Sandablagerungen sind durch einen seltsamen Kristallisations¬ prozeß wie mit der Wursthacke durcheinander gearbeitet, so daß jede Überlieferung organischer Formen von selbst ausgeschlossen ist. Unsere Phantasie hat aber gar keinen Grund, sich durch diese äußerliche und wohl nachträgliche Sache kommandieren zu lassen. Wenn am kambrischen Strand schon Würmer krochen und Quallen angespült wurden, so muß eine Zeit vorausge¬ gangen sein, in der sich in einem völlig verschollenen Urmeer solche Würmer und Quallen aus noch einfacheren Tieren ent¬ wickelt haben. Und schließlich muß de facto ein ganz äußerster Urstrand irgendwo gelegen haben, an dem nur mehr allerein¬ fachste organische Wesen existiert haben. Wesen jener Sorte, die noch nicht einmal die scharfe Sonderung in Tier und Pflanze zulassen, sondern aus denen echte Tiere sowohl wie echte Pflanzen sich erst in der Folge als zwei parallele Stämme entwickeln sollten. Wesen nach Art jener heute noch so massen¬ haft vorhandenen Bazillen, deren ganzer Leib bloß ein einziges anscheinend ziemlich gleichartiges Klümpchen lebenden Stoffs, -- eine einzige Zelle, darstellt.
Auch der Bazillus "liebt", das heißt: er zeigt Zeugungs-, zeigt Fortpflanzungsvorgänge, durch die aus lebendigen Indi¬ viduen neue Individuen geschaffen werden. Natürlich in seiner ganz primitiven Weise. Es ist an ihm alles so "einfach" ge¬ worden, so auf den alleinigen Ziegelstein herausgearbeitet, daß eben auch die Liebe auf den denkbar dünnsten Extrakt gesetzt erscheint. Wir wollen gleich noch ein Wort davon reden, -- hier nur einstweilen die schlichte Thatsache. Die feuchte Urluft, in der Bazillen schwärmten, -- oder das Urwasser, in dem sie sich schlängelten, oder der Urschlammstrand, wo sie krochen: sie waren schon Schauplatz gewisser allersimpelster Vorgänge, bei denen Individuen neue Individuen aus sich herausgestalteten, -- es gab da Fortpflanzung, gab Liebe. Das ist nicht eine vage Hypothese, sondern es ist ein einfacher logischer Schluß. Wie die Astronomen einst den Planeten Neptun aus gewissen
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Sandablagerungen ſind durch einen ſeltſamen Kriſtalliſations¬ prozeß wie mit der Wurſthacke durcheinander gearbeitet, ſo daß jede Überlieferung organiſcher Formen von ſelbſt ausgeſchloſſen iſt. Unſere Phantaſie hat aber gar keinen Grund, ſich durch dieſe äußerliche und wohl nachträgliche Sache kommandieren zu laſſen. Wenn am kambriſchen Strand ſchon Würmer krochen und Quallen angeſpült wurden, ſo muß eine Zeit vorausge¬ gangen ſein, in der ſich in einem völlig verſchollenen Urmeer ſolche Würmer und Quallen aus noch einfacheren Tieren ent¬ wickelt haben. Und ſchließlich muß de facto ein ganz äußerſter Urſtrand irgendwo gelegen haben, an dem nur mehr allerein¬ fachſte organiſche Weſen exiſtiert haben. Weſen jener Sorte, die noch nicht einmal die ſcharfe Sonderung in Tier und Pflanze zulaſſen, ſondern aus denen echte Tiere ſowohl wie echte Pflanzen ſich erſt in der Folge als zwei parallele Stämme entwickeln ſollten. Weſen nach Art jener heute noch ſo maſſen¬ haft vorhandenen Bazillen, deren ganzer Leib bloß ein einziges anſcheinend ziemlich gleichartiges Klümpchen lebenden Stoffs, — eine einzige Zelle, darſtellt.
