schwimmen macht. Nachdem diese Verwachsung einmal erfolgt war, ist aber dann wirklich auch hier Arbeitsteilung eingetreten.
Ein Teil der Quallen hat bloß noch gefressen. Ein Teil bloß noch die Schwimmglocke in Thätigkeit gesetzt. Ein Teil bloß den Stamm verteidigt. Und ein Teil bloß noch der Fort¬ pflanzung gedient. Was aber ist auch hier dabei als natür¬ liche Folge herausgekommen? Indem jede Einzelqualle des Verbandes nur noch eines ihrer Organe ausschließlich in Arbeit setzte, hat sie alle anderen Organe nach und nach bei sich ver¬ kümmern lassen, -- -- bis sie endlich ganz verschwunden sind!
Diese Quallen hier oben am Stamm, die bloß noch ihre Schwimmglocken dehnen und schließen, auf daß das Ganze im blauen Meer dahinschwimme, sind thatsächlich nur noch reine Schwimmglocken, ohne Magen, ohne Geschlechtszellen, ohne Nesselfäden. Diese hier weiter unten, die offenen Polypenblüten gleichen: sie sind, weil sie nur mehr "Magen mit Maul" spielten, schließlich unter Verlust der Schwimmglocke zu reinen polypenartigen Magentieren geworden. Und so fort. Andere sind nur noch Nesselarme zur Wehr und zum Beutefang, andere nur noch Geschlechtsträger mit Samen und Ei.
Also! du hast vom vielzelligen Tier gehört, -- du selber bist ja eins. Hier aber hast du das vieltierige Tier. Im vielzelligen Tier formten sich die Zellen durch Arbeits¬ teilung zu Organen. Hier siehst du das vieltierige Tier, in dem sich viele ganze vielzellige Tiere abermals zu Organ-Tieren ausgebildet haben und als Ganzes so einen "Überorganismus" formen, -- wahrhaftig jetzt einen Cerberus oder Briareus, kühner, als ihn je die kühnste Sage erfunden hat. Schlagender kann wohl dein vierter Menschensatz nicht umgeworfen werden.
Füge dir des ganzen Bildes wegen hinzu, daß diese Staatsquallen oder Siphonophoren vielfach zu den ästhetisch herr¬ lichsten Gebilden der ganzen Natur gehört. Wie ein schwim¬ mender Blumenstock, doch nicht aus wahren Blumen, sondern aus durchsichtigem bunten Kristall, so schildert sie ihr genauester
ſchwimmen macht. Nachdem dieſe Verwachſung einmal erfolgt war, iſt aber dann wirklich auch hier Arbeitsteilung eingetreten.
Ein Teil der Quallen hat bloß noch gefreſſen. Ein Teil bloß noch die Schwimmglocke in Thätigkeit geſetzt. Ein Teil bloß den Stamm verteidigt. Und ein Teil bloß noch der Fort¬ pflanzung gedient. Was aber iſt auch hier dabei als natür¬ liche Folge herausgekommen? Indem jede Einzelqualle des Verbandes nur noch eines ihrer Organe ausſchließlich in Arbeit ſetzte, hat ſie alle anderen Organe nach und nach bei ſich ver¬ kümmern laſſen, — — bis ſie endlich ganz verſchwunden ſind!
Dieſe Quallen hier oben am Stamm, die bloß noch ihre Schwimmglocken dehnen und ſchließen, auf daß das Ganze im blauen Meer dahinſchwimme, ſind thatſächlich nur noch reine Schwimmglocken, ohne Magen, ohne Geſchlechtszellen, ohne Neſſelfäden. Dieſe hier weiter unten, die offenen Polypenblüten gleichen: ſie ſind, weil ſie nur mehr „Magen mit Maul“ ſpielten, ſchließlich unter Verluſt der Schwimmglocke zu reinen polypenartigen Magentieren geworden. Und ſo fort. Andere ſind nur noch Neſſelarme zur Wehr und zum Beutefang, andere nur noch Geſchlechtsträger mit Samen und Ei.
