Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebeshistoria bei solcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für
Stück ungeheuer langweilig werden, -- eine ewig gleiche Ab¬
haspelei derselben Schnur wie bei einem chinesischen Gebets¬
rädchen, die wir uns füglich ganz schenken könnten?

Im chinesischen Gebetsrad Tschhuan saust in steter Drehung
immer dasselbe Papierstreifchen ab und millionenmal liest du
immer und immer wieder: "Om mani padme, hum" -- "Das
Kleinod im Lotos, Amen." So klapperte hier die Mühle: die
Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Mischung,
Neuteilung, Zellhaufen, -- bum, bum, -- bis zum Schluß. --

Aber siehst du: so langweilig ist die Natur nun doch
nicht. Geh ans Fernrohr. Da hast du Planeten, große,
kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun,
Jupiter, Saturn, -- und alle hängen im gleichen Gravitations¬
gesetze, das sie um die Sonne schleift. Das könnte auch lang¬
weilig sein. Und doch ist jeder Planet eine Welt mit ihrer
besonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬
bänken, der Mars mit seinen roten Wüsten und grünlichen
Vegetationsstreifen, der ungeheure Jupiter mit seinen lachs¬
farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn
mit seinem schaurig erhabenen Ringsystem, -- eine unerschöpf¬
liche Fülle für das Studium, an der die Menschheit noch für
Jahrtausende zehren wird.

Nun steht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart
recht eigentlich auch so vor dir als solcher einzelne Planet, der
die wundervollste Individualität ist, wenn er auch noch so sehr
im gleichen Grundgesetz wie alle anderen hängen mag. Und
wie gerade durch die Verschiedenheit der Gestaltung trotz
gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde diese
Erde selbst eigentlich erst ganz klar und ganz interessant für
dich wird, so kommt auch das Liebesleben des Menschen dir
erst ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch
alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich

14

Liebeshiſtoria bei ſolcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für
Stück ungeheuer langweilig werden, — eine ewig gleiche Ab¬
haſpelei derſelben Schnur wie bei einem chineſiſchen Gebets¬
rädchen, die wir uns füglich ganz ſchenken könnten?

Im chineſiſchen Gebetsrad Tſchhuan ſauſt in ſteter Drehung
immer dasſelbe Papierſtreifchen ab und millionenmal lieſt du
immer und immer wieder: „Om mani padme, hum“ — „Das
Kleinod im Lotos, Amen.“ So klapperte hier die Mühle: die
Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Miſchung,
Neuteilung, Zellhaufen, — bum, bum, — bis zum Schluß. —

Aber ſiehſt du: ſo langweilig iſt die Natur nun doch
nicht. Geh ans Fernrohr. Da haſt du Planeten, große,
kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun,
Jupiter, Saturn, — und alle hängen im gleichen Gravitations¬
geſetze, das ſie um die Sonne ſchleift. Das könnte auch lang¬
weilig ſein. Und doch iſt jeder Planet eine Welt mit ihrer
beſonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬
bänken, der Mars mit ſeinen roten Wüſten und grünlichen
Vegetationsſtreifen, der ungeheure Jupiter mit ſeinen lachs¬
farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn
mit ſeinem ſchaurig erhabenen Ringſyſtem, — eine unerſchöpf¬
liche Fülle für das Studium, an der die Menſchheit noch für
Jahrtauſende zehren wird.

Nun ſteht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart
recht eigentlich auch ſo vor dir als ſolcher einzelne Planet, der
die wundervollſte Individualität iſt, wenn er auch noch ſo ſehr
im gleichen Grundgeſetz wie alle anderen hängen mag. Und
wie gerade durch die Verſchiedenheit der Geſtaltung trotz
gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde dieſe
Erde ſelbſt eigentlich erſt ganz klar und ganz intereſſant für
dich wird, ſo kommt auch das Liebesleben des Menſchen dir
erſt ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch
alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich

