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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Ob du nun als armer Dichter auf der Dachkammer dein
Genie mit billigster Zwiebelleberwurst heizest, oder ob du streng
das Schwein verschmähst, oder ob du in frommem Frieden
deinen Freitagsfisch schwimmen läßt: du ißt, freust dich -- und
hast den Bandwurm. Die Finne, winzig wie sie ist, wird
mit dem Fleisch verschluckt und gerät in den Magen. Sie selbst
ist hier am irdischen Ziel, der Magensaft zerstört die Blase, er
"verdaut" sie, wie er das Fleisch, in dem sie kam, zur Ver¬
dauung führt. Aber wie das hartschalige Ei einst sich inmitten
der wildesten chemischen Angriffe, denen die Erzeuger erlagen,
unentwegt hielt, so hält sich jetzt jenes Bandwurmköpfchen, das
aus der Finne hervorgeknospet ist und sich im Magen des
Menschen alsbald ganz aus ihr herausgearbeitet hat. Es dringt,
nicht als verarbeitete Menschennahrung, sondern als fröhlicher
Herr der Situation vom Magen aus in den Darm ein, und
nun ..... du bist wieder beim Anfang. Saugender Kopf¬
bandwurm, Knospung, Begattung der geknospeten Geschlechts¬
bandwürmer, -- fünfzig Millionen Eier im armen Dichter
und so weiter.

Laß dich durch die Zahl nicht zu sehr erschrecken. Es
scheint nicht, daß die Bandwürmer im Ganzen zunehmen. Jeder
Bandwurm erzeugt also praktisch nur mindestens einen neuen.
Von fünfzig Millionen Eiern pflegt nur je eines über die ganze
verwickelte Brücke der tierischen Finne hinweg wieder in einen
Menschen zu gelangen, was bei der Raffiniertheit eben dieser
Brücke im Grunde auch kein Wunder ist. Aber überdenke jetzt
noch einmal den ganzen Fall.

Der Liebesroman des Bandwurms geht offenklar über nicht
weniger als vier Generationen. Echte Geschlechtsliebe mit
Samen, Eiern und Begattung kennzeichnet die erste Generation:
die der kettenartig vereinten Bandwurmjungen im Menschendarm.

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Ob du nun als armer Dichter auf der Dachkammer dein
Genie mit billigſter Zwiebelleberwurſt heizeſt, oder ob du ſtreng
das Schwein verſchmähſt, oder ob du in frommem Frieden
deinen Freitagsfiſch ſchwimmen läßt: du ißt, freuſt dich — und
haſt den Bandwurm. Die Finne, winzig wie ſie iſt, wird
mit dem Fleiſch verſchluckt und gerät in den Magen. Sie ſelbſt
iſt hier am irdiſchen Ziel, der Magenſaft zerſtört die Blaſe, er
„verdaut“ ſie, wie er das Fleiſch, in dem ſie kam, zur Ver¬
dauung führt. Aber wie das hartſchalige Ei einſt ſich inmitten
der wildeſten chemiſchen Angriffe, denen die Erzeuger erlagen,
unentwegt hielt, ſo hält ſich jetzt jenes Bandwurmköpfchen, das
aus der Finne hervorgeknoſpet iſt und ſich im Magen des
Menſchen alsbald ganz aus ihr herausgearbeitet hat. Es dringt,
nicht als verarbeitete Menſchennahrung, ſondern als fröhlicher
Herr der Situation vom Magen aus in den Darm ein, und
nun ..... du biſt wieder beim Anfang. Saugender Kopf¬
bandwurm, Knoſpung, Begattung der geknoſpeten Geſchlechts¬
bandwürmer, — fünfzig Millionen Eier im armen Dichter
und ſo weiter.

Laß dich durch die Zahl nicht zu ſehr erſchrecken. Es
ſcheint nicht, daß die Bandwürmer im Ganzen zunehmen. Jeder
Bandwurm erzeugt alſo praktiſch nur mindeſtens einen neuen.
Von fünfzig Millionen Eiern pflegt nur je eines über die ganze
verwickelte Brücke der tieriſchen Finne hinweg wieder in einen
Menſchen zu gelangen, was bei der Raffiniertheit eben dieſer
Brücke im Grunde auch kein Wunder iſt. Aber überdenke jetzt
noch einmal den ganzen Fall.

Der Liebesroman des Bandwurms geht offenklar über nicht
weniger als vier Generationen. Echte Geſchlechtsliebe mit
Samen, Eiern und Begattung kennzeichnet die erſte Generation:
die der kettenartig vereinten Bandwurmjungen im Menſchendarm.

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[241/0257] Ob du nun als armer Dichter auf der Dachkammer dein Genie mit billigſter Zwiebelleberwurſt heizeſt, oder ob du ſtreng das Schwein verſchmähſt, oder ob du in frommem Frieden deinen Freitagsfiſch ſchwimmen läßt: du ißt, freuſt dich — und haſt den Bandwurm. Die Finne, winzig wie ſie iſt, wird mit dem Fleiſch verſchluckt und gerät in den Magen. Sie ſelbſt iſt hier am irdiſchen Ziel, der Magenſaft zerſtört die Blaſe, er „verdaut“ ſie, wie er das Fleiſch, in dem ſie kam, zur Ver¬ dauung führt. Aber wie das hartſchalige Ei einſt ſich inmitten der wildeſten chemiſchen Angriffe, denen die Erzeuger erlagen, unentwegt hielt, ſo hält ſich jetzt jenes Bandwurmköpfchen, das aus der Finne hervorgeknoſpet iſt und ſich im Magen des Menſchen alsbald ganz aus ihr herausgearbeitet hat. Es dringt, nicht als verarbeitete Menſchennahrung, ſondern als fröhlicher Herr der Situation vom Magen aus in den Darm ein, und nun ..... du biſt wieder beim Anfang. Saugender Kopf¬ bandwurm, Knoſpung, Begattung der geknoſpeten Geſchlechts¬ bandwürmer, — fünfzig Millionen Eier im armen Dichter und ſo weiter. Laß dich durch die Zahl nicht zu ſehr erſchrecken. Es ſcheint nicht, daß die Bandwürmer im Ganzen zunehmen. Jeder Bandwurm erzeugt alſo praktiſch nur mindeſtens einen neuen. Von fünfzig Millionen Eiern pflegt nur je eines über die ganze verwickelte Brücke der tieriſchen Finne hinweg wieder in einen Menſchen zu gelangen, was bei der Raffiniertheit eben dieſer Brücke im Grunde auch kein Wunder iſt. Aber überdenke jetzt noch einmal den ganzen Fall. Der Liebesroman des Bandwurms geht offenklar über nicht weniger als vier Generationen. Echte Geſchlechtsliebe mit Samen, Eiern und Begattung kennzeichnet die erſte Generation: die der kettenartig vereinten Bandwurmjungen im Menſchendarm. 16

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/257>, abgerufen am 24.11.2024.