Auch der Bazillus „liebt“, das heißt: er zeigt Zeugungs-, zeigt Fortpflanzungsvorgänge, durch die aus lebendigen Indi¬ viduen neue Individuen geſchaffen werden. Natürlich in ſeiner ganz primitiven Weiſe. Es iſt an ihm alles ſo „einfach“ ge¬ worden, ſo auf den alleinigen Ziegelſtein herausgearbeitet, daß eben auch die Liebe auf den denkbar dünnſten Extrakt geſetzt erſcheint. Wir wollen gleich noch ein Wort davon reden, — hier nur einſtweilen die ſchlichte Thatſache. Die feuchte Urluft, in der Bazillen ſchwärmten, — oder das Urwaſſer, in dem ſie ſich ſchlängelten, oder der Urſchlammſtrand, wo ſie krochen: ſie waren ſchon Schauplatz gewiſſer allerſimpelſter Vorgänge, bei denen Individuen neue Individuen aus ſich herausgeſtalteten, — es gab da Fortpflanzung, gab Liebe. Das iſt nicht eine vage Hypotheſe, ſondern es iſt ein einfacher logiſcher Schluß. Wie die Aſtronomen einſt den Planeten Neptun aus gewiſſen
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Sandablagerungen ſind durch einen ſeltſamen Kriſtalliſations¬
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iſt. Unſere Phantaſie hat aber gar keinen Grund, ſich durch
dieſe äußerliche und wohl nachträgliche Sache kommandieren zu
laſſen. Wenn am kambriſchen Strand ſchon Würmer krochen
und Quallen angeſpült wurden, ſo muß eine Zeit vorausge¬
gangen ſein, in der ſich in einem völlig verſchollenen Urmeer
ſolche Würmer und Quallen aus noch einfacheren Tieren ent¬
wickelt haben. Und ſchließlich muß de facto ein ganz äußerſter
Urſtrand irgendwo gelegen haben, an dem nur mehr allerein¬
fachſte organiſche Weſen exiſtiert haben. Weſen jener Sorte,
die noch nicht einmal die ſcharfe Sonderung in Tier und
Pflanze zulaſſen, ſondern aus denen echte Tiere ſowohl wie
echte Pflanzen ſich erſt in der Folge als zwei parallele Stämme
entwickeln ſollten. Weſen nach Art jener heute noch ſo maſſen¬
haft vorhandenen Bazillen, deren ganzer Leib bloß ein einziges
anſcheinend ziemlich gleichartiges Klümpchen lebenden Stoffs, —
eine einzige Zelle, darſtellt.
Auch der Bazillus „liebt“, das heißt: er zeigt Zeugungs-,
zeigt Fortpflanzungsvorgänge, durch die aus lebendigen Indi¬
viduen neue Individuen geſchaffen werden. Natürlich in ſeiner
ganz primitiven Weiſe. Es iſt an ihm alles ſo „einfach“ ge¬
worden, ſo auf den alleinigen Ziegelſtein herausgearbeitet, daß
eben auch die Liebe auf den denkbar dünnſten Extrakt geſetzt
erſcheint. Wir wollen gleich noch ein Wort davon reden, —
hier nur einſtweilen die ſchlichte Thatſache. Die feuchte Urluft,
in der Bazillen ſchwärmten, — oder das Urwaſſer, in dem ſie
ſich ſchlängelten, oder der Urſchlammſtrand, wo ſie krochen: ſie
waren ſchon Schauplatz gewiſſer allerſimpelſter Vorgänge, bei
denen Individuen neue Individuen aus ſich herausgeſtalteten, —
es gab da Fortpflanzung, gab Liebe. Das iſt nicht eine
vage Hypotheſe, ſondern es iſt ein einfacher logiſcher Schluß.
Wie die Aſtronomen einſt den Planeten Neptun aus gewiſſen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/115>, abgerufen am 26.11.2024.
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