein rechter Rauſch, der die beſten Fähigkeiten des
Menſchen außer Kraft ſetze, ſo paßt das eben höchſtens auf
den Menſchen, in dem bewußte Beherrſchung der Dinge und
dunkler Naturtrieb ſeit ein paar Jahrtauſenden in einer Art
Kriſis ſtehen; und ſelbſt auf ihn paßt es eigentlich nur ein¬
ſeitig und halb.
In der Geſamtheit der tieriſchen Entwickelung aber ſiehſt
du Gehirn und Geſchlechtsapparat in einem ganz unzertrenn¬
lichen, höchſt fruchtbaren Wechſelverhältnis. Gerade die Liebe
bedarf des Gehirns in erſter Linie, und umgekehrt iſt kein
Zweifel, daß je beweglicher, thatkräftiger und umſichtiger das
Gattungsleben mit allem, was darum und daran hängt (Pflege
für die Jungen u. ſ. w.), ſich beim Tier geſtaltet, deſto ſichtbar¬
licher ſich ein „Gehirn“ ausbildet als eine einheitliche Leitungs¬
ſtelle für alle dieſe Handlungen, — eine oberſte Leitungsſtelle,
die auf die verſchiedenſten äußeren Anforderungen hin jedesmal
möglichſt zweckentſprechend reagiert.
Gehirntiere ſind auch Liebestiere im verfeinerten Sinne:
das iſt ein Satz, der unumſtößlich iſt.
Und ſo dürfen wir jetzt mit dem Aufſtieg in Regionen,
wo das Hirn anfängt mächtig zu werden, auch neue inter¬
eſſantere Liebesregungen in Hülle und Fülle erwarten.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/326>, abgerufen am 25.11.2024.
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