Wesen viele Ähnlichkeit mit Passau, denn auch Lüttich, am Zusammen- flusse der Ourthe mit der Maas, verdankt seine Bedeutung seinen bischöflichen Herrschern. War die Eisenindustrie schon vom 9. Jahr- hundert dort lebhaft betrieben, so hob sie sich als Industrie für Ge- schütze und Eisenwaffen und besonders Feuergewehren im nieder- ländischen Befreiungskriege des 16. Jahrhunderts auf eine ungeahnte Höhe. In jener Zeit diente sie den Spaniern wie den Kaiserlichen in der Waffenausrüstung. Oftmals versuchten die fremden Herrscher die dortige Erzeugungsweise bei sich heimisch zu machen und Ar- beiter an sich zu ziehen. Massenhaft war ihre Leistung für Napoleon I. 1809--1814.
England ist, nach der technischen Seite hin betrachtet, vom Beginne des Mittelalters an als hervorragend in der Waffenerzeugung zu betrachten. Seit Richard I. bilden sich dort in den Harnischen und anderen Waffen besondere nationale Formen heraus, was immer als Zeichen einer gewissen Selbständigkeit des Geschmacks anzusehen ist. Vom Beginne des 16. Jahrhunderts an förderte die Prunkliebe des Hofes und der Adligen bis zu einem gewissen Grade auch die künstlerische Fähigkeit der Londoner Waffenschmiede. Im 17. Jahr- hundert beginnt eine ausgezeichnete Industrie in Feuergewehren, be- merkenswert durch tadelloses Metall und bewunderungswürdige Arbeit. Auf das Festland hat die Waffenindustrie Englands bis ins 18. Jahr- hundert hinein nur zeitweilig und vorübergehend Einfluss gewonnen.
Um Deutschlands Waffenindustrie übersichtlich zu beschreiben, müssen wir bis ins frühe Mittelalter zurückgreifen, in die Epoche Karls des Grossen, in welcher die reich verzierten Schwerter Kölns im ganzen Reiche grosse Berühmtheit genossen. Soweit wir nach Waffenstücken und Beschreibungen urteilen können, ist diese älteste Waffenstätte vom Oriente beeinflusst worden. Sarazenische Arbeiten von der Nordküste Afrikas, arabische, über Byzanz kommend, hatten längst ihren Weg nach Deutschland gefunden und wurden dort in ihrer Technik nachgeahmt, wobei die Goldschmiede vorzugsweise behilflich waren. Weniger kunstreich als die kölnische und mehr auf die Massen berechnet war die altberühmte Waffenindustrie Passaus. Nach der Verlegung des von den Avaren bedrohten Bistums Lorch nach Passau im 8. Jahrhundert wanderten auch zahlreiche Eisenarbeiter aus den heutigen nordsteirischen und österreichischen Gebieten mit ihrem Seelenhirten aus und gründeten in der genannten Stadt eine Industrie, die rasch zu hoher Entwickelung kam und im ganzen Mittelalter einen Weltruhm genoss. Die Werkstätten, die zum Teil abhängig von dem Bischofe waren, führten in ihren Erzeugnissen, die meist aus Schwertklingen bestanden, vom 13. Jahrhundert an das Wappen des Bistums, den "Wolf", und wohl auch den Bischofstab. Das alt- berühmte Zeichen wurde im späten Mittelalter vielfach gefälscht. Eine Chronikstelle besagt, dass Herzog Albrecht im Jahre 1349 die
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V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Wesen viele Ähnlichkeit mit Passau, denn auch Lüttich, am Zusammen- flusse der Ourthe mit der Maas, verdankt seine Bedeutung seinen bischöflichen Herrschern. War die Eisenindustrie schon vom 9. Jahr- hundert dort lebhaft betrieben, so hob sie sich als Industrie für Ge- schütze und Eisenwaffen und besonders Feuergewehren im nieder- ländischen Befreiungskriege des 16. Jahrhunderts auf eine ungeahnte Höhe. In jener Zeit diente sie den Spaniern wie den Kaiserlichen in der Waffenausrüstung. Oftmals versuchten die fremden Herrscher die dortige Erzeugungsweise bei sich heimisch zu machen und Ar- beiter an sich zu ziehen. Massenhaft war ihre Leistung für Napoleon I. 1809—1814.
England ist, nach der technischen Seite hin betrachtet, vom Beginne des Mittelalters an als hervorragend in der Waffenerzeugung zu betrachten. Seit Richard I. bilden sich dort in den Harnischen und anderen Waffen besondere nationale Formen heraus, was immer als Zeichen einer gewissen Selbständigkeit des Geschmacks anzusehen ist. Vom Beginne des 16. Jahrhunderts an förderte die Prunkliebe des Hofes und der Adligen bis zu einem gewissen Grade auch die künstlerische Fähigkeit der Londoner Waffenschmiede. Im 17. Jahr- hundert beginnt eine ausgezeichnete Industrie in Feuergewehren, be- merkenswert durch tadelloses Metall und bewunderungswürdige Arbeit. Auf das Festland hat die Waffenindustrie Englands bis ins 18. Jahr- hundert hinein nur zeitweilig und vorübergehend Einfluſs gewonnen.
