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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Von den Würmern im allgemeinen läßt sich noch manch
seltsames Liebeskapitel schreiben. Gleich neben den Älchen
findest du unter den Fadenwürmern den Syngamus. Syn heißt
auf griechisch zusammen und Gamos heißt die Ehe. Da hast
du denn nun in der That ein Geschöpf, das die Ehe ver¬
zweifelt ernst nimmt. Der Syngamus bietet zugleich ein
hübsches Beispiel, daß man überall wohnen kann. Laß dir
ein Härchen ins verkehrte Hälschen, wie man am Rhein sagt,
kommen, recht tief und ungemütlich, daß du vor Husten beinah
erstickst. Und in diesem instruktiven Moment male dir aus,
daß das Härchen zu einem lebendigen Wurm auswachse, der
deine Luftröhre zum gewohnheitsmäßigen Verkehrslokal, Kost¬
haus und Liebeslager erkoren habe. Eine größere Anzahl
Vögel, Elstern, Spechte, Fasanen, Enten und andere mehr,
sind in der beneidenswerten Lage, an diesem geeignetsten der
Orte vom Syngamus bewohnt zu werden. Wie winzige feuer¬
rote Würstchen in einem Rauchfang, so hängen die Würmer
am großen Ventilationsgang der Luftröhre und bringen es
unter Umständen fertig, den ganzen Kanal so zu stopfen, daß
der Vogel erstickt. Sei es nun, daß die beständig ein- und
ausbrausende Zugluft in ihrem Heim die Trennungsgefahr
für alle Liebenden besonders erhöht, oder sei es der Eifer der
Liebe selbst, -- jedenfalls findet man den ausgewachsenen
Syngamus allemal in Doppelgestalt der Art, daß das Männ¬
chen Zeit seines Lebens mit seiner Geschlechtsöffnung, die am
Leibesende klafft, fest an die etwa in der Mitte des Leibes
befindliche Geschlechtsöffnung des Weibchens angesaugt bleibt.
Du hast das Tier vor Augen, von dem mit wenig Übertreibung
zu sagen ist, daß es in "ewiger Begattung" lebe. Es scheint
nur noch ein Schritt -- und die Geschlechter wüchsen wirklich
wieder zusammen: aus Mann und Weib würde nachträglich
noch wieder ein doppeltgeschlechtiger Hermaphrodit, -- womit
dann allerdings wohl im Sinne des Inzuchtgesetzes das direkte
Begatten mit einem Schlage ganz aufhörte (gleichsam ins

Von den Würmern im allgemeinen läßt ſich noch manch
ſeltſames Liebeskapitel ſchreiben. Gleich neben den Älchen
findeſt du unter den Fadenwürmern den Syngamus. Syn heißt
auf griechiſch zuſammen und Gamos heißt die Ehe. Da haſt
du denn nun in der That ein Geſchöpf, das die Ehe ver¬
zweifelt ernſt nimmt. Der Syngamus bietet zugleich ein
hübſches Beiſpiel, daß man überall wohnen kann. Laß dir
ein Härchen ins verkehrte Hälschen, wie man am Rhein ſagt,
kommen, recht tief und ungemütlich, daß du vor Huſten beinah
erſtickſt. Und in dieſem inſtruktiven Moment male dir aus,
daß das Härchen zu einem lebendigen Wurm auswachſe, der
deine Luftröhre zum gewohnheitsmäßigen Verkehrslokal, Koſt¬
haus und Liebeslager erkoren habe. Eine größere Anzahl
Vögel, Elſtern, Spechte, Faſanen, Enten und andere mehr,
ſind in der beneidenswerten Lage, an dieſem geeignetſten der
Orte vom Syngamus bewohnt zu werden. Wie winzige feuer¬
rote Würſtchen in einem Rauchfang, ſo hängen die Würmer
am großen Ventilationsgang der Luftröhre und bringen es
unter Umſtänden fertig, den ganzen Kanal ſo zu ſtopfen, daß
der Vogel erſtickt. Sei es nun, daß die beſtändig ein- und
ausbrauſende Zugluft in ihrem Heim die Trennungsgefahr
für alle Liebenden beſonders erhöht, oder ſei es der Eifer der
Liebe ſelbſt, — jedenfalls findet man den ausgewachſenen
Syngamus allemal in Doppelgeſtalt der Art, daß das Männ¬
chen Zeit ſeines Lebens mit ſeiner Geſchlechtsöffnung, die am
Leibesende klafft, feſt an die etwa in der Mitte des Leibes
befindliche Geſchlechtsöffnung des Weibchens angeſaugt bleibt.
Du haſt das Tier vor Augen, von dem mit wenig Übertreibung
zu ſagen iſt, daß es in „ewiger Begattung“ lebe. Es ſcheint
nur noch ein Schritt — und die Geſchlechter wüchſen wirklich
wieder zuſammen: aus Mann und Weib würde nachträglich
noch wieder ein doppeltgeſchlechtiger Hermaphrodit, — womit
dann allerdings wohl im Sinne des Inzuchtgeſetzes das direkte
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[258/0274] Von den Würmern im allgemeinen läßt ſich noch manch ſeltſames Liebeskapitel ſchreiben. Gleich neben den Älchen findeſt du unter den Fadenwürmern den Syngamus. Syn heißt auf griechiſch zuſammen und Gamos heißt die Ehe. Da haſt du denn nun in der That ein Geſchöpf, das die Ehe ver¬ zweifelt ernſt nimmt. Der Syngamus bietet zugleich ein hübſches Beiſpiel, daß man überall wohnen kann. Laß dir ein Härchen ins verkehrte Hälschen, wie man am Rhein ſagt, kommen, recht tief und ungemütlich, daß du vor Huſten beinah erſtickſt. Und in dieſem inſtruktiven Moment male dir aus, daß das Härchen zu einem lebendigen Wurm auswachſe, der deine Luftröhre zum gewohnheitsmäßigen Verkehrslokal, Koſt¬ haus und Liebeslager erkoren habe. Eine größere Anzahl Vögel, Elſtern, Spechte, Faſanen, Enten und andere mehr, ſind in der beneidenswerten Lage, an dieſem geeignetſten der Orte vom Syngamus bewohnt zu werden. Wie winzige feuer¬ rote Würſtchen in einem Rauchfang, ſo hängen die Würmer am großen Ventilationsgang der Luftröhre und bringen es unter Umſtänden fertig, den ganzen Kanal ſo zu ſtopfen, daß der Vogel erſtickt. Sei es nun, daß die beſtändig ein- und ausbrauſende Zugluft in ihrem Heim die Trennungsgefahr für alle Liebenden beſonders erhöht, oder ſei es der Eifer der Liebe ſelbſt, — jedenfalls findet man den ausgewachſenen Syngamus allemal in Doppelgeſtalt der Art, daß das Männ¬ chen Zeit ſeines Lebens mit ſeiner Geſchlechtsöffnung, die am Leibesende klafft, feſt an die etwa in der Mitte des Leibes befindliche Geſchlechtsöffnung des Weibchens angeſaugt bleibt. Du haſt das Tier vor Augen, von dem mit wenig Übertreibung zu ſagen iſt, daß es in „ewiger Begattung“ lebe. Es ſcheint nur noch ein Schritt — und die Geſchlechter wüchſen wirklich wieder zuſammen: aus Mann und Weib würde nachträglich noch wieder ein doppeltgeſchlechtiger Hermaphrodit, — womit dann allerdings wohl im Sinne des Inzuchtgeſetzes das direkte Begatten mit einem Schlage ganz aufhörte (gleichſam ins

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/274>, abgerufen am 24.11.2024.