so bedenklich macht. Aber ist er ein Tier, etwa eine Art Wurm von kleinstem Körpermaß? Oder eine Pflanze, etwa eine Alge oder ein Pilz? Das letztere hört man häufig sagen und in der That verführt der direkt verwertete wissenschaftliche Namen "Spaltpilze" dazu. Aber vom eigentlichen Pilz ist der Bazillus doch noch stark verschieden. Er ist viel niedriger organisiert. Und er ist unvergleichlich niedriger noch organisiert als der Wurm. Weder das Wort Tier, noch das Wort Pflanze deckt ihn recht. Er vertritt ein Urreich, aus dem Tier wie Pflanze entsprossen sind, aus dem jedes für sich erst als Spezialisierung hervorgegangen ist. Der Bazillus stellt nicht mehr dar als eine einzige Zelle. Ein einziges jener Klümpchen lebendigen Stoffs, -- einen einzelnen Ziegelstein in unserem früheren Bilde, der aber vermöge seines "Alleinseins" eben ein winzigstes "Haus" für sich repräsentiert.
Mit solchem Bazillus hast du denn in der That jetzt das Unterste, das Einfachste erreicht, was wir auf der heutigen Erde von selbständigen Lebensformen kennen. Er ist allerdings durchweg schon so winzig, daß die Frage bleibt, ob er nicht noch Verwandte haben könnte, die von solcher raffiniertesten Kleinheit wären, daß selbst unsere feinsten Mikroskope sie nicht mehr wahrnähmen. Aber der Bazillus selbst ist schon gleichsam im reinen Gedankenschema das Einfachste, was wir uns über¬ haupt bei einem echten lebenden Wesen vorstellen können. Unsere Phantasie ist bei ihm bereits hinsichtlich der Verein¬ fachung bei einem gewissen Schluß. Und so würden wohl auch solche noch kleineren Wesen unter den Bazillus wohl nur hin¬ sichtlich der Größe, nicht aber des Baues wirklich hinabsteigen. Wir glauben schon mit ihm auf der Null zu sein, von der sich nichts mehr abziehen läßt, -- es sei denn, wir zögen das Leben selber von ihm ab, womit er aber ganz aus der Kette fiele, die mit ihm nach oben anheben soll.
Jenseits des kambrischen Strandes, sagte ich dir, giebt's keine Reste von Tieren und Pflanzen mehr. Die Ursache ist offenbar eine rein äußerliche: die noch älteren Schlamm- und
ſo bedenklich macht. Aber iſt er ein Tier, etwa eine Art Wurm von kleinſtem Körpermaß? Oder eine Pflanze, etwa eine Alge oder ein Pilz? Das letztere hört man häufig ſagen und in der That verführt der direkt verwertete wiſſenſchaftliche Namen „Spaltpilze“ dazu. Aber vom eigentlichen Pilz iſt der Bazillus doch noch ſtark verſchieden. Er iſt viel niedriger organiſiert. Und er iſt unvergleichlich niedriger noch organiſiert als der Wurm. Weder das Wort Tier, noch das Wort Pflanze deckt ihn recht. Er vertritt ein Urreich, aus dem Tier wie Pflanze entſproſſen ſind, aus dem jedes für ſich erſt als Spezialiſierung hervorgegangen iſt. Der Bazillus ſtellt nicht mehr dar als eine einzige Zelle. Ein einziges jener Klümpchen lebendigen Stoffs, — einen einzelnen Ziegelſtein in unſerem früheren Bilde, der aber vermöge ſeines „Alleinſeins“ eben ein winzigſtes „Haus“ für ſich repräſentiert.