Um Deutschlands Waffenindustrie übersichtlich zu beschreiben, müssen wir bis ins frühe Mittelalter zurückgreifen, in die Epoche Karls des Groſsen, in welcher die reich verzierten Schwerter Kölns im ganzen Reiche groſse Berühmtheit genossen. Soweit wir nach Waffenstücken und Beschreibungen urteilen können, ist diese älteste Waffenstätte vom Oriente beeinfluſst worden. Sarazenische Arbeiten von der Nordküste Afrikas, arabische, über Byzanz kommend, hatten längst ihren Weg nach Deutschland gefunden und wurden dort in ihrer Technik nachgeahmt, wobei die Goldschmiede vorzugsweise behilflich waren. Weniger kunstreich als die kölnische und mehr auf die Massen berechnet war die altberühmte Waffenindustrie Passaus. Nach der Verlegung des von den Avaren bedrohten Bistums Lorch nach Passau im 8. Jahrhundert wanderten auch zahlreiche Eisenarbeiter aus den heutigen nordsteirischen und österreichischen Gebieten mit ihrem Seelenhirten aus und gründeten in der genannten Stadt eine Industrie, die rasch zu hoher Entwickelung kam und im ganzen Mittelalter einen Weltruhm genoſs. Die Werkstätten, die zum Teil abhängig von dem Bischofe waren, führten in ihren Erzeugnissen, die meist aus Schwertklingen bestanden, vom 13. Jahrhundert an das Wappen des Bistums, den „Wolf“, und wohl auch den Bischofstab. Das alt- berühmte Zeichen wurde im späten Mittelalter vielfach gefälscht. Eine Chronikstelle besagt, daſs Herzog Albrecht im Jahre 1349 die
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V. Kunst und Technik im Waffenschmiedwesen.
Wesen viele Ähnlichkeit mit Passau, denn auch Lüttich, am Zusammen-
flusse der Ourthe mit der Maas, verdankt seine Bedeutung seinen
bischöflichen Herrschern. War die Eisenindustrie schon vom 9. Jahr-
hundert dort lebhaft betrieben, so hob sie sich als Industrie für Ge-
schütze und Eisenwaffen und besonders Feuergewehren im nieder-
ländischen Befreiungskriege des 16. Jahrhunderts auf eine ungeahnte
Höhe. In jener Zeit diente sie den Spaniern wie den Kaiserlichen
in der Waffenausrüstung. Oftmals versuchten die fremden Herrscher
die dortige Erzeugungsweise bei sich heimisch zu machen und Ar-
beiter an sich zu ziehen. Massenhaft war ihre Leistung für Napoleon I.
1809—1814.
England ist, nach der technischen Seite hin betrachtet, vom
Beginne des Mittelalters an als hervorragend in der Waffenerzeugung
zu betrachten. Seit Richard I. bilden sich dort in den Harnischen
und anderen Waffen besondere nationale Formen heraus, was immer
als Zeichen einer gewissen Selbständigkeit des Geschmacks anzusehen
ist. Vom Beginne des 16. Jahrhunderts an förderte die Prunkliebe
des Hofes und der Adligen bis zu einem gewissen Grade auch die
künstlerische Fähigkeit der Londoner Waffenschmiede. Im 17. Jahr-
hundert beginnt eine ausgezeichnete Industrie in Feuergewehren, be-
merkenswert durch tadelloses Metall und bewunderungswürdige Arbeit.
Auf das Festland hat die Waffenindustrie Englands bis ins 18. Jahr-
hundert hinein nur zeitweilig und vorübergehend Einfluſs gewonnen.
Um Deutschlands Waffenindustrie übersichtlich zu beschreiben,
müssen wir bis ins frühe Mittelalter zurückgreifen, in die Epoche
Karls des Groſsen, in welcher die reich verzierten Schwerter Kölns
im ganzen Reiche groſse Berühmtheit genossen. Soweit wir nach
Waffenstücken und Beschreibungen urteilen können, ist diese älteste
Waffenstätte vom Oriente beeinfluſst worden. Sarazenische Arbeiten
von der Nordküste Afrikas, arabische, über Byzanz kommend, hatten
längst ihren Weg nach Deutschland gefunden und wurden dort in ihrer
Technik nachgeahmt, wobei die Goldschmiede vorzugsweise behilflich
waren. Weniger kunstreich als die kölnische und mehr auf die Massen
berechnet war die altberühmte Waffenindustrie Passaus. Nach der
Verlegung des von den Avaren bedrohten Bistums Lorch nach Passau
im 8. Jahrhundert wanderten auch zahlreiche Eisenarbeiter aus den
heutigen nordsteirischen und österreichischen Gebieten mit ihrem
Seelenhirten aus und gründeten in der genannten Stadt eine Industrie,
die rasch zu hoher Entwickelung kam und im ganzen Mittelalter
einen Weltruhm genoſs. Die Werkstätten, die zum Teil abhängig
von dem Bischofe waren, führten in ihren Erzeugnissen, die meist
aus Schwertklingen bestanden, vom 13. Jahrhundert an das Wappen
des Bistums, den „Wolf“, und wohl auch den Bischofstab. Das alt-
berühmte Zeichen wurde im späten Mittelalter vielfach gefälscht. Eine
Chronikstelle besagt, daſs Herzog Albrecht im Jahre 1349 die
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/629>, abgerufen am 22.11.2024.
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