Alſo! du haſt vom vielzelligen Tier gehört, — du ſelber biſt ja eins. Hier aber haſt du das vieltierige Tier. Im vielzelligen Tier formten ſich die Zellen durch Arbeits¬ teilung zu Organen. Hier ſiehſt du das vieltierige Tier, in dem ſich viele ganze vielzellige Tiere abermals zu Organ-Tieren ausgebildet haben und als Ganzes ſo einen „Überorganismus“ formen, — wahrhaftig jetzt einen Cerberus oder Briareus, kühner, als ihn je die kühnſte Sage erfunden hat. Schlagender kann wohl dein vierter Menſchenſatz nicht umgeworfen werden.
Füge dir des ganzen Bildes wegen hinzu, daß dieſe Staatsquallen oder Siphonophoren vielfach zu den äſthetiſch herr¬ lichſten Gebilden der ganzen Natur gehört. Wie ein ſchwim¬ mender Blumenſtock, doch nicht aus wahren Blumen, ſondern aus durchſichtigem bunten Kriſtall, ſo ſchildert ſie ihr genaueſter
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ſchwimmen macht. Nachdem dieſe Verwachſung einmal erfolgt
war, iſt aber dann wirklich auch hier Arbeitsteilung eingetreten.
Ein Teil der Quallen hat bloß noch gefreſſen. Ein Teil
bloß noch die Schwimmglocke in Thätigkeit geſetzt. Ein Teil
bloß den Stamm verteidigt. Und ein Teil bloß noch der Fort¬
pflanzung gedient. Was aber iſt auch hier dabei als natür¬
liche Folge herausgekommen? Indem jede Einzelqualle des
Verbandes nur noch eines ihrer Organe ausſchließlich in Arbeit
ſetzte, hat ſie alle anderen Organe nach und nach bei ſich ver¬
kümmern laſſen, — — bis ſie endlich ganz verſchwunden ſind!
Dieſe Quallen hier oben am Stamm, die bloß noch ihre
Schwimmglocken dehnen und ſchließen, auf daß das Ganze im
blauen Meer dahinſchwimme, ſind thatſächlich nur noch reine
Schwimmglocken, ohne Magen, ohne Geſchlechtszellen, ohne
Neſſelfäden. Dieſe hier weiter unten, die offenen Polypenblüten
gleichen: ſie ſind, weil ſie nur mehr „Magen mit Maul“
ſpielten, ſchließlich unter Verluſt der Schwimmglocke zu reinen
polypenartigen Magentieren geworden. Und ſo fort. Andere
ſind nur noch Neſſelarme zur Wehr und zum Beutefang, andere
nur noch Geſchlechtsträger mit Samen und Ei.
Alſo! du haſt vom vielzelligen Tier gehört, — du
ſelber biſt ja eins. Hier aber haſt du das vieltierige Tier.
Im vielzelligen Tier formten ſich die Zellen durch Arbeits¬
teilung zu Organen. Hier ſiehſt du das vieltierige Tier, in
dem ſich viele ganze vielzellige Tiere abermals zu Organ-Tieren
ausgebildet haben und als Ganzes ſo einen „Überorganismus“
formen, — wahrhaftig jetzt einen Cerberus oder Briareus,
kühner, als ihn je die kühnſte Sage erfunden hat. Schlagender
kann wohl dein vierter Menſchenſatz nicht umgeworfen werden.
Füge dir des ganzen Bildes wegen hinzu, daß dieſe
Staatsquallen oder Siphonophoren vielfach zu den äſthetiſch herr¬
lichſten Gebilden der ganzen Natur gehört. Wie ein ſchwim¬
mender Blumenſtock, doch nicht aus wahren Blumen, ſondern
aus durchſichtigem bunten Kriſtall, ſo ſchildert ſie ihr genaueſter
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/239>, abgerufen am 25.11.2024.
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