Liebeshistoria bei solcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für Stück ungeheuer langweilig werden, -- eine ewig gleiche Ab¬ haspelei derselben Schnur wie bei einem chinesischen Gebets¬ rädchen, die wir uns füglich ganz schenken könnten?
Im chinesischen Gebetsrad Tschhuan saust in steter Drehung immer dasselbe Papierstreifchen ab und millionenmal liest du immer und immer wieder: "Om mani padme, hum" -- "Das Kleinod im Lotos, Amen." So klapperte hier die Mühle: die Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Mischung, Neuteilung, Zellhaufen, -- bum, bum, -- bis zum Schluß. --
Aber siehst du: so langweilig ist die Natur nun doch nicht. Geh ans Fernrohr. Da hast du Planeten, große, kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun, Jupiter, Saturn, -- und alle hängen im gleichen Gravitations¬ gesetze, das sie um die Sonne schleift. Das könnte auch lang¬ weilig sein. Und doch ist jeder Planet eine Welt mit ihrer besonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬ bänken, der Mars mit seinen roten Wüsten und grünlichen Vegetationsstreifen, der ungeheure Jupiter mit seinen lachs¬ farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn mit seinem schaurig erhabenen Ringsystem, -- eine unerschöpf¬ liche Fülle für das Studium, an der die Menschheit noch für Jahrtausende zehren wird.
Nun steht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart recht eigentlich auch so vor dir als solcher einzelne Planet, der die wundervollste Individualität ist, wenn er auch noch so sehr im gleichen Grundgesetz wie alle anderen hängen mag. Und wie gerade durch die Verschiedenheit der Gestaltung trotz gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde diese Erde selbst eigentlich erst ganz klar und ganz interessant für dich wird, so kommt auch das Liebesleben des Menschen dir erst ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich
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Liebeshiſtoria bei ſolcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für Stück ungeheuer langweilig werden, — eine ewig gleiche Ab¬ haſpelei derſelben Schnur wie bei einem chineſiſchen Gebets¬ rädchen, die wir uns füglich ganz ſchenken könnten?
Im chineſiſchen Gebetsrad Tſchhuan ſauſt in ſteter Drehung immer dasſelbe Papierſtreifchen ab und millionenmal lieſt du immer und immer wieder: „Om mani padme, hum“ — „Das Kleinod im Lotos, Amen.“ So klapperte hier die Mühle: die Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Miſchung, Neuteilung, Zellhaufen, — bum, bum, — bis zum Schluß. —
Aber ſiehſt du: ſo langweilig iſt die Natur nun doch nicht. Geh ans Fernrohr. Da haſt du Planeten, große, kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun, Jupiter, Saturn, — und alle hängen im gleichen Gravitations¬ geſetze, das ſie um die Sonne ſchleift. Das könnte auch lang¬ weilig ſein. Und doch iſt jeder Planet eine Welt mit ihrer beſonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬ bänken, der Mars mit ſeinen roten Wüſten und grünlichen Vegetationsſtreifen, der ungeheure Jupiter mit ſeinen lachs¬ farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn mit ſeinem ſchaurig erhabenen Ringſyſtem, — eine unerſchöpf¬ liche Fülle für das Studium, an der die Menſchheit noch für Jahrtauſende zehren wird.
Nun ſteht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart recht eigentlich auch ſo vor dir als ſolcher einzelne Planet, der die wundervollſte Individualität iſt, wenn er auch noch ſo ſehr im gleichen Grundgeſetz wie alle anderen hängen mag. Und wie gerade durch die Verſchiedenheit der Geſtaltung trotz gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde dieſe Erde ſelbſt eigentlich erſt ganz klar und ganz intereſſant für dich wird, ſo kommt auch das Liebesleben des Menſchen dir erſt ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich
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Liebeshiſtoria bei ſolcher prinzipiellen Ähnlichkeit Stück für
Stück ungeheuer langweilig werden, — eine ewig gleiche Ab¬
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rädchen, die wir uns füglich ganz ſchenken könnten?
Im chineſiſchen Gebetsrad Tſchhuan ſauſt in ſteter Drehung
immer dasſelbe Papierſtreifchen ab und millionenmal lieſt du
immer und immer wieder: „Om mani padme, hum“ — „Das
Kleinod im Lotos, Amen.“ So klapperte hier die Mühle: die
Liebesbahn als Mann und Weib, Eizelle, Samenzelle, Miſchung,
Neuteilung, Zellhaufen, — bum, bum, — bis zum Schluß. —
Aber ſiehſt du: ſo langweilig iſt die Natur nun doch
nicht. Geh ans Fernrohr. Da haſt du Planeten, große,
kleine, weiße, rote, grünliche, gelbweiße, Venus, Mars, Neptun,
Jupiter, Saturn, — und alle hängen im gleichen Gravitations¬
geſetze, das ſie um die Sonne ſchleift. Das könnte auch lang¬
weilig ſein. Und doch iſt jeder Planet eine Welt mit ihrer
beſonderen Herrlichkeit: die Venus mit ihren weißen Wolken¬
bänken, der Mars mit ſeinen roten Wüſten und grünlichen
Vegetationsſtreifen, der ungeheure Jupiter mit ſeinen lachs¬
farbigen Dampfbändern und blutigen Purpurflecken, der Saturn
mit ſeinem ſchaurig erhabenen Ringſyſtem, — eine unerſchöpf¬
liche Fülle für das Studium, an der die Menſchheit noch für
Jahrtauſende zehren wird.
Nun ſteht aber jede einzelne Tiergruppe, ja jede Tierart
recht eigentlich auch ſo vor dir als ſolcher einzelne Planet, der
die wundervollſte Individualität iſt, wenn er auch noch ſo ſehr
im gleichen Grundgeſetz wie alle anderen hängen mag. Und
wie gerade durch die Verſchiedenheit der Geſtaltung trotz
gleicher Grundkraft bei Jupiter etwa, Saturn und Erde dieſe
Erde ſelbſt eigentlich erſt ganz klar und ganz intereſſant für
dich wird, ſo kommt auch das Liebesleben des Menſchen dir
erſt ins ganz rechte Licht, wenn du unentwegt vorher durch
alle die Varianten der Liebesmöglichkeit im übrigen Tierreich
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/225>, abgerufen am 24.11.2024.
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