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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Vorbei!

Ein anderes Bild. Zu dem tragisch-süßen ein grotesk¬
derbes. Aber auf die gleiche Melodie.

Hörst du den Wind pfeifen und die Wasser klatschen?
Norwegen. Herbe Seeluft streicht, mit ihrem Salzhauch und
Fischgeruch. Die Wogen spritzen an der Granitküste. Der ur¬
alten Küste! Hier ragte schon eine riesige Feste, als das andere
Europa noch der Korallenarchipel war, um den die Juradrachen
schwammen. Von hier aus wälzte sich später der schauerliche
Gletscherwall der Eiszeit über das sterbende, verödende, er¬
frierende Norddeutschland. Ein großes, dräuendes, geheimnis¬
reiches Zauberschloß der Erdgeschichte, -- bis auf die Tage,
da die Drachenschiffe der Wikinger sich von hier in die un¬
bekannte Schaumwüste des ungeheuren Erdwassers stürzten,
nach den rot flammenden Vulkanen Islands, nach den grünen
Weinreben des mythischen Amerika vom Jahre Tausend.

Gespensterluft! Auf dem Lande lastet Regengewölk. Über
den Klippen der Seeseite steht hart und nackt ein fahles Licht.
In Himmel und Wassern ist etwas, als nahe ein Unfaßbares
vom offenen Meer. Ein Fliegender Holländer, wie ihn die
Sage sich ersonnen, mit pechschwarzem Takelwerk vor dem
schwefelgelben Himmel. Die Satanshand des Schiffermärchens,
die ihre kolossalen roten Krallen über die Schaumkämme reckt.
Seevögel kreischen mit bangem Laut.

Gespensterluft. Was ist der Menschheit gerade an dieser
Küste nicht schon alles zugeschwommen, -- in der Wahrheit
und im Traum! Hier hat sie den Walfisch zuerst genauer
kennen gelernt, das riesige Säugetier des freien Meeres. Hier
spann sich die Legende an vom Kraken, der wie eine Insel aus


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Vorbei!

Ein anderes Bild. Zu dem tragiſch-ſüßen ein grotesk¬
derbes. Aber auf die gleiche Melodie.

Hörſt du den Wind pfeifen und die Waſſer klatſchen?
Norwegen. Herbe Seeluft ſtreicht, mit ihrem Salzhauch und
Fiſchgeruch. Die Wogen ſpritzen an der Granitküſte. Der ur¬
alten Küſte! Hier ragte ſchon eine rieſige Feſte, als das andere
Europa noch der Korallenarchipel war, um den die Juradrachen
ſchwammen. Von hier aus wälzte ſich ſpäter der ſchauerliche
Gletſcherwall der Eiszeit über das ſterbende, verödende, er¬
frierende Norddeutſchland. Ein großes, dräuendes, geheimnis¬
reiches Zauberſchloß der Erdgeſchichte, — bis auf die Tage,
da die Drachenſchiffe der Wikinger ſich von hier in die un¬
bekannte Schaumwüſte des ungeheuren Erdwaſſers ſtürzten,
nach den rot flammenden Vulkanen Islands, nach den grünen
Weinreben des mythiſchen Amerika vom Jahre Tauſend.

Geſpenſterluft! Auf dem Lande laſtet Regengewölk. Über
den Klippen der Seeſeite ſteht hart und nackt ein fahles Licht.
In Himmel und Waſſern iſt etwas, als nahe ein Unfaßbares
vom offenen Meer. Ein Fliegender Holländer, wie ihn die
Sage ſich erſonnen, mit pechſchwarzem Takelwerk vor dem
ſchwefelgelben Himmel. Die Satanshand des Schiffermärchens,
die ihre koloſſalen roten Krallen über die Schaumkämme reckt.
Seevögel kreiſchen mit bangem Laut.

Geſpenſterluft. Was iſt der Menſchheit gerade an dieſer
Küſte nicht ſchon alles zugeſchwommen, — in der Wahrheit
und im Traum! Hier hat ſie den Walfiſch zuerſt genauer
kennen gelernt, das rieſige Säugetier des freien Meeres. Hier
ſpann ſich die Legende an vom Kraken, der wie eine Inſel aus

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[16/0032] [Abbildung] Vorbei! Ein anderes Bild. Zu dem tragiſch-ſüßen ein grotesk¬ derbes. Aber auf die gleiche Melodie. Hörſt du den Wind pfeifen und die Waſſer klatſchen? Norwegen. Herbe Seeluft ſtreicht, mit ihrem Salzhauch und Fiſchgeruch. Die Wogen ſpritzen an der Granitküſte. Der ur¬ alten Küſte! Hier ragte ſchon eine rieſige Feſte, als das andere Europa noch der Korallenarchipel war, um den die Juradrachen ſchwammen. Von hier aus wälzte ſich ſpäter der ſchauerliche Gletſcherwall der Eiszeit über das ſterbende, verödende, er¬ frierende Norddeutſchland. Ein großes, dräuendes, geheimnis¬ reiches Zauberſchloß der Erdgeſchichte, — bis auf die Tage, da die Drachenſchiffe der Wikinger ſich von hier in die un¬ bekannte Schaumwüſte des ungeheuren Erdwaſſers ſtürzten, nach den rot flammenden Vulkanen Islands, nach den grünen Weinreben des mythiſchen Amerika vom Jahre Tauſend. Geſpenſterluft! Auf dem Lande laſtet Regengewölk. Über den Klippen der Seeſeite ſteht hart und nackt ein fahles Licht. In Himmel und Waſſern iſt etwas, als nahe ein Unfaßbares vom offenen Meer. Ein Fliegender Holländer, wie ihn die Sage ſich erſonnen, mit pechſchwarzem Takelwerk vor dem ſchwefelgelben Himmel. Die Satanshand des Schiffermärchens, die ihre koloſſalen roten Krallen über die Schaumkämme reckt. Seevögel kreiſchen mit bangem Laut. Geſpenſterluft. Was iſt der Menſchheit gerade an dieſer Küſte nicht ſchon alles zugeſchwommen, — in der Wahrheit und im Traum! Hier hat ſie den Walfiſch zuerſt genauer kennen gelernt, das rieſige Säugetier des freien Meeres. Hier ſpann ſich die Legende an vom Kraken, der wie eine Inſel aus

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/32>, abgerufen am 24.11.2024.