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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Leben wie in hypnotischer Erstarrung schlief? Oder waren
von den spitzen, hartkantigen Bergkristallen ihres Schachtes
einige auf einmal weich und beweglich geworden und hatten
sich als leibhaftige Zwerglein mit spitzen Mützen entpuppt?
Das wußte nun niemand mehr, aber da waren sie.

Sie hausten jeder für sich als knurrige Einsiedler, jagten
und fischten nach Herzenslust und aßen sich bei guter Gelegen¬
heit recht einen Ranzen an. Das Merkwürdigste aber war
folgendes. Beim Zwergenvolk gab es weder Mann noch Weib.
Alle waren sich ganz und gar gleich, -- abgesehen natürlich
davon, daß dieser vielleicht etwas dicker und handfester war
als jener oder sonst so ähnliche kleine Unterschiede herrschten,
die aber nichts mit Männleins- oder Weibleinseigenschaften zu
thun hatten. Die Kinder aber kriegten sie auf die aller¬
verrückteste Weise.

Du hast vom bösen Zwerge Rumpelstilzchen in der Ge¬
schichte gelesen, der sich in der Verzweiflung mit der einen
Hand bei der Bartspitze und mit der anderen beim dicken Zeh
packte und sich dann mit einem herzhaften Ruck selber in zwei
Stücke riß. Nun, unsere Zwerge waren eigentlich allesamt
solche Rumpelstilze. Bloß daß sie die Sache nicht aus reiner
Angst und als gute Art, um sich selber umzubringen, trieben.
Sondern sie machten aus der Selbstzerreißerei den puren
Sport ohne alle schlimmen Folgen. Hatte sich einer so recht
kugeldick gefressen und war bis auf ein Maß gewachsen, das
zu überschreiten bei der Zwergenwelt nicht für anständig galt, --
ritsch, hatte er sich selber mitten durch gehackt und lag da in
zwei Hälften.

Aber kurios: das war nun durchaus nicht so, wie wenn
unsereiner unters Wurstmesser fällt. Jede Hälfte blieb fidel
lebendig, und nicht lange, so war jede durch etzliche gute
Mahlzeiten und raschen Nachwuchs auch schon wieder ein voll¬
kommen wohl proportionierter Zwerg, der genau so groß
wurde wie der alte unzerrissene Rumpelstilz gewesen war. Und

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Leben wie in hypnotiſcher Erſtarrung ſchlief? Oder waren
von den ſpitzen, hartkantigen Bergkriſtallen ihres Schachtes
einige auf einmal weich und beweglich geworden und hatten
ſich als leibhaftige Zwerglein mit ſpitzen Mützen entpuppt?
Das wußte nun niemand mehr, aber da waren ſie.

Sie hauſten jeder für ſich als knurrige Einſiedler, jagten
und fiſchten nach Herzensluſt und aßen ſich bei guter Gelegen¬
heit recht einen Ranzen an. Das Merkwürdigſte aber war
folgendes. Beim Zwergenvolk gab es weder Mann noch Weib.
Alle waren ſich ganz und gar gleich, — abgeſehen natürlich
davon, daß dieſer vielleicht etwas dicker und handfeſter war
als jener oder ſonſt ſo ähnliche kleine Unterſchiede herrſchten,
die aber nichts mit Männleins- oder Weibleinseigenſchaften zu
thun hatten. Die Kinder aber kriegten ſie auf die aller¬
verrückteſte Weiſe.

Du haſt vom böſen Zwerge Rumpelſtilzchen in der Ge¬
ſchichte geleſen, der ſich in der Verzweiflung mit der einen
Hand bei der Bartſpitze und mit der anderen beim dicken Zeh
packte und ſich dann mit einem herzhaften Ruck ſelber in zwei
Stücke riß. Nun, unſere Zwerge waren eigentlich alleſamt
ſolche Rumpelſtilze. Bloß daß ſie die Sache nicht aus reiner
Angſt und als gute Art, um ſich ſelber umzubringen, trieben.
Sondern ſie machten aus der Selbſtzerreißerei den puren
Sport ohne alle ſchlimmen Folgen. Hatte ſich einer ſo recht
kugeldick gefreſſen und war bis auf ein Maß gewachſen, das
zu überſchreiten bei der Zwergenwelt nicht für anſtändig galt, —
ritſch, hatte er ſich ſelber mitten durch gehackt und lag da in
zwei Hälften.

Aber kurios: das war nun durchaus nicht ſo, wie wenn
unſereiner unters Wurſtmeſſer fällt. Jede Hälfte blieb fidel
lebendig, und nicht lange, ſo war jede durch etzliche gute
Mahlzeiten und raſchen Nachwuchs auch ſchon wieder ein voll¬
kommen wohl proportionierter Zwerg, der genau ſo groß
wurde wie der alte unzerriſſene Rumpelſtilz geweſen war. Und

9*
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[131/0147] Leben wie in hypnotiſcher Erſtarrung ſchlief? Oder waren von den ſpitzen, hartkantigen Bergkriſtallen ihres Schachtes einige auf einmal weich und beweglich geworden und hatten ſich als leibhaftige Zwerglein mit ſpitzen Mützen entpuppt? Das wußte nun niemand mehr, aber da waren ſie. Sie hauſten jeder für ſich als knurrige Einſiedler, jagten und fiſchten nach Herzensluſt und aßen ſich bei guter Gelegen¬ heit recht einen Ranzen an. Das Merkwürdigſte aber war folgendes. Beim Zwergenvolk gab es weder Mann noch Weib. Alle waren ſich ganz und gar gleich, — abgeſehen natürlich davon, daß dieſer vielleicht etwas dicker und handfeſter war als jener oder ſonſt ſo ähnliche kleine Unterſchiede herrſchten, die aber nichts mit Männleins- oder Weibleinseigenſchaften zu thun hatten. Die Kinder aber kriegten ſie auf die aller¬ verrückteſte Weiſe. Du haſt vom böſen Zwerge Rumpelſtilzchen in der Ge¬ ſchichte geleſen, der ſich in der Verzweiflung mit der einen Hand bei der Bartſpitze und mit der anderen beim dicken Zeh packte und ſich dann mit einem herzhaften Ruck ſelber in zwei Stücke riß. Nun, unſere Zwerge waren eigentlich alleſamt ſolche Rumpelſtilze. Bloß daß ſie die Sache nicht aus reiner Angſt und als gute Art, um ſich ſelber umzubringen, trieben. Sondern ſie machten aus der Selbſtzerreißerei den puren Sport ohne alle ſchlimmen Folgen. Hatte ſich einer ſo recht kugeldick gefreſſen und war bis auf ein Maß gewachſen, das zu überſchreiten bei der Zwergenwelt nicht für anſtändig galt, — ritſch, hatte er ſich ſelber mitten durch gehackt und lag da in zwei Hälften. Aber kurios: das war nun durchaus nicht ſo, wie wenn unſereiner unters Wurſtmeſſer fällt. Jede Hälfte blieb fidel lebendig, und nicht lange, ſo war jede durch etzliche gute Mahlzeiten und raſchen Nachwuchs auch ſchon wieder ein voll¬ kommen wohl proportionierter Zwerg, der genau ſo groß wurde wie der alte unzerriſſene Rumpelſtilz geweſen war. Und 9*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/147>, abgerufen am 22.11.2024.