14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="209"/>
Liebeshi&#x017F;toria bei &#x017F;olcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für<lb/>
Stück ungeheuer langweilig werden, &#x2014; eine ewig gleiche Ab¬<lb/>
ha&#x017F;pelei der&#x017F;elben Schnur wie bei einem chine&#x017F;i&#x017F;chen Gebets¬<lb/>
rädchen, die wir uns füglich ganz &#x017F;chenken könnten?</p><lb/>
        <p>Im chine&#x017F;i&#x017F;chen Gebetsrad T&#x017F;chhuan &#x017F;au&#x017F;t in &#x017F;teter Drehung<lb/>
immer das&#x017F;elbe Papier&#x017F;treifchen ab und millionenmal lie&#x017F;t du<lb/>
immer und immer wieder: &#x201E;<hi rendition="#aq">Om mani padme, hum</hi>&#x201C; &#x2014; &#x201E;Das<lb/>
Kleinod im Lotos, Amen.&#x201C; So klapperte hier die Mühle: die<lb/>
Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Mi&#x017F;chung,<lb/>
Neuteilung, Zellhaufen, &#x2014; bum, bum, &#x2014; bis zum Schluß. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Aber &#x017F;ieh&#x017F;t du: &#x017F;o langweilig i&#x017F;t die Natur nun doch<lb/>
nicht. Geh ans Fernrohr. Da ha&#x017F;t du Planeten, große,<lb/>
kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun,<lb/>
Jupiter, Saturn, &#x2014; und alle hängen im gleichen Gravitations¬<lb/>
ge&#x017F;etze, das &#x017F;ie um die Sonne &#x017F;chleift. Das könnte auch lang¬<lb/>
weilig &#x017F;ein. Und doch i&#x017F;t jeder Planet eine Welt mit ihrer<lb/>
be&#x017F;onderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬<lb/>
bänken, der Mars mit &#x017F;einen roten Wü&#x017F;ten und grünlichen<lb/>
Vegetations&#x017F;treifen, der ungeheure Jupiter mit &#x017F;einen lachs¬<lb/>
farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn<lb/>
mit &#x017F;einem &#x017F;chaurig erhabenen Ring&#x017F;y&#x017F;tem, &#x2014; eine uner&#x017F;chöpf¬<lb/>
liche Fülle für das Studium, an der die Men&#x017F;chheit noch für<lb/>
Jahrtau&#x017F;ende zehren wird.</p><lb/>
        <p>Nun &#x017F;teht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart<lb/>
recht eigentlich auch &#x017F;o vor dir als &#x017F;olcher einzelne Planet, der<lb/>
die wundervoll&#x017F;te Individualität i&#x017F;t, wenn er auch noch &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
im gleichen Grundge&#x017F;etz wie alle anderen hängen mag. Und<lb/>
wie gerade durch die Ver&#x017F;chiedenheit der Ge&#x017F;taltung <hi rendition="#g">trotz</hi><lb/>
gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde die&#x017F;e<lb/>
Erde &#x017F;elb&#x017F;t eigentlich er&#x017F;t ganz klar und ganz intere&#x017F;&#x017F;ant für<lb/>
dich wird, &#x017F;o kommt auch das Liebesleben des Men&#x017F;chen dir<lb/>
er&#x017F;t ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch<lb/>
alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0225] Liebeshiſtoria bei ſolcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für Stück ungeheuer langweilig werden, — eine ewig gleiche Ab¬ haſpelei derſelben Schnur wie bei einem chineſiſchen Gebets¬ rädchen, die wir uns füglich ganz ſchenken könnten? Im chineſiſchen Gebetsrad Tſchhuan ſauſt in ſteter Drehung immer dasſelbe Papierſtreifchen ab und millionenmal lieſt du immer und immer wieder: „Om mani padme, hum“ — „Das Kleinod im Lotos, Amen.“ So klapperte hier die Mühle: die Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Miſchung, Neuteilung, Zellhaufen, — bum, bum, — bis zum Schluß. — Aber ſiehſt du: ſo langweilig iſt die Natur nun doch nicht. Geh ans Fernrohr. Da haſt du Planeten, große, kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun, Jupiter, Saturn, — und alle hängen im gleichen Gravitations¬ geſetze, das ſie um die Sonne ſchleift. Das könnte auch lang¬ weilig ſein. Und doch iſt jeder Planet eine Welt mit ihrer beſonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬ bänken, der Mars mit ſeinen roten Wüſten und grünlichen Vegetationsſtreifen, der ungeheure Jupiter mit ſeinen lachs¬ farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn mit ſeinem ſchaurig erhabenen Ringſyſtem, — eine unerſchöpf¬ liche Fülle für das Studium, an der die Menſchheit noch für Jahrtauſende zehren wird. Nun ſteht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart recht eigentlich auch ſo vor dir als ſolcher einzelne Planet, der die wundervollſte Individualität iſt, wenn er auch noch ſo ſehr im gleichen Grundgeſetz wie alle anderen hängen mag. Und wie gerade durch die Verſchiedenheit der Geſtaltung trotz gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde dieſe Erde ſelbſt eigentlich erſt ganz klar und ganz intereſſant für dich wird, ſo kommt auch das Liebesleben des Menſchen dir erſt ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/225
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/225>, abgerufen am 24.11.2024.