wissen Formen direkter, im Anorganischen allgemein bekannter Anziehung zeigt. Sorgfältige und fast übermäßig kritische Beob¬ achter des Aktes an Tiereiern haben keinen Anstand genommen, an "elektrische Anziehung" zu erinnern. Bei den Eiern der sogenannten Seegurken (also von Tieren aus der Verwandt¬ schaft der Seesterne und Seeigel) zeigte sich unter dem Mikro¬ skop ein solches Losstürzen der Samentierchen auf das Ei, ein Zurückprallen und Wiederanrennen und Festkleben, kurz ein solch wechselndes Spiel, daß die Ähnlichkeit mit dem Tanz ab¬ wechselnd angezogener und abgestoßener Körperchen am Kon¬ duktor einer Elektrisiermaschine sich den Beschauern geradezu aufdrängte. Und ähnlich wilder Sturm wurde bei Pflanzen¬ eiern, z. B. denen des bekannten Blasentangs, den du überall am nordischen Seestrand findest, beobachtet: hier stürmen die Samentierchen (bedenke: bei einer Pflanze!) derartig toll, daß die ganze, im Verhältnis riesengroße und sehr träge Eikugel infolge der Stöße anfängt, sich um ihre Achse zu drehen.
Nun erinnere dich, wie von direkten Anziehungskräften, die von Körper zu Körper einfach überzugreifen scheinen, die sogenannte anorganische, "tote" Natur allenthalben voll ist. Gravitation, Adhäsion, magnetische und elektrische Anziehung, chemische Affinität. Die ganze mechanische Welt, wie wir sie vor Augen haben, steht eigentlich auf diesen Anziehungen.
Natürlich: ich will dir auch hier wieder keineswegs auf¬ reden, daß du einfach diese oder jene allgemeine Stoffanziehung mit der erotischen Anziehung gleichsetzen sollst. Seit langer Zeit richtet das willkürliche Vermengen etwa von Magnetismus und Liebe genug Konfusion in der Welt, wo man nur halb und viertel denkt, an, ohne bisher auch nur einen Zoll weiter¬ geführt zu haben. Und Gravitation etwa und Liebe sind an sich wohl so verschieden, wie nur überhaupt zwei Dinge des Alls verschieden sein können. Wenn du aus dem Fenster kugelst, so packt dich die Schwerkraft mit ihren furchtbaren Geierkrallen, ob du nun im tiefsten Dusel aller Sinne liegst,
wiſſen Formen direkter, im Anorganiſchen allgemein bekannter Anziehung zeigt. Sorgfältige und faſt übermäßig kritiſche Beob¬ achter des Aktes an Tiereiern haben keinen Anſtand genommen, an „elektriſche Anziehung“ zu erinnern. Bei den Eiern der ſogenannten Seegurken (alſo von Tieren aus der Verwandt¬ ſchaft der Seeſterne und Seeigel) zeigte ſich unter dem Mikro¬ ſkop ein ſolches Losſtürzen der Samentierchen auf das Ei, ein Zurückprallen und Wiederanrennen und Feſtkleben, kurz ein ſolch wechſelndes Spiel, daß die Ähnlichkeit mit dem Tanz ab¬ wechſelnd angezogener und abgeſtoßener Körperchen am Kon¬ duktor einer Elektriſiermaſchine ſich den Beſchauern geradezu aufdrängte. Und ähnlich wilder Sturm wurde bei Pflanzen¬ eiern, z. B. denen des bekannten Blaſentangs, den du überall am nordiſchen Seeſtrand findeſt, beobachtet: hier ſtürmen die Samentierchen (bedenke: bei einer Pflanze!) derartig toll, daß die ganze, im Verhältnis rieſengroße und ſehr träge Eikugel infolge der Stöße anfängt, ſich um ihre Achſe zu drehen.
