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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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dir den heutigen Boden Europas, hinabgesenkt in tiefe Gesteins¬
schichten, mit all seinen unendlichen Trümmermassen mensch¬
licher Industrie! Dort aber siehst du nichts mehr. Nur den
jungfräulichen Urwald, wie er heute den einsamen Wanderer
in neu entdecktem Gebiet märchengrün umfängt. Und in dem
Urwald nur Tiere unterhalb der Menschenorganisation. Zwischen
den grell bunten Blüten der Urwaldbäume, wo die Sonne
feine Lichtstreifen in das grüne Geheimnis webt, klettern Affen.

Warum soll in ihnen nicht die Kette der Generationen,
die heute "Menschheit" heißt, rückwärts weitergehen?

Wieder eine unendliche Zeit -- und im Walde von Palm¬
farnen und Araukarien springen langgeschwänzte Beuteltiere,
bergen sich im Moor Wesen nach Art unseres Schnabeltieres.
Im System der Tiere wie es unsere Wissenschaft endlich heute
nach heißester, unermüdlicher Arbeit aufgestellt hat, verhalten
sich diese Beuteltiere und Schnabeltiere zu den Affen und
affenähnlichen Säugetieren etwa so wie diese zu dem hoch ent¬
wickelten Menschentier. Sie stehen eine Stufe tiefer in ihrem
Knochenbau, ihrem Gehirn, ihrer Methode, die Jungen vor
der eigentlichen Geburt ausreifen zu lassen.

In dieser Zeit der Beuteltiere und Schnabeltiere, die
etwa dem Zeitalter des Ichthyosaurus entspricht, giebt es so
wenig Menschen wie in jenem alten tropischen Affenwalde.
Aber es giebt auch noch keine Affen. Warum soll nicht das,
was später Affe und zuletzt Mensch war, damals die Gestalt
eines Beuteltieres und Schnabeltieres gehabt haben?

Und so immer weiter zurück.

Es kommen Epochen, aus denen kein einziger kleinster
Rest eines Schnabeltieres oder Beuteltieres, überhaupt keiner
irgend eines Säugetieres mehr überliefert ist. Den Ozean aber
durchwimmeln bereits unzählige Fische. Das, was später am
Lande lebte, durch Lungen atmete und seine Jungen säugte
und von uns Schnabeltier genannt wird: es muß in diesen
Tagen Kiemen am Halse und Flossen am Leibe getragen haben.

dir den heutigen Boden Europas, hinabgeſenkt in tiefe Geſteins¬
ſchichten, mit all ſeinen unendlichen Trümmermaſſen menſch¬
licher Induſtrie! Dort aber ſiehſt du nichts mehr. Nur den
jungfräulichen Urwald, wie er heute den einſamen Wanderer
in neu entdecktem Gebiet märchengrün umfängt. Und in dem
Urwald nur Tiere unterhalb der Menſchenorganiſation. Zwiſchen
den grell bunten Blüten der Urwaldbäume, wo die Sonne
feine Lichtſtreifen in das grüne Geheimnis webt, klettern Affen.

Warum ſoll in ihnen nicht die Kette der Generationen,
die heute „Menſchheit“ heißt, rückwärts weitergehen?

Wieder eine unendliche Zeit — und im Walde von Palm¬
farnen und Araukarien ſpringen langgeſchwänzte Beuteltiere,
bergen ſich im Moor Weſen nach Art unſeres Schnabeltieres.
Im Syſtem der Tiere wie es unſere Wiſſenſchaft endlich heute
nach heißeſter, unermüdlicher Arbeit aufgeſtellt hat, verhalten
ſich dieſe Beuteltiere und Schnabeltiere zu den Affen und
affenähnlichen Säugetieren etwa ſo wie dieſe zu dem hoch ent¬
wickelten Menſchentier. Sie ſtehen eine Stufe tiefer in ihrem
Knochenbau, ihrem Gehirn, ihrer Methode, die Jungen vor
der eigentlichen Geburt ausreifen zu laſſen.

In dieſer Zeit der Beuteltiere und Schnabeltiere, die
etwa dem Zeitalter des Ichthyoſaurus entſpricht, giebt es ſo
wenig Menſchen wie in jenem alten tropiſchen Affenwalde.
Aber es giebt auch noch keine Affen. Warum ſoll nicht das,
was ſpäter Affe und zuletzt Menſch war, damals die Geſtalt
eines Beuteltieres und Schnabeltieres gehabt haben?

Und ſo immer weiter zurück.

Es kommen Epochen, aus denen kein einziger kleinſter
Reſt eines Schnabeltieres oder Beuteltieres, überhaupt keiner
irgend eines Säugetieres mehr überliefert iſt. Den Ozean aber
durchwimmeln bereits unzählige Fiſche. Das, was ſpäter am
Lande lebte, durch Lungen atmete und ſeine Jungen ſäugte
und von uns Schnabeltier genannt wird: es muß in dieſen
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[95/0111] dir den heutigen Boden Europas, hinabgeſenkt in tiefe Geſteins¬ ſchichten, mit all ſeinen unendlichen Trümmermaſſen menſch¬ licher Induſtrie! Dort aber ſiehſt du nichts mehr. Nur den jungfräulichen Urwald, wie er heute den einſamen Wanderer in neu entdecktem Gebiet märchengrün umfängt. Und in dem Urwald nur Tiere unterhalb der Menſchenorganiſation. Zwiſchen den grell bunten Blüten der Urwaldbäume, wo die Sonne feine Lichtſtreifen in das grüne Geheimnis webt, klettern Affen. Warum ſoll in ihnen nicht die Kette der Generationen, die heute „Menſchheit“ heißt, rückwärts weitergehen? Wieder eine unendliche Zeit — und im Walde von Palm¬ farnen und Araukarien ſpringen langgeſchwänzte Beuteltiere, bergen ſich im Moor Weſen nach Art unſeres Schnabeltieres. Im Syſtem der Tiere wie es unſere Wiſſenſchaft endlich heute nach heißeſter, unermüdlicher Arbeit aufgeſtellt hat, verhalten ſich dieſe Beuteltiere und Schnabeltiere zu den Affen und affenähnlichen Säugetieren etwa ſo wie dieſe zu dem hoch ent¬ wickelten Menſchentier. Sie ſtehen eine Stufe tiefer in ihrem Knochenbau, ihrem Gehirn, ihrer Methode, die Jungen vor der eigentlichen Geburt ausreifen zu laſſen. In dieſer Zeit der Beuteltiere und Schnabeltiere, die etwa dem Zeitalter des Ichthyoſaurus entſpricht, giebt es ſo wenig Menſchen wie in jenem alten tropiſchen Affenwalde. Aber es giebt auch noch keine Affen. Warum ſoll nicht das, was ſpäter Affe und zuletzt Menſch war, damals die Geſtalt eines Beuteltieres und Schnabeltieres gehabt haben? Und ſo immer weiter zurück. Es kommen Epochen, aus denen kein einziger kleinſter Reſt eines Schnabeltieres oder Beuteltieres, überhaupt keiner irgend eines Säugetieres mehr überliefert iſt. Den Ozean aber durchwimmeln bereits unzählige Fiſche. Das, was ſpäter am Lande lebte, durch Lungen atmete und ſeine Jungen ſäugte und von uns Schnabeltier genannt wird: es muß in dieſen Tagen Kiemen am Halſe und Floſſen am Leibe getragen haben.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/111>, abgerufen am 26.11.2024.