Mit ſolchem Bazillus haſt du denn in der That jetzt das Unterſte, das Einfachſte erreicht, was wir auf der heutigen Erde von ſelbſtändigen Lebensformen kennen. Er iſt allerdings durchweg ſchon ſo winzig, daß die Frage bleibt, ob er nicht noch Verwandte haben könnte, die von ſolcher raffinierteſten Kleinheit wären, daß ſelbſt unſere feinſten Mikroſkope ſie nicht mehr wahrnähmen. Aber der Bazillus ſelbſt iſt ſchon gleichſam im reinen Gedankenſchema das Einfachſte, was wir uns über¬ haupt bei einem echten lebenden Weſen vorſtellen können. Unſere Phantaſie iſt bei ihm bereits hinſichtlich der Verein¬ fachung bei einem gewiſſen Schluß. Und ſo würden wohl auch ſolche noch kleineren Weſen unter den Bazillus wohl nur hin¬ ſichtlich der Größe, nicht aber des Baues wirklich hinabſteigen. Wir glauben ſchon mit ihm auf der Null zu ſein, von der ſich nichts mehr abziehen läßt, — es ſei denn, wir zögen das Leben ſelber von ihm ab, womit er aber ganz aus der Kette fiele, die mit ihm nach oben anheben ſoll.
Jenſeits des kambriſchen Strandes, ſagte ich dir, giebt's keine Reſte von Tieren und Pflanzen mehr. Die Urſache iſt offenbar eine rein äußerliche: die noch älteren Schlamm- und
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ſo bedenklich macht. Aber iſt er ein Tier, etwa eine Art Wurm
von kleinſtem Körpermaß? Oder eine Pflanze, etwa eine Alge
oder ein Pilz? Das letztere hört man häufig ſagen und in
der That verführt der direkt verwertete wiſſenſchaftliche Namen
„Spaltpilze“ dazu. Aber vom eigentlichen Pilz iſt der Bazillus
doch noch ſtark verſchieden. Er iſt viel niedriger organiſiert.
Und er iſt unvergleichlich niedriger noch organiſiert als der Wurm.
Weder das Wort Tier, noch das Wort Pflanze deckt ihn recht.
Er vertritt ein Urreich, aus dem Tier wie Pflanze entſproſſen
ſind, aus dem jedes für ſich erſt als Spezialiſierung hervorgegangen
iſt. Der Bazillus ſtellt nicht mehr dar als eine einzige Zelle.
Ein einziges jener Klümpchen lebendigen Stoffs, — einen einzelnen
Ziegelſtein in unſerem früheren Bilde, der aber vermöge ſeines
„Alleinſeins“ eben ein winzigſtes „Haus“ für ſich repräſentiert.
Mit ſolchem Bazillus haſt du denn in der That jetzt das
Unterſte, das Einfachſte erreicht, was wir auf der heutigen Erde
von ſelbſtändigen Lebensformen kennen. Er iſt allerdings
durchweg ſchon ſo winzig, daß die Frage bleibt, ob er nicht
noch Verwandte haben könnte, die von ſolcher raffinierteſten
Kleinheit wären, daß ſelbſt unſere feinſten Mikroſkope ſie nicht
mehr wahrnähmen. Aber der Bazillus ſelbſt iſt ſchon gleichſam
im reinen Gedankenſchema das Einfachſte, was wir uns über¬
haupt bei einem echten lebenden Weſen vorſtellen können.
Unſere Phantaſie iſt bei ihm bereits hinſichtlich der Verein¬
fachung bei einem gewiſſen Schluß. Und ſo würden wohl auch
ſolche noch kleineren Weſen unter den Bazillus wohl nur hin¬
ſichtlich der Größe, nicht aber des Baues wirklich hinabſteigen.
Wir glauben ſchon mit ihm auf der Null zu ſein, von der ſich
nichts mehr abziehen läßt, — es ſei denn, wir zögen das
Leben ſelber von ihm ab, womit er aber ganz aus der Kette
fiele, die mit ihm nach oben anheben ſoll.
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keine Reſte von Tieren und Pflanzen mehr. Die Urſache iſt
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/114>, abgerufen am 26.11.2024.
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