so wäre die Ameise wahrscheinlich der intellektuelle Gipfel des ganzen Erdenballs. Man könnte sich sehr gut einen Planeten vorstellen, auf dem die Dinge so lägen. Das ganze Festland dieses Planeten durch die Arbeit von Jahrmillionen in Kultur¬ land umgeformt. Riesenstädte, mit Kuppeln und Gebäuden von den verschiedensten Formen. Ausstrahlend ein Netz von geradlinigen Chausseen. Bis zum Horizont endlose einförmige Felder bestimmter Kulturpflanzen, ab und zu unterbrochen nur von Hürden, in denen ein seltsames Vieh gefüttert und zur rechten Zeit gemolken wird. Die Herren dieses Kulturplaneten aber nicht zweibeinige, aufrecht schreitende Menschen, sondern viel kleinere, sechsbeinige, eigentümlich am Leibe gegliederte Geschöpfe: Ameisen. Ameisen von jenen höchsten, auch heute bei uns existierenden Gattungen, die in umfassenden sozialen Verbänden lebend ihre großartigen Bauten anlegen, bestimmte, ihnen angenehme Grasarten zu hegen und zu mehren wissen, Blattläuse wie Kühe einsperren, schützen und durch Melken ihres Zuckersaftes entleeren, und die nichts brauchten als absolute Konkurrenzfreiheit und die nötige Zeit, um ihren ge¬ samten Planeten ebenso in "ihr Werk" zu verwandeln, wie es der Kulturmensch jetzt seit einigen Jahrtausenden so energisch zu thun begonnen hat.
Du kennst die Ameise, wenn du auch vielleicht nicht darüber unterrichtet bist, daß sie so hoch steht; du kennst auch den Schmetterling. Ameise sowohl wie Schmetterling sind Insekten.
Das Wort wird deutsch mit "Kerbtiere" wiedergegeben, -- Tiere, die gewisse Kerben oder Einschnitte an ihrem Leibe zeigen, die diesen Leib in mehrere unterscheidbare Teile trennen. Tiere, die außer Schmetterling und Ameise noch zu den In¬ sekten gehören, umgeben dich auf Schritt und Tritt. Die Fliege, die sich dir eben auf die Nase setzt, ist ein Insekt. Ein Insekt ist das Heimchen, das an deinem Herde singt, ein Insekt der gespenstische schwarze Schwabe, der nächtlicher Weile
ſo wäre die Ameiſe wahrſcheinlich der intellektuelle Gipfel des ganzen Erdenballs. Man könnte ſich ſehr gut einen Planeten vorſtellen, auf dem die Dinge ſo lägen. Das ganze Feſtland dieſes Planeten durch die Arbeit von Jahrmillionen in Kultur¬ land umgeformt. Rieſenſtädte, mit Kuppeln und Gebäuden von den verſchiedenſten Formen. Ausſtrahlend ein Netz von geradlinigen Chauſſeen. Bis zum Horizont endloſe einförmige Felder beſtimmter Kulturpflanzen, ab und zu unterbrochen nur von Hürden, in denen ein ſeltſames Vieh gefüttert und zur rechten Zeit gemolken wird. Die Herren dieſes Kulturplaneten aber nicht zweibeinige, aufrecht ſchreitende Menſchen, ſondern viel kleinere, ſechsbeinige, eigentümlich am Leibe gegliederte Geſchöpfe: Ameiſen. Ameiſen von jenen höchſten, auch heute bei uns exiſtierenden Gattungen, die in umfaſſenden ſozialen Verbänden lebend ihre großartigen Bauten anlegen, beſtimmte, ihnen angenehme Grasarten zu hegen und zu mehren wiſſen, Blattläuſe wie Kühe einſperren, ſchützen und durch Melken ihres Zuckerſaftes entleeren, und die nichts brauchten als abſolute Konkurrenzfreiheit und die nötige Zeit, um ihren ge¬ ſamten Planeten ebenſo in „ihr Werk“ zu verwandeln, wie es der Kulturmenſch jetzt ſeit einigen Jahrtauſenden ſo energiſch zu thun begonnen hat.
Du kennſt die Ameiſe, wenn du auch vielleicht nicht darüber unterrichtet biſt, daß ſie ſo hoch ſteht; du kennſt auch den Schmetterling. Ameiſe ſowohl wie Schmetterling ſind Inſekten.
Das Wort wird deutſch mit „Kerbtiere“ wiedergegeben, — Tiere, die gewiſſe Kerben oder Einſchnitte an ihrem Leibe zeigen, die dieſen Leib in mehrere unterſcheidbare Teile trennen. Tiere, die außer Schmetterling und Ameiſe noch zu den In¬ ſekten gehören, umgeben dich auf Schritt und Tritt. Die Fliege, die ſich dir eben auf die Naſe ſetzt, iſt ein Inſekt. Ein Inſekt iſt das Heimchen, das an deinem Herde ſingt, ein Inſekt der geſpenſtiſche ſchwarze Schwabe, der nächtlicher Weile
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ſo wäre die Ameiſe wahrſcheinlich der intellektuelle Gipfel des
ganzen Erdenballs. Man könnte ſich ſehr gut einen Planeten
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dieſes Planeten durch die Arbeit von Jahrmillionen in Kultur¬
land umgeformt. Rieſenſtädte, mit Kuppeln und Gebäuden
von den verſchiedenſten Formen. Ausſtrahlend ein Netz von
geradlinigen Chauſſeen. Bis zum Horizont endloſe einförmige
Felder beſtimmter Kulturpflanzen, ab und zu unterbrochen nur
von Hürden, in denen ein ſeltſames Vieh gefüttert und zur
rechten Zeit gemolken wird. Die Herren dieſes Kulturplaneten
aber nicht zweibeinige, aufrecht ſchreitende Menſchen, ſondern
viel kleinere, ſechsbeinige, eigentümlich am Leibe gegliederte
Geſchöpfe: Ameiſen. Ameiſen von jenen höchſten, auch heute
bei uns exiſtierenden Gattungen, die in umfaſſenden ſozialen
Verbänden lebend ihre großartigen Bauten anlegen, beſtimmte,
ihnen angenehme Grasarten zu hegen und zu mehren wiſſen,
Blattläuſe wie Kühe einſperren, ſchützen und durch Melken
ihres Zuckerſaftes entleeren, und die nichts brauchten als
abſolute Konkurrenzfreiheit und die nötige Zeit, um ihren ge¬
ſamten Planeten ebenſo in „ihr Werk“ zu verwandeln, wie
es der Kulturmenſch jetzt ſeit einigen Jahrtauſenden ſo energiſch
zu thun begonnen hat.
Du kennſt die Ameiſe, wenn du auch vielleicht nicht
darüber unterrichtet biſt, daß ſie ſo hoch ſteht; du kennſt auch
den Schmetterling. Ameiſe ſowohl wie Schmetterling ſind
Inſekten.
Das Wort wird deutſch mit „Kerbtiere“ wiedergegeben, —
Tiere, die gewiſſe Kerben oder Einſchnitte an ihrem Leibe
zeigen, die dieſen Leib in mehrere unterſcheidbare Teile trennen.
Tiere, die außer Schmetterling und Ameiſe noch zu den In¬
ſekten gehören, umgeben dich auf Schritt und Tritt. Die
Fliege, die ſich dir eben auf die Naſe ſetzt, iſt ein Inſekt.
Ein Inſekt iſt das Heimchen, das an deinem Herde ſingt, ein
Inſekt der geſpenſtiſche ſchwarze Schwabe, der nächtlicher Weile
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/319>, abgerufen am 25.11.2024.
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