gelegenen Geschlechtswerkstätten. Sollte der männliche Samen also bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬ mannes bis an die wahre weibliche Eierstelle gebracht werden, so müßte das betreffende männliche Organ erst durch den er¬ wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬ geführt werden. Du ahnst, daß das ein gewaltig langes Be¬ gattungsglied nötig machte.
Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du siehst, daß dieser Hohlraum und seine Außenöffnung für gewöhnlich noch anderen wichtigen Zwecken ihres Besitzers dienen. Sie vermitteln zunächst seine Atmung: in den Hohlraum öffnen sich seine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden Meerwasser bespült und mit Sauerstoff versorgt werden. Ferner dient der Hohlraum als äußerst sinnreicher Schwimmapparat: indem er Wasser durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt fest zugepreßt und das Wasser durch die erwähnte kleine Röhre neben ihm gewaltsam ausgetrieben wird, entsteht ein kräftiger Rückstoß, der den ganzen leichten Tintenfisch pfeilschnell rück¬ wärts dahinschießen läßt. Eine zeitweilige Versperrung der Hohlraumspalte durch ein eindringendes Mannesglied würde also, wie du begreifst, hier sowohl mit dem wichtigsten Be¬ wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kollision kommen: es wäre, ins Menschliche umgedeutet, schon allein das letztere etwa so, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug in die Stimmritze eingeführt werden sollte!
Der Tintenfisch, wie gesagt, macht das Unmögliche möglich.
Auf den ersten äußeren Anblick scheint es allerdings, als habe der Tintenmann weder ein entsprechend langes noch ein kurzes Geschlechtsglied am Leibe, sondern überhaupt keins. Sein Leibessack erscheint als der gleiche lückenlose Apfel wie der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede Andeutung eines besonderen Mannesapparates. Aber der Beobachter bei jenem wüsten Liebeskampf der Tintengatten
gelegenen Geſchlechtswerkſtätten. Sollte der männliche Samen alſo bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬ mannes bis an die wahre weibliche Eierſtelle gebracht werden, ſo müßte das betreffende männliche Organ erſt durch den er¬ wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬ geführt werden. Du ahnſt, daß das ein gewaltig langes Be¬ gattungsglied nötig machte.
Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du ſiehſt, daß dieſer Hohlraum und ſeine Außenöffnung für gewöhnlich noch anderen wichtigen Zwecken ihres Beſitzers dienen. Sie vermitteln zunächſt ſeine Atmung: in den Hohlraum öffnen ſich ſeine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden Meerwaſſer beſpült und mit Sauerſtoff verſorgt werden. Ferner dient der Hohlraum als äußerſt ſinnreicher Schwimmapparat: indem er Waſſer durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt feſt zugepreßt und das Waſſer durch die erwähnte kleine Röhre neben ihm gewaltſam ausgetrieben wird, entſteht ein kräftiger Rückſtoß, der den ganzen leichten Tintenfiſch pfeilſchnell rück¬ wärts dahinſchießen läßt. Eine zeitweilige Verſperrung der Hohlraumſpalte durch ein eindringendes Mannesglied würde alſo, wie du begreifſt, hier ſowohl mit dem wichtigſten Be¬ wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kolliſion kommen: es wäre, ins Menſchliche umgedeutet, ſchon allein das letztere etwa ſo, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug in die Stimmritze eingeführt werden ſollte!
Der Tintenfiſch, wie geſagt, macht das Unmögliche möglich.
