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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Wurm ist beides zugleich. Könnten die verliebten Ringer aber
jetzt kristallhell im Innern werden, so sähest du folgendes.

Im zehnten und elften Ringe jedes Leibes (vom Kopfende
her gezählt, wo der Mund liegt) sitzen bei jedem zwei Paar
Hoden (Samenerzeuger), die durch große Samenleiter sich im
fünfzehnten Ring nach außen öffnen. In denselben Ringen,
die die Hoden führen, finden sich aber auch bei jedem je ein
Paar sogenannter Samentaschen, bereit, männlichen Samen von
außen aufzunehmen und zur rechten Zeit den etwas weiter
zurückgelegenen Eileitern zuzuführen, wo er die vom Eierstock
herabsteigenden weiblichen Eier befruchten mag.

Jeder Zwitterwurm sucht sich also jetzt mit der kritischen
Gegend des zehnten bis fünfzehnten Leibesringes so an seinen
Widerpart anzudrängen, daß die eigene strotzende Samen¬
mündung auf die leere Samentasche des anderen und die
eigene Samentasche gegen die fremde Samenmündung gepreßt
wird. In der Erregung des Augenblicks beginnen die Haut¬
drüsen der betreffenden Ringe eine jäh eintrocknende Flüssigkeit
abzusondern, die für die Dauer des Aktes eine Art von gemein¬
samer Schwimmhose um die ganze Geschlechtsgegend beider
bildet und das Paar auch äußerlich so fest verknüpft, als seien
sie zeitweise wirklich zusammengewachsen. Unter dem Schutz
dieser Bandage löst sich jetzt bei beiden die Samenflüssigkeit
und fließt in die Samentaschen beider ein. Ist das Ganze
vollzogen, so streift sich der zähe Ring auch alsbald wieder ab:
jeder Wurm ist jetzt von seinem eigenen Samen befreit, trägt
dafür aber ein Reservoir mit fremdem im Leibe, aus dem er
nunmehr, da die Gefahr der eigentlichen Selbstbefruchtung be¬
seitigt ist, nach Bedarf die eigenen weiblichen Eier selber be¬
fruchten darf.

Sehr ähnlich vollzieht sich der Liebesakt der Blutegel,
bloß natürlich im Wasser. Das Blutegelpaar legt sich zur
Frühlingszeit so aneinander, daß Kopf und Schwanz der beiden
nach derselben Richtung schaut. Die besonderen Samentaschen

Wurm iſt beides zugleich. Könnten die verliebten Ringer aber
jetzt kriſtallhell im Innern werden, ſo ſäheſt du folgendes.

Im zehnten und elften Ringe jedes Leibes (vom Kopfende
her gezählt, wo der Mund liegt) ſitzen bei jedem zwei Paar
Hoden (Samenerzeuger), die durch große Samenleiter ſich im
fünfzehnten Ring nach außen öffnen. In denſelben Ringen,
die die Hoden führen, finden ſich aber auch bei jedem je ein
Paar ſogenannter Samentaſchen, bereit, männlichen Samen von
außen aufzunehmen und zur rechten Zeit den etwas weiter
zurückgelegenen Eileitern zuzuführen, wo er die vom Eierſtock
herabſteigenden weiblichen Eier befruchten mag.

Jeder Zwitterwurm ſucht ſich alſo jetzt mit der kritiſchen
Gegend des zehnten bis fünfzehnten Leibesringes ſo an ſeinen
Widerpart anzudrängen, daß die eigene ſtrotzende Samen¬
mündung auf die leere Samentaſche des anderen und die
eigene Samentaſche gegen die fremde Samenmündung gepreßt
wird. In der Erregung des Augenblicks beginnen die Haut¬
drüſen der betreffenden Ringe eine jäh eintrocknende Flüſſigkeit
abzuſondern, die für die Dauer des Aktes eine Art von gemein¬
ſamer Schwimmhoſe um die ganze Geſchlechtsgegend beider
bildet und das Paar auch äußerlich ſo feſt verknüpft, als ſeien
ſie zeitweiſe wirklich zuſammengewachſen. Unter dem Schutz
dieſer Bandage löſt ſich jetzt bei beiden die Samenflüſſigkeit
und fließt in die Samentaſchen beider ein. Iſt das Ganze
vollzogen, ſo ſtreift ſich der zähe Ring auch alsbald wieder ab:
jeder Wurm iſt jetzt von ſeinem eigenen Samen befreit, trägt
dafür aber ein Reſervoir mit fremdem im Leibe, aus dem er
nunmehr, da die Gefahr der eigentlichen Selbſtbefruchtung be¬
ſeitigt iſt, nach Bedarf die eigenen weiblichen Eier ſelber be¬
fruchten darf.

Sehr ähnlich vollzieht ſich der Liebesakt der Blutegel,
bloß natürlich im Waſſer. Das Blutegelpaar legt ſich zur
Frühlingszeit ſo aneinander, daß Kopf und Schwanz der beiden
nach derſelben Richtung ſchaut. Die beſonderen Samentaſchen

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[263/0279] Wurm iſt beides zugleich. Könnten die verliebten Ringer aber jetzt kriſtallhell im Innern werden, ſo ſäheſt du folgendes. Im zehnten und elften Ringe jedes Leibes (vom Kopfende her gezählt, wo der Mund liegt) ſitzen bei jedem zwei Paar Hoden (Samenerzeuger), die durch große Samenleiter ſich im fünfzehnten Ring nach außen öffnen. In denſelben Ringen, die die Hoden führen, finden ſich aber auch bei jedem je ein Paar ſogenannter Samentaſchen, bereit, männlichen Samen von außen aufzunehmen und zur rechten Zeit den etwas weiter zurückgelegenen Eileitern zuzuführen, wo er die vom Eierſtock herabſteigenden weiblichen Eier befruchten mag. Jeder Zwitterwurm ſucht ſich alſo jetzt mit der kritiſchen Gegend des zehnten bis fünfzehnten Leibesringes ſo an ſeinen Widerpart anzudrängen, daß die eigene ſtrotzende Samen¬ mündung auf die leere Samentaſche des anderen und die eigene Samentaſche gegen die fremde Samenmündung gepreßt wird. In der Erregung des Augenblicks beginnen die Haut¬ drüſen der betreffenden Ringe eine jäh eintrocknende Flüſſigkeit abzuſondern, die für die Dauer des Aktes eine Art von gemein¬ ſamer Schwimmhoſe um die ganze Geſchlechtsgegend beider bildet und das Paar auch äußerlich ſo feſt verknüpft, als ſeien ſie zeitweiſe wirklich zuſammengewachſen. Unter dem Schutz dieſer Bandage löſt ſich jetzt bei beiden die Samenflüſſigkeit und fließt in die Samentaſchen beider ein. Iſt das Ganze vollzogen, ſo ſtreift ſich der zähe Ring auch alsbald wieder ab: jeder Wurm iſt jetzt von ſeinem eigenen Samen befreit, trägt dafür aber ein Reſervoir mit fremdem im Leibe, aus dem er nunmehr, da die Gefahr der eigentlichen Selbſtbefruchtung be¬ ſeitigt iſt, nach Bedarf die eigenen weiblichen Eier ſelber be¬ fruchten darf. Sehr ähnlich vollzieht ſich der Liebesakt der Blutegel, bloß natürlich im Waſſer. Das Blutegelpaar legt ſich zur Frühlingszeit ſo aneinander, daß Kopf und Schwanz der beiden nach derſelben Richtung ſchaut. Die beſonderen Samentaſchen

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/279>, abgerufen am 28.11.2024.