Materie ist von Beginn an in gewissem Maße "belebt". Je im Banne bestimmter äußerer Möglichkeiten erheben sich aus ihr bestimmte Formen solchen Lebens. Eine steht uns auf unserem abgekühlten Planeten in der Kette vom Bazillus bis zum Menschen vor Augen: -- die in allem den hier gegebenen Anpassungsbedingungen am meisten entsprechende. Aber diese uns sichtbare Kohlenstoffzellenwelt, die wir seit Beginn der Erdabkühlung auf Erden sehen, stellt eben thatsächlich nur eine dar unter zahllosen überhaupt "möglichen" Höherentwickelungen.
Willst du deine Phantasie schweifen lassen, so magst du dir ausmalen, daß am Ende gar die Linie, die mit dem Bazillus einsetzte, schon heraufkam als Entwickelungsform aus anderen Linien mit entsprechend anderen Anpassungen nicht für relativ kühle, sondern für glühende Verhältnisse. Es könnte schon eine Lebenslinie innerhalb der Rotglut bestanden haben, natürlich haftend an Stoffen und Stoffvereinigungen, die in solcher Hitze unzersetzt ausdauerten. Und so weiter zurück. Unser ganzes sogenanntes "Leben" mit seinem bestimmten Zell¬ stoff wäre eben im ganzen eine Anpassung an bestimmte Tem¬ peratur, die aus anderen für andere Temperatur gerade so organisch herausgekommen wäre, wie etwa innerhalb unseres Lebens die Landtiere sich als neue Anpassung aus den Wasser¬ tieren entwickelt haben.
Der Gedanke ist an und für sich interessant auch in seinen Zukunftsfolgerungen.
Als die Urbazillen entstanden, war es aller Wahrscheinlich¬ keit nach auf der Erde im ganzen noch wärmer als heute. Im Laufe der Jahrmillionen ist die Temperatur dann wohl einiger¬ maßen schon heruntergegangen. Unsere Lebenslinie auf der Erde dieser Jahrmillionen hat sich aber, wie es scheint, fort und fort diesem Sinken noch weiter angepaßt. Es entstanden die warm¬ blütigen Tiere mit ihrer starken Wappnung gegen höhere Kälte¬ grade. Schließlich entstand der Mensch, der das Radikalmittel erfand: künstliche Feuererzeugung. Der Mensch, der heute den
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Materie iſt von Beginn an in gewiſſem Maße „belebt“. Je im Banne beſtimmter äußerer Möglichkeiten erheben ſich aus ihr beſtimmte Formen ſolchen Lebens. Eine ſteht uns auf unſerem abgekühlten Planeten in der Kette vom Bazillus bis zum Menſchen vor Augen: — die in allem den hier gegebenen Anpaſſungsbedingungen am meiſten entſprechende. Aber dieſe uns ſichtbare Kohlenſtoffzellenwelt, die wir ſeit Beginn der Erdabkühlung auf Erden ſehen, ſtellt eben thatſächlich nur eine dar unter zahlloſen überhaupt „möglichen“ Höherentwickelungen.
Willſt du deine Phantaſie ſchweifen laſſen, ſo magſt du dir ausmalen, daß am Ende gar die Linie, die mit dem Bazillus einſetzte, ſchon heraufkam als Entwickelungsform aus anderen Linien mit entſprechend anderen Anpaſſungen nicht für relativ kühle, ſondern für glühende Verhältniſſe. Es könnte ſchon eine Lebenslinie innerhalb der Rotglut beſtanden haben, natürlich haftend an Stoffen und Stoffvereinigungen, die in ſolcher Hitze unzerſetzt ausdauerten. Und ſo weiter zurück. Unſer ganzes ſogenanntes „Leben“ mit ſeinem beſtimmten Zell¬ ſtoff wäre eben im ganzen eine Anpaſſung an beſtimmte Tem¬ peratur, die aus anderen für andere Temperatur gerade ſo organiſch herausgekommen wäre, wie etwa innerhalb unſeres Lebens die Landtiere ſich als neue Anpaſſung aus den Waſſer¬ tieren entwickelt haben.
Der Gedanke iſt an und für ſich intereſſant auch in ſeinen Zukunftsfolgerungen.
Als die Urbazillen entſtanden, war es aller Wahrſcheinlich¬ keit nach auf der Erde im ganzen noch wärmer als heute. Im Laufe der Jahrmillionen iſt die Temperatur dann wohl einiger¬ maßen ſchon heruntergegangen. Unſere Lebenslinie auf der Erde dieſer Jahrmillionen hat ſich aber, wie es ſcheint, fort und fort dieſem Sinken noch weiter angepaßt. Es entſtanden die warm¬ blütigen Tiere mit ihrer ſtarken Wappnung gegen höhere Kälte¬ grade. Schließlich entſtand der Menſch, der das Radikalmittel erfand: künſtliche Feuererzeugung. Der Menſch, der heute den
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Materie iſt von Beginn an in gewiſſem Maße „belebt“. Je
im Banne beſtimmter äußerer Möglichkeiten erheben ſich aus
ihr beſtimmte Formen ſolchen Lebens. Eine ſteht uns auf
unſerem abgekühlten Planeten in der Kette vom Bazillus bis
zum Menſchen vor Augen: — die in allem den hier gegebenen
Anpaſſungsbedingungen am meiſten entſprechende. Aber dieſe
uns ſichtbare Kohlenſtoffzellenwelt, die wir ſeit Beginn der
Erdabkühlung auf Erden ſehen, ſtellt eben thatſächlich nur eine
dar unter zahlloſen überhaupt „möglichen“ Höherentwickelungen.
Willſt du deine Phantaſie ſchweifen laſſen, ſo magſt du
dir ausmalen, daß am Ende gar die Linie, die mit dem
Bazillus einſetzte, ſchon heraufkam als Entwickelungsform aus
anderen Linien mit entſprechend anderen Anpaſſungen nicht für
relativ kühle, ſondern für glühende Verhältniſſe. Es könnte
ſchon eine Lebenslinie innerhalb der Rotglut beſtanden haben,
natürlich haftend an Stoffen und Stoffvereinigungen, die in
ſolcher Hitze unzerſetzt ausdauerten. Und ſo weiter zurück.
Unſer ganzes ſogenanntes „Leben“ mit ſeinem beſtimmten Zell¬
ſtoff wäre eben im ganzen eine Anpaſſung an beſtimmte Tem¬
peratur, die aus anderen für andere Temperatur gerade ſo
organiſch herausgekommen wäre, wie etwa innerhalb unſeres
Lebens die Landtiere ſich als neue Anpaſſung aus den Waſſer¬
tieren entwickelt haben.
Der Gedanke iſt an und für ſich intereſſant auch in ſeinen
Zukunftsfolgerungen.
Als die Urbazillen entſtanden, war es aller Wahrſcheinlich¬
keit nach auf der Erde im ganzen noch wärmer als heute. Im
Laufe der Jahrmillionen iſt die Temperatur dann wohl einiger¬
maßen ſchon heruntergegangen. Unſere Lebenslinie auf der Erde
dieſer Jahrmillionen hat ſich aber, wie es ſcheint, fort und fort
dieſem Sinken noch weiter angepaßt. Es entſtanden die warm¬
blütigen Tiere mit ihrer ſtarken Wappnung gegen höhere Kälte¬
grade. Schließlich entſtand der Menſch, der das Radikalmittel
erfand: künſtliche Feuererzeugung. Der Menſch, der heute den
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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