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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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höchstens die höhere Pflanzenwelt entwickelt. Aber auch die
schwarze Cypresse da drüben ist ein gewaltiger Turm aus
vielen, vielen Millonen von Zellziegeln. Und außerdem nahmen
wir den Volvox ja nur als gerade sich bietendes Beispiel. Es
giebt ihm entsprechende mehr tierische Urzellverbände solcher ein¬
fachsten Art auch bei jenen vorhin erwähnten echten Infusorien,
also direkt auch an den Wurzeln des Tierreichs, -- z. B. die
von Häckel beschriebene Magosphära oder norwegische Flimmer¬
kugel, bei der einige dreißig bis sechzig birnenförmige Zellen
ebenfalls eine gemeinsame Kugel bilden, ohne wirklich zu ver¬
schmelzen. Also einerlei.

Jetzt sieh aber noch einmal scharf hin. Hier stehst du,
dort die Volvoxkugel, dort die einzellige Amöbe. Liegt der
Unterschied bloß darin, daß die Amöbe gleichsam ein einziger
isolierter Ziegelstein ist, die Volvoxkugel eine Gemeinschaft von
ein paar Tausenden solcher Steine, die zusammen eine schwim¬
mende Kugel bilden, du selbst aber ein Riesenbau in Menschen¬
form aus Myriaden Steinen? Nein.

Erinnere dich an das, was ich dir früher schon einmal
erzählt habe. Wie dein Menschenleib gleich dem eines Hundes
oder eines Regenwurmes nicht bloß ein kolossaler regelloser
Zellklumpen ist. Er ist ein raffiniert eingerichtetes "Haus".
In diesem Hause bilden die Zellen gruppenweise wie die
Ziegel eines großstädischen Kulturbaues besondere "Zimmer"
zu besonderer Bethätigung: sie bilden eine ganze Menge
Organe. Hier einen Darm, in dem verdaut, dort eine Lunge,
in der das Blut gereinigt und bereichert, dort ein Gehirn, in
dem "gedacht" wird. Und ein äußerst einfaches Wort löst das
Rätsel dieses ganzen Haushaltes.

Zu dem Wörtchen "sozial" tritt das andere gute Wort:
Arbeitsteilung.

höchſtens die höhere Pflanzenwelt entwickelt. Aber auch die
ſchwarze Cypreſſe da drüben iſt ein gewaltiger Turm aus
vielen, vielen Millonen von Zellziegeln. Und außerdem nahmen
wir den Volvox ja nur als gerade ſich bietendes Beiſpiel. Es
giebt ihm entſprechende mehr tieriſche Urzellverbände ſolcher ein¬
fachſten Art auch bei jenen vorhin erwähnten echten Infuſorien,
alſo direkt auch an den Wurzeln des Tierreichs, — z. B. die
von Häckel beſchriebene Magoſphära oder norwegiſche Flimmer¬
kugel, bei der einige dreißig bis ſechzig birnenförmige Zellen
ebenfalls eine gemeinſame Kugel bilden, ohne wirklich zu ver¬
ſchmelzen. Alſo einerlei.

Jetzt ſieh aber noch einmal ſcharf hin. Hier ſtehſt du,
dort die Volvoxkugel, dort die einzellige Amöbe. Liegt der
Unterſchied bloß darin, daß die Amöbe gleichſam ein einziger
iſolierter Ziegelſtein iſt, die Volvoxkugel eine Gemeinſchaft von
ein paar Tauſenden ſolcher Steine, die zuſammen eine ſchwim¬
mende Kugel bilden, du ſelbſt aber ein Rieſenbau in Menſchen¬
form aus Myriaden Steinen? Nein.

Erinnere dich an das, was ich dir früher ſchon einmal
erzählt habe. Wie dein Menſchenleib gleich dem eines Hundes
oder eines Regenwurmes nicht bloß ein koloſſaler regelloſer
Zellklumpen iſt. Er iſt ein raffiniert eingerichtetes „Haus“.
In dieſem Hauſe bilden die Zellen gruppenweiſe wie die
Ziegel eines großſtädiſchen Kulturbaues beſondere „Zimmer“
zu beſonderer Bethätigung: ſie bilden eine ganze Menge
Organe. Hier einen Darm, in dem verdaut, dort eine Lunge,
in der das Blut gereinigt und bereichert, dort ein Gehirn, in
dem „gedacht“ wird. Und ein äußerſt einfaches Wort löſt das
Rätſel dieſes ganzen Haushaltes.

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Arbeitsteilung.

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[172/0188] höchſtens die höhere Pflanzenwelt entwickelt. Aber auch die ſchwarze Cypreſſe da drüben iſt ein gewaltiger Turm aus vielen, vielen Millonen von Zellziegeln. Und außerdem nahmen wir den Volvox ja nur als gerade ſich bietendes Beiſpiel. Es giebt ihm entſprechende mehr tieriſche Urzellverbände ſolcher ein¬ fachſten Art auch bei jenen vorhin erwähnten echten Infuſorien, alſo direkt auch an den Wurzeln des Tierreichs, — z. B. die von Häckel beſchriebene Magoſphära oder norwegiſche Flimmer¬ kugel, bei der einige dreißig bis ſechzig birnenförmige Zellen ebenfalls eine gemeinſame Kugel bilden, ohne wirklich zu ver¬ ſchmelzen. Alſo einerlei. Jetzt ſieh aber noch einmal ſcharf hin. Hier ſtehſt du, dort die Volvoxkugel, dort die einzellige Amöbe. Liegt der Unterſchied bloß darin, daß die Amöbe gleichſam ein einziger iſolierter Ziegelſtein iſt, die Volvoxkugel eine Gemeinſchaft von ein paar Tauſenden ſolcher Steine, die zuſammen eine ſchwim¬ mende Kugel bilden, du ſelbſt aber ein Rieſenbau in Menſchen¬ form aus Myriaden Steinen? Nein. Erinnere dich an das, was ich dir früher ſchon einmal erzählt habe. Wie dein Menſchenleib gleich dem eines Hundes oder eines Regenwurmes nicht bloß ein koloſſaler regelloſer Zellklumpen iſt. Er iſt ein raffiniert eingerichtetes „Haus“. In dieſem Hauſe bilden die Zellen gruppenweiſe wie die Ziegel eines großſtädiſchen Kulturbaues beſondere „Zimmer“ zu beſonderer Bethätigung: ſie bilden eine ganze Menge Organe. Hier einen Darm, in dem verdaut, dort eine Lunge, in der das Blut gereinigt und bereichert, dort ein Gehirn, in dem „gedacht“ wird. Und ein äußerſt einfaches Wort löſt das Rätſel dieſes ganzen Haushaltes. Zu dem Wörtchen „ſozial“ tritt das andere gute Wort: Arbeitsteilung.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/188>, abgerufen am 22.11.2024.