Auf den erſten äußeren Anblick ſcheint es allerdings, als habe der Tintenmann weder ein entſprechend langes noch ein kurzes Geſchlechtsglied am Leibe, ſondern überhaupt keins. Sein Leibesſack erſcheint als der gleiche lückenloſe Apfel wie der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede Andeutung eines beſonderen Mannesapparates. Aber der Beobachter bei jenem wüſten Liebeskampf der Tintengatten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0315"n="299"/>
gelegenen Geſchlechtswerkſtätten. Sollte der männliche Samen<lb/>
alſo bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬<lb/>
mannes bis an die wahre weibliche Eierſtelle gebracht werden,<lb/>ſo müßte das betreffende männliche Organ erſt durch den er¬<lb/>
wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬<lb/>
geführt werden. Du ahnſt, daß das ein gewaltig langes Be¬<lb/>
gattungsglied nötig machte.</p><lb/><p>Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du ſiehſt,<lb/>
daß dieſer Hohlraum und ſeine Außenöffnung für gewöhnlich<lb/>
noch anderen wichtigen Zwecken ihres Beſitzers dienen. Sie<lb/>
vermitteln zunächſt ſeine Atmung: in den Hohlraum öffnen<lb/>ſich ſeine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden<lb/>
Meerwaſſer beſpült und mit Sauerſtoff verſorgt werden. Ferner<lb/>
dient der Hohlraum als äußerſt ſinnreicher Schwimmapparat:<lb/>
indem er Waſſer durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt<lb/>
feſt zugepreßt und das Waſſer durch die erwähnte kleine Röhre<lb/>
neben ihm gewaltſam ausgetrieben wird, entſteht ein kräftiger<lb/>
Rückſtoß, der den ganzen leichten Tintenfiſch pfeilſchnell rück¬<lb/>
wärts dahinſchießen läßt. Eine zeitweilige Verſperrung der<lb/>
Hohlraumſpalte durch ein eindringendes Mannesglied würde<lb/>
alſo, wie du begreifſt, hier ſowohl mit dem wichtigſten Be¬<lb/>
wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kolliſion kommen:<lb/>
es wäre, ins Menſchliche umgedeutet, ſchon allein das letztere<lb/>
etwa ſo, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als<lb/>
Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug<lb/>
in die Stimmritze eingeführt werden ſollte!</p><lb/><p>Der Tintenfiſch, wie geſagt, macht das Unmögliche möglich.</p><lb/><p>Auf den erſten äußeren Anblick ſcheint es allerdings, als<lb/>
habe der Tintenmann weder ein entſprechend langes noch ein<lb/>
kurzes Geſchlechtsglied am Leibe, ſondern überhaupt keins.<lb/>
Sein Leibesſack erſcheint als der gleiche lückenloſe Apfel wie<lb/>
der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede<lb/>
Andeutung eines beſonderen Mannesapparates. Aber der<lb/>
Beobachter bei jenem wüſten Liebeskampf der Tintengatten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[299/0315]
gelegenen Geſchlechtswerkſtätten. Sollte der männliche Samen
alſo bei der Begattung durch irgend ein Organ des Tinten¬
mannes bis an die wahre weibliche Eierſtelle gebracht werden,
ſo müßte das betreffende männliche Organ erſt durch den er¬
wähnten Spalt oder Trichter in den großen Hohlraum ein¬
geführt werden. Du ahnſt, daß das ein gewaltig langes Be¬
gattungsglied nötig machte.
Die Sache wird aber noch komplizierter, wenn du ſiehſt,
daß dieſer Hohlraum und ſeine Außenöffnung für gewöhnlich
noch anderen wichtigen Zwecken ihres Beſitzers dienen. Sie
vermitteln zunächſt ſeine Atmung: in den Hohlraum öffnen
ſich ſeine Kiemen, die von dem durch den Spalt eintretenden
Meerwaſſer beſpült und mit Sauerſtoff verſorgt werden. Ferner
dient der Hohlraum als äußerſt ſinnreicher Schwimmapparat:
indem er Waſſer durch den Spalt aufnimmt, dann der Spalt
feſt zugepreßt und das Waſſer durch die erwähnte kleine Röhre
neben ihm gewaltſam ausgetrieben wird, entſteht ein kräftiger
Rückſtoß, der den ganzen leichten Tintenfiſch pfeilſchnell rück¬
wärts dahinſchießen läßt. Eine zeitweilige Verſperrung der
Hohlraumſpalte durch ein eindringendes Mannesglied würde
alſo, wie du begreifſt, hier ſowohl mit dem wichtigſten Be¬
wegungsmechanismus wie mit der Atmung in Kolliſion kommen:
es wäre, ins Menſchliche umgedeutet, ſchon allein das letztere
etwa ſo, wie wenn die Luftröhre des Weibes zugleich als
Scheide dienen und bei der Begattung das männliche Werkzeug
in die Stimmritze eingeführt werden ſollte!
Der Tintenfiſch, wie geſagt, macht das Unmögliche möglich.
Auf den erſten äußeren Anblick ſcheint es allerdings, als
habe der Tintenmann weder ein entſprechend langes noch ein
kurzes Geſchlechtsglied am Leibe, ſondern überhaupt keins.
Sein Leibesſack erſcheint als der gleiche lückenloſe Apfel wie
der des Tintenweibes, mit Spalt und Röhre, aber ohne jede
Andeutung eines beſonderen Mannesapparates. Aber der
Beobachter bei jenem wüſten Liebeskampf der Tintengatten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/315>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.