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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Dicht an der Innenfläche des Aquariumfensters packten
sich zwei liebestolle "Kraken" und begannen, wie ein Zuschauer
berichtet, einen Tanz miteinander, daß man meinte, es gehe
auf Leben und Tod. Die Tiere schaukeln halb frei im Wasser,
einer Spinne gleich, die auf ihrem Netze schwebt. Das stützende
Netz bilden dabei einige der langen Arme selbst, die mit ihren
Saugnäpfen hier an der Glasscheibe, dort an den Steinen der
Beckenwand haften und so die dicken Leiber frei balancieren.
Was von Armen nicht nötig ist, umklammert sich dagegen zu
unzerreißbarem Knäuel, als gälte es die Knebelung eines Beute¬
opfers, das gefressen werden soll. Die Augen funkeln, die
runden Bäuche, deren Haut bei den Tintenfischen die Gabe
beliebigen Farbenwechsels wie beim Chamäleon besitzt, färben
sich dunkelbraun und wenden und blähen sich so heftig, daß
das Wasser in mächtige Wallung gerät. Über eine Stunde
lang dauert die verliebte Balgerei. Rücksichtslos wird der
Genosse bald fast zum Platzen gepreßt, bald dieser oder jener
angesaugte Arm so gewaltsam wieder von ihm losgerissen,
daß die Haut in Fetzen geht.

Kein Wunder aber: all dieses Ungestüm. Denn die Be¬
gattung der Tintenfische macht, in ihren anatomischen Details
betrachtet, wie Ibsens Baumeister Solneß sagt: das Unmög¬
liche möglich.

Die innerliche Begattung der Tiere wird, im Gegensatz
zu andern Formen, wie du weißt und auch im Laufe unserer
Betrachtung hier jetzt schon mehrfach bei niederen Tieren beob¬
achtet hast, so vollzogen, daß ein Körperteil des Männchens
in den Leib des Weibchens eingeführt werden muß. Es ist
keine Frage, daß diese Methode für den Gattungszweck selbst
ziemlich sicher ist. Aber sie hat auch ihre unverkennbaren
Schattenseiten.

Je mehr die Tiere sich kompliziert haben, große, freie
Bewegungsmaschinen geworden sind, desto unbequemer ist dieser
Einigungsprozeß geworden. Wir sehen in der ganzen höheren

Dicht an der Innenfläche des Aquariumfenſters packten
ſich zwei liebestolle „Kraken“ und begannen, wie ein Zuſchauer
berichtet, einen Tanz miteinander, daß man meinte, es gehe
auf Leben und Tod. Die Tiere ſchaukeln halb frei im Waſſer,
einer Spinne gleich, die auf ihrem Netze ſchwebt. Das ſtützende
Netz bilden dabei einige der langen Arme ſelbſt, die mit ihren
Saugnäpfen hier an der Glasſcheibe, dort an den Steinen der
Beckenwand haften und ſo die dicken Leiber frei balancieren.
Was von Armen nicht nötig iſt, umklammert ſich dagegen zu
unzerreißbarem Knäuel, als gälte es die Knebelung eines Beute¬
opfers, das gefreſſen werden ſoll. Die Augen funkeln, die
runden Bäuche, deren Haut bei den Tintenfiſchen die Gabe
beliebigen Farbenwechſels wie beim Chamäleon beſitzt, färben
ſich dunkelbraun und wenden und blähen ſich ſo heftig, daß
das Waſſer in mächtige Wallung gerät. Über eine Stunde
lang dauert die verliebte Balgerei. Rückſichtslos wird der
Genoſſe bald faſt zum Platzen gepreßt, bald dieſer oder jener
angeſaugte Arm ſo gewaltſam wieder von ihm losgeriſſen,
daß die Haut in Fetzen geht.

Kein Wunder aber: all dieſes Ungeſtüm. Denn die Be¬
gattung der Tintenfiſche macht, in ihren anatomiſchen Details
betrachtet, wie Ibſens Baumeiſter Solneß ſagt: das Unmög¬
liche möglich.

Die innerliche Begattung der Tiere wird, im Gegenſatz
zu andern Formen, wie du weißt und auch im Laufe unſerer
Betrachtung hier jetzt ſchon mehrfach bei niederen Tieren beob¬
achtet haſt, ſo vollzogen, daß ein Körperteil des Männchens
in den Leib des Weibchens eingeführt werden muß. Es iſt
keine Frage, daß dieſe Methode für den Gattungszweck ſelbſt
ziemlich ſicher iſt. Aber ſie hat auch ihre unverkennbaren
Schattenſeiten.

Je mehr die Tiere ſich kompliziert haben, große, freie
Bewegungsmaſchinen geworden ſind, deſto unbequemer iſt dieſer
Einigungsprozeß geworden. Wir ſehen in der ganzen höheren

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[296/0312] Dicht an der Innenfläche des Aquariumfenſters packten ſich zwei liebestolle „Kraken“ und begannen, wie ein Zuſchauer berichtet, einen Tanz miteinander, daß man meinte, es gehe auf Leben und Tod. Die Tiere ſchaukeln halb frei im Waſſer, einer Spinne gleich, die auf ihrem Netze ſchwebt. Das ſtützende Netz bilden dabei einige der langen Arme ſelbſt, die mit ihren Saugnäpfen hier an der Glasſcheibe, dort an den Steinen der Beckenwand haften und ſo die dicken Leiber frei balancieren. Was von Armen nicht nötig iſt, umklammert ſich dagegen zu unzerreißbarem Knäuel, als gälte es die Knebelung eines Beute¬ opfers, das gefreſſen werden ſoll. Die Augen funkeln, die runden Bäuche, deren Haut bei den Tintenfiſchen die Gabe beliebigen Farbenwechſels wie beim Chamäleon beſitzt, färben ſich dunkelbraun und wenden und blähen ſich ſo heftig, daß das Waſſer in mächtige Wallung gerät. Über eine Stunde lang dauert die verliebte Balgerei. Rückſichtslos wird der Genoſſe bald faſt zum Platzen gepreßt, bald dieſer oder jener angeſaugte Arm ſo gewaltſam wieder von ihm losgeriſſen, daß die Haut in Fetzen geht. Kein Wunder aber: all dieſes Ungeſtüm. Denn die Be¬ gattung der Tintenfiſche macht, in ihren anatomiſchen Details betrachtet, wie Ibſens Baumeiſter Solneß ſagt: das Unmög¬ liche möglich. Die innerliche Begattung der Tiere wird, im Gegenſatz zu andern Formen, wie du weißt und auch im Laufe unſerer Betrachtung hier jetzt ſchon mehrfach bei niederen Tieren beob¬ achtet haſt, ſo vollzogen, daß ein Körperteil des Männchens in den Leib des Weibchens eingeführt werden muß. Es iſt keine Frage, daß dieſe Methode für den Gattungszweck ſelbſt ziemlich ſicher iſt. Aber ſie hat auch ihre unverkennbaren Schattenſeiten. Je mehr die Tiere ſich kompliziert haben, große, freie Bewegungsmaſchinen geworden ſind, deſto unbequemer iſt dieſer Einigungsprozeß geworden. Wir ſehen in der ganzen höheren

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/312>, abgerufen am 25.11.2024.