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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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einen Darm verarbeitet und als Extrakt dem ganzen Orga¬
nismus als Kraftquelle einverleibt werden sollten. Indessen
wozu die Eigenarbeit! Während im Großbetriebe des Menschen¬
darms die Retorten kochen, die Pumpen sich regen und der edle
Nährsaft aus dem Destillationsapparat quillt, liegt unversehens
in der Dunkelheit der Bandwurm in einer Ecke des Fabrik¬
raums, hat ganz im stillen seinen Schwungriemen oder Lei¬
tungsdraht an den kolossalen Automatenbetrieb angelenkt und
zieht die pure, abgeklärte Nährkraft in dicken Zügen einfach
zu sich herüber, als sei er selbst ein Blutreservoir des großen
Betriebes, in dem Bedarf ist. Spielend hat dieser schlaue
Kunde unter dem Tisch das große soziale Problem gelöst:
wie der Kleinbetrieb sich neben dem zermalmenden Großbetriebe
halten soll -- indem er sich einfach in den Großbetrieb ein¬
geschmuggelt hat, wie ein Organ von seinem Einkommen mit¬
zehrt und doch dabei unentwegt er selbst mit kleinem Eigen¬
betrieb bleibt.

Sein Sitz im innersten Heiligtum der fremden Fabrik
ermöglicht ihm den Verzicht auf die sonst wichtigsten Dinge.
Er braucht kein offenes Ladenlokal mehr, das ihn mit der
Außenwelt und ihrer Einfuhr in ständiger Berührung hält:
er braucht keinen Mund, der Nahrung zunächst grob aufnimmt,
und hat auch thatsächlich keinen mehr. Er braucht keinen
eigenen Magen und Darm: der Nährsaft geht ihm ja unmittel¬
bar zu, indem der Menschenmagen und Menschendarm die Um¬
wandlung der rohen Nahrung in solchen Saft schon für ihn
leisten. Mundlos und magenlos, wie er ist, schwitzt er die
fremde menschliche Nährflüssigkeit einfach direkt mit der ganzen
Körperoberfläche in sich hinein. Ein Idealtypus arbeitsfreier
Schlemmerei, pfeift er auf den Satz, daß wer nicht arbeitet,
auch nicht essen soll, und wird fett in seiner hingeräkelten
Faulheit inmitten des intensivsten Arbeitsbetriebes. Und, dunkel
und verborgen, wie diese inneren Hallen der großen Menschen¬
fabrik sind, bleibt er in zahllosen Fällen dauernd unbemerkt,

einen Darm verarbeitet und als Extrakt dem ganzen Orga¬
nismus als Kraftquelle einverleibt werden ſollten. Indeſſen
wozu die Eigenarbeit! Während im Großbetriebe des Menſchen¬
darms die Retorten kochen, die Pumpen ſich regen und der edle
Nährſaft aus dem Deſtillationsapparat quillt, liegt unverſehens
in der Dunkelheit der Bandwurm in einer Ecke des Fabrik¬
raums, hat ganz im ſtillen ſeinen Schwungriemen oder Lei¬
tungsdraht an den koloſſalen Automatenbetrieb angelenkt und
zieht die pure, abgeklärte Nährkraft in dicken Zügen einfach
zu ſich herüber, als ſei er ſelbſt ein Blutreſervoir des großen
Betriebes, in dem Bedarf iſt. Spielend hat dieſer ſchlaue
Kunde unter dem Tiſch das große ſoziale Problem gelöſt:
wie der Kleinbetrieb ſich neben dem zermalmenden Großbetriebe
halten ſoll — indem er ſich einfach in den Großbetrieb ein¬
geſchmuggelt hat, wie ein Organ von ſeinem Einkommen mit¬
zehrt und doch dabei unentwegt er ſelbſt mit kleinem Eigen¬
betrieb bleibt.

Sein Sitz im innerſten Heiligtum der fremden Fabrik
ermöglicht ihm den Verzicht auf die ſonſt wichtigſten Dinge.
Er braucht kein offenes Ladenlokal mehr, das ihn mit der
Außenwelt und ihrer Einfuhr in ſtändiger Berührung hält:
er braucht keinen Mund, der Nahrung zunächſt grob aufnimmt,
und hat auch thatſächlich keinen mehr. Er braucht keinen
eigenen Magen und Darm: der Nährſaft geht ihm ja unmittel¬
bar zu, indem der Menſchenmagen und Menſchendarm die Um¬
wandlung der rohen Nahrung in ſolchen Saft ſchon für ihn
leiſten. Mundlos und magenlos, wie er iſt, ſchwitzt er die
fremde menſchliche Nährflüſſigkeit einfach direkt mit der ganzen
Körperoberfläche in ſich hinein. Ein Idealtypus arbeitsfreier
Schlemmerei, pfeift er auf den Satz, daß wer nicht arbeitet,
auch nicht eſſen ſoll, und wird fett in ſeiner hingeräkelten
Faulheit inmitten des intenſivſten Arbeitsbetriebes. Und, dunkel
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[234/0250] einen Darm verarbeitet und als Extrakt dem ganzen Orga¬ nismus als Kraftquelle einverleibt werden ſollten. Indeſſen wozu die Eigenarbeit! Während im Großbetriebe des Menſchen¬ darms die Retorten kochen, die Pumpen ſich regen und der edle Nährſaft aus dem Deſtillationsapparat quillt, liegt unverſehens in der Dunkelheit der Bandwurm in einer Ecke des Fabrik¬ raums, hat ganz im ſtillen ſeinen Schwungriemen oder Lei¬ tungsdraht an den koloſſalen Automatenbetrieb angelenkt und zieht die pure, abgeklärte Nährkraft in dicken Zügen einfach zu ſich herüber, als ſei er ſelbſt ein Blutreſervoir des großen Betriebes, in dem Bedarf iſt. Spielend hat dieſer ſchlaue Kunde unter dem Tiſch das große ſoziale Problem gelöſt: wie der Kleinbetrieb ſich neben dem zermalmenden Großbetriebe halten ſoll — indem er ſich einfach in den Großbetrieb ein¬ geſchmuggelt hat, wie ein Organ von ſeinem Einkommen mit¬ zehrt und doch dabei unentwegt er ſelbſt mit kleinem Eigen¬ betrieb bleibt. Sein Sitz im innerſten Heiligtum der fremden Fabrik ermöglicht ihm den Verzicht auf die ſonſt wichtigſten Dinge. Er braucht kein offenes Ladenlokal mehr, das ihn mit der Außenwelt und ihrer Einfuhr in ſtändiger Berührung hält: er braucht keinen Mund, der Nahrung zunächſt grob aufnimmt, und hat auch thatſächlich keinen mehr. Er braucht keinen eigenen Magen und Darm: der Nährſaft geht ihm ja unmittel¬ bar zu, indem der Menſchenmagen und Menſchendarm die Um¬ wandlung der rohen Nahrung in ſolchen Saft ſchon für ihn leiſten. Mundlos und magenlos, wie er iſt, ſchwitzt er die fremde menſchliche Nährflüſſigkeit einfach direkt mit der ganzen Körperoberfläche in ſich hinein. Ein Idealtypus arbeitsfreier Schlemmerei, pfeift er auf den Satz, daß wer nicht arbeitet, auch nicht eſſen ſoll, und wird fett in ſeiner hingeräkelten Faulheit inmitten des intenſivſten Arbeitsbetriebes. Und, dunkel und verborgen, wie dieſe inneren Hallen der großen Menſchen¬ fabrik ſind, bleibt er in zahlloſen Fällen dauernd unbemerkt,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/250>, abgerufen am 27.11.2024.