Nun erinnere dich, wie von direkten Anziehungskräften, die von Körper zu Körper einfach überzugreifen ſcheinen, die ſogenannte anorganiſche, „tote“ Natur allenthalben voll iſt. Gravitation, Adhäſion, magnetiſche und elektriſche Anziehung, chemiſche Affinität. Die ganze mechaniſche Welt, wie wir ſie vor Augen haben, ſteht eigentlich auf dieſen Anziehungen.
Natürlich: ich will dir auch hier wieder keineswegs auf¬ reden, daß du einfach dieſe oder jene allgemeine Stoffanziehung mit der erotiſchen Anziehung gleichſetzen ſollſt. Seit langer Zeit richtet das willkürliche Vermengen etwa von Magnetismus und Liebe genug Konfuſion in der Welt, wo man nur halb und viertel denkt, an, ohne bisher auch nur einen Zoll weiter¬ geführt zu haben. Und Gravitation etwa und Liebe ſind an ſich wohl ſo verſchieden, wie nur überhaupt zwei Dinge des Alls verſchieden ſein können. Wenn du aus dem Fenſter kugelſt, ſo packt dich die Schwerkraft mit ihren furchtbaren Geierkrallen, ob du nun im tiefſten Duſel aller Sinne liegſt,
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wiſſen Formen direkter, im Anorganiſchen allgemein bekannter
Anziehung zeigt. Sorgfältige und faſt übermäßig kritiſche Beob¬
achter des Aktes an Tiereiern haben keinen Anſtand genommen,
an „elektriſche Anziehung“ zu erinnern. Bei den Eiern der
ſogenannten Seegurken (alſo von Tieren aus der Verwandt¬
ſchaft der Seeſterne und Seeigel) zeigte ſich unter dem Mikro¬
ſkop ein ſolches Losſtürzen der Samentierchen auf das Ei, ein
Zurückprallen und Wiederanrennen und Feſtkleben, kurz ein
ſolch wechſelndes Spiel, daß die Ähnlichkeit mit dem Tanz ab¬
wechſelnd angezogener und abgeſtoßener Körperchen am Kon¬
duktor einer Elektriſiermaſchine ſich den Beſchauern geradezu
aufdrängte. Und ähnlich wilder Sturm wurde bei Pflanzen¬
eiern, z. B. denen des bekannten Blaſentangs, den du überall
am nordiſchen Seeſtrand findeſt, beobachtet: hier ſtürmen die
Samentierchen (bedenke: bei einer Pflanze!) derartig toll, daß
die ganze, im Verhältnis rieſengroße und ſehr träge Eikugel
infolge der Stöße anfängt, ſich um ihre Achſe zu drehen.
Nun erinnere dich, wie von direkten Anziehungskräften,
die von Körper zu Körper einfach überzugreifen ſcheinen, die
ſogenannte anorganiſche, „tote“ Natur allenthalben voll iſt.
Gravitation, Adhäſion, magnetiſche und elektriſche Anziehung,
chemiſche Affinität. Die ganze mechaniſche Welt, wie wir ſie
vor Augen haben, ſteht eigentlich auf dieſen Anziehungen.
Natürlich: ich will dir auch hier wieder keineswegs auf¬
reden, daß du einfach dieſe oder jene allgemeine Stoffanziehung
mit der erotiſchen Anziehung gleichſetzen ſollſt. Seit langer
Zeit richtet das willkürliche Vermengen etwa von Magnetismus
und Liebe genug Konfuſion in der Welt, wo man nur halb
und viertel denkt, an, ohne bisher auch nur einen Zoll weiter¬
geführt zu haben. Und Gravitation etwa und Liebe ſind an
ſich wohl ſo verſchieden, wie nur überhaupt zwei Dinge des
Alls verſchieden ſein können. Wenn du aus dem Fenſter
kugelſt, ſo packt dich die Schwerkraft mit ihren furchtbaren
Geierkrallen, ob du nun im tiefſten Duſel aller Sinne liegſt,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/137>, abgerufen am 24.11.2024.
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