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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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wird Geld verdient, um sie zu bezahlen. Und dann wird sie
gegessen, mit oder ohne Zitrone. Das haben die alten
Schlemmer an der Tafel des Horaz auch schon so gemacht
und wußten ebenso wenig, was das für ein Geschöpf war.
Sie kannten aber die irrealen Bedingungssätze und vermachten
sie uns und die gehören nun als unumgänglich nötiger Be¬
standteil zu unserer humanistischen Bildung. Darüber ließe
sich nun sehr streiten.

Die Auster ist aber auf alle Fälle eigentlich ein zu liebens¬
würdiger Gegenstand, um sich über sie weg zu streiten, und
so sei es ferne von uns.

Für mich hat jede Auster ein gut Stück Poesie. Ich ge¬
denke stiller Lebensstunden, die ich so nicht missen möchte in
der Erinnerung. Stunden, wo der einfache Genuß in eine
gewisse weihevolle Vergeistigung überging. Liebe Mädchenköpfe
tauchen mir auf -- und allerlei ..... Sicherlich von sämt¬
lichen kulinarischen Hochgaben ist die Auster eine der idealsten.
Nur ganz wenige können sich mit ihr messen, -- charakte¬
ristischerweise lauter "reine" Speisen, die keiner eigentlichen
Zubereitung mehr bedürfen. Zum Beispiel die Trüffel. Was
sonst nur vom Getränk, vom Wein gilt: die Auster hat Blume.
Und sie hat Perspektive. Wie der Duft der Trüffel ferne
fort in die wurzelversponnene Dornröschenheimlichkeit des ver¬
wunschenen Waldes, zu dem Grabe Merlins lockt, der unter
flammendgrünen tausendjährigen Eichen schläft, so läßt die
Auster dich weit im Binnenland im Geiste hinauswandern an
die See mit ihrem Salzatem, ihrem Schaum, abgrundtief
hinein in das schwarzgrüne Riesenmärchen des ewigen Meeres,
das weiße Kämme wirft und über dem die Möwen wie Flocken
wehen.

Und der Geist schwebt mit der Möwe von dem einen
Märchen zu dem anderen. Wie einst alle Menschen, alle, bei
Austern und altem Rheinwein säßen, einig und versöhnt und
endlich alle wirklich daheim auf dieser reichen Erde, die von

wird Geld verdient, um ſie zu bezahlen. Und dann wird ſie
gegeſſen, mit oder ohne Zitrone. Das haben die alten
Schlemmer an der Tafel des Horaz auch ſchon ſo gemacht
und wußten ebenſo wenig, was das für ein Geſchöpf war.
Sie kannten aber die irrealen Bedingungsſätze und vermachten
ſie uns und die gehören nun als unumgänglich nötiger Be¬
ſtandteil zu unſerer humaniſtiſchen Bildung. Darüber ließe
ſich nun ſehr ſtreiten.

Die Auſter iſt aber auf alle Fälle eigentlich ein zu liebens¬
würdiger Gegenſtand, um ſich über ſie weg zu ſtreiten, und
ſo ſei es ferne von uns.

Für mich hat jede Auſter ein gut Stück Poeſie. Ich ge¬
denke ſtiller Lebensſtunden, die ich ſo nicht miſſen möchte in
der Erinnerung. Stunden, wo der einfache Genuß in eine
gewiſſe weihevolle Vergeiſtigung überging. Liebe Mädchenköpfe
tauchen mir auf — und allerlei ..... Sicherlich von ſämt¬
lichen kulinariſchen Hochgaben iſt die Auſter eine der idealſten.
Nur ganz wenige können ſich mit ihr meſſen, — charakte¬
riſtiſcherweiſe lauter „reine“ Speiſen, die keiner eigentlichen
Zubereitung mehr bedürfen. Zum Beiſpiel die Trüffel. Was
ſonſt nur vom Getränk, vom Wein gilt: die Auſter hat Blume.
Und ſie hat Perſpektive. Wie der Duft der Trüffel ferne
fort in die wurzelverſponnene Dornröschenheimlichkeit des ver¬
wunſchenen Waldes, zu dem Grabe Merlins lockt, der unter
flammendgrünen tauſendjährigen Eichen ſchläft, ſo läßt die
Auſter dich weit im Binnenland im Geiſte hinauswandern an
die See mit ihrem Salzatem, ihrem Schaum, abgrundtief
hinein in das ſchwarzgrüne Rieſenmärchen des ewigen Meeres,
das weiße Kämme wirft und über dem die Möwen wie Flocken
wehen.

Und der Geiſt ſchwebt mit der Möwe von dem einen
Märchen zu dem anderen. Wie einſt alle Menſchen, alle, bei
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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/296>, abgerufen am 24.11.2024.