heute noch der Fisch Amphioxus zeigt. Aus dem Amphioxus ein Neunauge, aus dem Neunauge ein Fisch, ähnlich unseren Haifischen, aus dem Haifisch ein Molchfisch, ein Molch, ein Reptil, ein Schnabeltier, eine Beutelratte, ein Halbaffe, ein Gibbonaffe, ein Affenmensch. Und dann endlich kam der Mensch. Der Mensch, der die Natur zur Kultur schmiedete im roten Glanze seiner künstlich erzeugten Herdflamme .....
Eine unermeßliche Entwickelungskette, anders riesig noch als jene kleine Folge vom einzelligen Urwesen zum Volvox oder zur Gasträa. Und doch! In jenen Grundlagen kam während dieser ganzen Kette, die vom Himmel zur Erde zu hängen scheint, nichts Änderndes mehr hinzu. Der Volvox erfüllte das biogenetische Grundgesetz. Auch der Mensch erfüllt es. Du hast es erfüllt, als du im Mutterleibe warst. Dein Kind erfüllt es, das du mit deiner Liebe zeugst. Schau her.
Von deinem Weibe spaltet sich in dem Fortpflanzungs¬ organ ihres Leibes -- also dem Gebiet ihres Vielzellleibes, wo nach der Arbeitsteilung die Zellen bloß der Fortpflanzung dienen -- ein einzelne kleine, träge Eizelle ab. Eine einzige Zelle! Zu dieser einzelnen Zelle kommt durch deine Hilfe im Liebesakt eine noch winzigere zweite Einzelzelle: eine bewegliche Samenzelle. Die beiden Zellen -- du hast das kleine Mysterium genau mit angesehen -- verschmelzen und erzeugen aus sich durch Spaltung eine Schar neuer Einzeller. Diese Schar neuer Einzeller bleibt zu einem sozialen Verbande beisammen. Und in diesem sozialen Verbande entsteht eine gewisse Arbeits¬ teilung, -- zunächst im Sinne einer Anordnung zu bestimmten Zellgruppen als Organen .....
Merkst du es? Der Mensch ist kein Volvox mehr. Und doch macht er die ganze Linie, die zum Volvox geschichtlich führte und die jeder Volvox nach dem biogenetischen Grund¬ gesetz individuell noch einmal wiederholt, auch im Mutterleibe durch. Er muß es ..... denn er ist ja geschichtlich über den Volvox oder wenigstens ähnliche Formen weggegangen:
heute noch der Fiſch Amphioxus zeigt. Aus dem Amphioxus ein Neunauge, aus dem Neunauge ein Fiſch, ähnlich unſeren Haifiſchen, aus dem Haifiſch ein Molchfiſch, ein Molch, ein Reptil, ein Schnabeltier, eine Beutelratte, ein Halbaffe, ein Gibbonaffe, ein Affenmenſch. Und dann endlich kam der Menſch. Der Menſch, der die Natur zur Kultur ſchmiedete im roten Glanze ſeiner künſtlich erzeugten Herdflamme .....
Eine unermeßliche Entwickelungskette, anders rieſig noch als jene kleine Folge vom einzelligen Urweſen zum Volvox oder zur Gaſträa. Und doch! In jenen Grundlagen kam während dieſer ganzen Kette, die vom Himmel zur Erde zu hängen ſcheint, nichts Änderndes mehr hinzu. Der Volvox erfüllte das biogenetiſche Grundgeſetz. Auch der Menſch erfüllt es. Du haſt es erfüllt, als du im Mutterleibe warſt. Dein Kind erfüllt es, das du mit deiner Liebe zeugſt. Schau her.
Von deinem Weibe ſpaltet ſich in dem Fortpflanzungs¬ organ ihres Leibes — alſo dem Gebiet ihres Vielzellleibes, wo nach der Arbeitsteilung die Zellen bloß der Fortpflanzung dienen — ein einzelne kleine, träge Eizelle ab. Eine einzige Zelle! Zu dieſer einzelnen Zelle kommt durch deine Hilfe im Liebesakt eine noch winzigere zweite Einzelzelle: eine bewegliche Samenzelle. Die beiden Zellen — du haſt das kleine Myſterium genau mit angeſehen — verſchmelzen und erzeugen aus ſich durch Spaltung eine Schar neuer Einzeller. Dieſe Schar neuer Einzeller bleibt zu einem ſozialen Verbande beiſammen. Und in dieſem ſozialen Verbande entſteht eine gewiſſe Arbeits¬ teilung, — zunächſt im Sinne einer Anordnung zu beſtimmten Zellgruppen als Organen .....
Merkſt du es? Der Menſch iſt kein Volvox mehr. Und doch macht er die ganze Linie, die zum Volvox geſchichtlich führte und die jeder Volvox nach dem biogenetiſchen Grund¬ geſetz individuell noch einmal wiederholt, auch im Mutterleibe durch. Er muß es ..... denn er iſt ja geſchichtlich über den Volvox oder wenigſtens ähnliche Formen weggegangen:
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heute noch der Fiſch Amphioxus zeigt. Aus dem Amphioxus
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Haifiſchen, aus dem Haifiſch ein Molchfiſch, ein Molch, ein
Reptil, ein Schnabeltier, eine Beutelratte, ein Halbaffe, ein
Gibbonaffe, ein Affenmenſch. Und dann endlich kam der
Menſch. Der Menſch, der die Natur zur Kultur ſchmiedete
im roten Glanze ſeiner künſtlich erzeugten Herdflamme .....
Eine unermeßliche Entwickelungskette, anders rieſig noch
als jene kleine Folge vom einzelligen Urweſen zum Volvox
oder zur Gaſträa. Und doch! In jenen Grundlagen kam
während dieſer ganzen Kette, die vom Himmel zur Erde zu
hängen ſcheint, nichts Änderndes mehr hinzu. Der Volvox
erfüllte das biogenetiſche Grundgeſetz. Auch der Menſch erfüllt
es. Du haſt es erfüllt, als du im Mutterleibe warſt. Dein
Kind erfüllt es, das du mit deiner Liebe zeugſt. Schau her.
Von deinem Weibe ſpaltet ſich in dem Fortpflanzungs¬
organ ihres Leibes — alſo dem Gebiet ihres Vielzellleibes,
wo nach der Arbeitsteilung die Zellen bloß der Fortpflanzung
dienen — ein einzelne kleine, träge Eizelle ab. Eine einzige
Zelle! Zu dieſer einzelnen Zelle kommt durch deine Hilfe im
Liebesakt eine noch winzigere zweite Einzelzelle: eine bewegliche
Samenzelle. Die beiden Zellen — du haſt das kleine Myſterium
genau mit angeſehen — verſchmelzen und erzeugen aus ſich
durch Spaltung eine Schar neuer Einzeller. Dieſe Schar
neuer Einzeller bleibt zu einem ſozialen Verbande beiſammen.
Und in dieſem ſozialen Verbande entſteht eine gewiſſe Arbeits¬
teilung, — zunächſt im Sinne einer Anordnung zu beſtimmten
Zellgruppen als Organen .....
Merkſt du es? Der Menſch iſt kein Volvox mehr. Und
doch macht er die ganze Linie, die zum Volvox geſchichtlich
führte und die jeder Volvox nach dem biogenetiſchen Grund¬
geſetz individuell noch einmal wiederholt, auch im Mutterleibe
durch. Er muß es ..... denn er iſt ja geſchichtlich über
den Volvox oder wenigſtens ähnliche Formen weggegangen:
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/210>, abgerufen am 28.11.2024.
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