Darm ohne allen Anhang sitzen und stellt doch bereits ein echtes, in sich geschlossenes Bandwurm-Individuum dar. Es hat eine gewisse Anlage zu einem Gehirn (allerdings ohne Augen und Ohren), nährt sich in der geschilderten Weise vom Nahrungsextrakt des zwangsweisen Wirtes, in dessen Haus es wohnt, und wäre vollends komplett, wenn es noch eines besäße: nämlich Geschlechtsorgane. Aber davon keine Spur!
Dieser vergnügte Mitesser ist nicht Mann, nicht Weib und ebensowenig ein Hermaphrodit, der beides in sich ver¬ einigte. Und doch: beobachte ihn jetzt. Er hat sich satt ge¬ fressen und fühlt sich aufgelegt zur reifsten Handlung. An der Stelle, wo der scheinbare Hals (in Wahrheit das hintere Leibes¬ ende des ganzen Wurms) stumpf abbricht, beginnt ihm auf einmal ein neues, ein junges Geschöpf hervorzuknospen. Es "knospet", einen besseren Ausdruck weiß man auch hier wieder nicht, da das Junge thatsächlich genau so entsteht, wie eine Knospe an einer Pflanze: es wächst einfach aus dem hinteren Leibesstamm des alten Tieres ohne besonderen Zeugungsakt hervor. Und wie eine Knospe löst es sich zunächst noch gar nicht von dem Eltertiere ab. Es bleibt daran hängen, so daß es aussieht, als sei dem Kopfwurm jetzt bloß ein weiteres Wurmglied nach hinten gewachsen.
Der Zusammenhang reißt selbst dann noch nicht, wenn sich aus dem älteren Wurm eine zweite Wurmknospe löst und zwischen den ersten Sprößling und den Alten schiebt. Die beiden Knospen, durch oberflächlichen Einschnitt zwar als "zwei" markiert, aber nicht wirklich getrennt, schmiegen sich jetzt hinter¬ einander an ihren Erzeuger wie Anfangsglieder einer Kette.
Nicht lange und die Kette wächst abermals. Die Liebes¬ energie des ursprünglichen Bandwurms erweist sich auf die Dauer und bei guter Nahrung als geradezu unerschöpflich: Knospe um Knospe treibt er hinten aus sich heraus, Glied um Glied schiebt sich in die Kette, bis das zuerst gesproßte junge Bandwurmkind durch eine schier endlose Reihe nachgeborener
Darm ohne allen Anhang ſitzen und ſtellt doch bereits ein echtes, in ſich geſchloſſenes Bandwurm-Individuum dar. Es hat eine gewiſſe Anlage zu einem Gehirn (allerdings ohne Augen und Ohren), nährt ſich in der geſchilderten Weiſe vom Nahrungsextrakt des zwangsweiſen Wirtes, in deſſen Haus es wohnt, und wäre vollends komplett, wenn es noch eines beſäße: nämlich Geſchlechtsorgane. Aber davon keine Spur!
Dieſer vergnügte Miteſſer iſt nicht Mann, nicht Weib und ebenſowenig ein Hermaphrodit, der beides in ſich ver¬ einigte. Und doch: beobachte ihn jetzt. Er hat ſich ſatt ge¬ freſſen und fühlt ſich aufgelegt zur reifſten Handlung. An der Stelle, wo der ſcheinbare Hals (in Wahrheit das hintere Leibes¬ ende des ganzen Wurms) ſtumpf abbricht, beginnt ihm auf einmal ein neues, ein junges Geſchöpf hervorzuknoſpen. Es „knoſpet“, einen beſſeren Ausdruck weiß man auch hier wieder nicht, da das Junge thatſächlich genau ſo entſteht, wie eine Knoſpe an einer Pflanze: es wächſt einfach aus dem hinteren Leibesſtamm des alten Tieres ohne beſonderen Zeugungsakt hervor. Und wie eine Knoſpe löſt es ſich zunächſt noch gar nicht von dem Eltertiere ab. Es bleibt daran hängen, ſo daß es ausſieht, als ſei dem Kopfwurm jetzt bloß ein weiteres Wurmglied nach hinten gewachſen.
Der Zuſammenhang reißt ſelbſt dann noch nicht, wenn ſich aus dem älteren Wurm eine zweite Wurmknoſpe löſt und zwiſchen den erſten Sprößling und den Alten ſchiebt. Die beiden Knoſpen, durch oberflächlichen Einſchnitt zwar als „zwei“ markiert, aber nicht wirklich getrennt, ſchmiegen ſich jetzt hinter¬ einander an ihren Erzeuger wie Anfangsglieder einer Kette.
Nicht lange und die Kette wächſt abermals. Die Liebes¬ energie des urſprünglichen Bandwurms erweiſt ſich auf die Dauer und bei guter Nahrung als geradezu unerſchöpflich: Knoſpe um Knoſpe treibt er hinten aus ſich heraus, Glied um Glied ſchiebt ſich in die Kette, bis das zuerſt geſproßte junge Bandwurmkind durch eine ſchier endloſe Reihe nachgeborener
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Darm ohne allen Anhang ſitzen und ſtellt doch bereits ein
echtes, in ſich geſchloſſenes Bandwurm-Individuum dar. Es
hat eine gewiſſe Anlage zu einem Gehirn (allerdings ohne
Augen und Ohren), nährt ſich in der geſchilderten Weiſe vom
Nahrungsextrakt des zwangsweiſen Wirtes, in deſſen Haus es
wohnt, und wäre vollends komplett, wenn es noch eines beſäße:
nämlich Geſchlechtsorgane. Aber davon keine Spur!
Dieſer vergnügte Miteſſer iſt nicht Mann, nicht Weib
und ebenſowenig ein Hermaphrodit, der beides in ſich ver¬
einigte. Und doch: beobachte ihn jetzt. Er hat ſich ſatt ge¬
freſſen und fühlt ſich aufgelegt zur reifſten Handlung. An der
Stelle, wo der ſcheinbare Hals (in Wahrheit das hintere Leibes¬
ende des ganzen Wurms) ſtumpf abbricht, beginnt ihm auf
einmal ein neues, ein junges Geſchöpf hervorzuknoſpen. Es
„knoſpet“, einen beſſeren Ausdruck weiß man auch hier wieder
nicht, da das Junge thatſächlich genau ſo entſteht, wie eine
Knoſpe an einer Pflanze: es wächſt einfach aus dem hinteren
Leibesſtamm des alten Tieres ohne beſonderen Zeugungsakt
hervor. Und wie eine Knoſpe löſt es ſich zunächſt noch gar
nicht von dem Eltertiere ab. Es bleibt daran hängen, ſo
daß es ausſieht, als ſei dem Kopfwurm jetzt bloß ein weiteres
Wurmglied nach hinten gewachſen.
Der Zuſammenhang reißt ſelbſt dann noch nicht, wenn ſich
aus dem älteren Wurm eine zweite Wurmknoſpe löſt und
zwiſchen den erſten Sprößling und den Alten ſchiebt. Die
beiden Knoſpen, durch oberflächlichen Einſchnitt zwar als „zwei“
markiert, aber nicht wirklich getrennt, ſchmiegen ſich jetzt hinter¬
einander an ihren Erzeuger wie Anfangsglieder einer Kette.
Nicht lange und die Kette wächſt abermals. Die Liebes¬
energie des urſprünglichen Bandwurms erweiſt ſich auf die
Dauer und bei guter Nahrung als geradezu unerſchöpflich:
Knoſpe um Knoſpe treibt er hinten aus ſich heraus, Glied um
Glied ſchiebt ſich in die Kette, bis das zuerſt geſproßte junge
Bandwurmkind durch eine ſchier endloſe Reihe nachgeborener
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/252>, abgerufen am 23.11.2024.
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