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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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III. Die Turnierwaffen.

Bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts finden wir, und vor-
züglich am sächsischen Hofe, eine eigene Art Turnierharnische, die
als ein Formengemisch vom alten Stech- und vom Rennzeuge er-
scheinen. Ihrer Hauptform nach Stechharnische für das Gestech über
das Dill, besitzen sie hinwieder Rennhüte, die, damit sie nicht vom
Kopfe abgestossen werden können, mit dem Rücken durch ein Ge-
stänge verbunden sind. Derlei Zeuge, die in Dresden und einigen
Museen im nördlichen Deutschland noch zahlreich zu finden sind,
dürften der Erfindung eines Plattners am Hofe Kurfürst Augusts I.
ihr Dasein verdanken; sie scheinen eine Zeitlang sehr beliebt gewesen
zu sein. Wir benennen sie zur Unterscheidung sächsische Tur-
nierharnische
. (Fig. 661 a und b.)

Der Harnisch für das Realgestech ist als der letzte Turnier-
harnisch zu betrachten. Als auch dieser um 1590 ausser Gebrauch
kam, blieben in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Freiturniere

[Abbildung] Fig. 660.

Schwerer Doppelschuh zum Schutze vor der Planke,
einem Lederschuh ähnlich gebildet. Italienisch. Um 1570. Museo
Poldi-Pezzoli in Mailand.

und die sogenannten Scharmützel, die ein Bild des Krieges dar-
stellen sollten, in Übung. Aus Italien kam sodann ein anderes ritter-
liches Spiel, das nur wie eine abgeblasste Erinnerung an das alte
Turnier erscheint, das Ringelrennen (corso all' annello). Es be-
stand darin, dass die phantastisch aufgeputzten Kavaliere mit langen
Rennstangen (Fig. 662) nach einem an einem erhöhten Punkte an
einem Faden aufgehängten Ringe stachen. Im Stallgebäude zu
Dresden sieht man noch heute die zierlichen bronzenen Säulen,
zwischen welchen die Ringe an Schnüren aufgehängt wurden. Als
um 1700 auch dieses Spiel ausser Übung kam, klang das alte Turnier
des Mittelalters in den Rossballetten aus.

Lediglich um irrigen Auffassungen zu begegnen, erwähnen wir
zum Schlusse noch der sogenannten Quintana, franz. quintaine,

III. Die Turnierwaffen.

Bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts finden wir, und vor-
züglich am sächsischen Hofe, eine eigene Art Turnierharnische, die
als ein Formengemisch vom alten Stech- und vom Rennzeuge er-
scheinen. Ihrer Hauptform nach Stechharnische für das Gestech über
das Dill, besitzen sie hinwieder Rennhüte, die, damit sie nicht vom
Kopfe abgestoſsen werden können, mit dem Rücken durch ein Ge-
stänge verbunden sind. Derlei Zeuge, die in Dresden und einigen
Museen im nördlichen Deutschland noch zahlreich zu finden sind,
dürften der Erfindung eines Plattners am Hofe Kurfürst Augusts I.
ihr Dasein verdanken; sie scheinen eine Zeitlang sehr beliebt gewesen
zu sein. Wir benennen sie zur Unterscheidung sächsische Tur-
nierharnische
. (Fig. 661 a und b.)

Der Harnisch für das Realgestech ist als der letzte Turnier-
harnisch zu betrachten. Als auch dieser um 1590 auſser Gebrauch
kam, blieben in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Freiturniere

[Abbildung] Fig. 660.

Schwerer Doppelschuh zum Schutze vor der Planke,
einem Lederschuh ähnlich gebildet. Italienisch. Um 1570. Museo
Poldi-Pezzoli in Mailand.

und die sogenannten Scharmützel, die ein Bild des Krieges dar-
stellen sollten, in Übung. Aus Italien kam sodann ein anderes ritter-
liches Spiel, das nur wie eine abgeblaſste Erinnerung an das alte
Turnier erscheint, das Ringelrennen (corso all’ annello). Es be-
stand darin, daſs die phantastisch aufgeputzten Kavaliere mit langen
Rennstangen (Fig. 662) nach einem an einem erhöhten Punkte an
einem Faden aufgehängten Ringe stachen. Im Stallgebäude zu
Dresden sieht man noch heute die zierlichen bronzenen Säulen,
zwischen welchen die Ringe an Schnüren aufgehängt wurden. Als
um 1700 auch dieses Spiel auſser Übung kam, klang das alte Turnier
des Mittelalters in den Roſsballetten aus.

Lediglich um irrigen Auffassungen zu begegnen, erwähnen wir
zum Schlusse noch der sogenannten Quintana, franz. quintaine,

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[569/0587] III. Die Turnierwaffen. Bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts finden wir, und vor- züglich am sächsischen Hofe, eine eigene Art Turnierharnische, die als ein Formengemisch vom alten Stech- und vom Rennzeuge er- scheinen. Ihrer Hauptform nach Stechharnische für das Gestech über das Dill, besitzen sie hinwieder Rennhüte, die, damit sie nicht vom Kopfe abgestoſsen werden können, mit dem Rücken durch ein Ge- stänge verbunden sind. Derlei Zeuge, die in Dresden und einigen Museen im nördlichen Deutschland noch zahlreich zu finden sind, dürften der Erfindung eines Plattners am Hofe Kurfürst Augusts I. ihr Dasein verdanken; sie scheinen eine Zeitlang sehr beliebt gewesen zu sein. Wir benennen sie zur Unterscheidung sächsische Tur- nierharnische. (Fig. 661 a und b.) Der Harnisch für das Realgestech ist als der letzte Turnier- harnisch zu betrachten. Als auch dieser um 1590 auſser Gebrauch kam, blieben in den nächsten Jahrzehnten nur noch die Freiturniere [Abbildung Fig. 660. Schwerer Doppelschuh zum Schutze vor der Planke, einem Lederschuh ähnlich gebildet. Italienisch. Um 1570. Museo Poldi-Pezzoli in Mailand.] und die sogenannten Scharmützel, die ein Bild des Krieges dar- stellen sollten, in Übung. Aus Italien kam sodann ein anderes ritter- liches Spiel, das nur wie eine abgeblaſste Erinnerung an das alte Turnier erscheint, das Ringelrennen (corso all’ annello). Es be- stand darin, daſs die phantastisch aufgeputzten Kavaliere mit langen Rennstangen (Fig. 662) nach einem an einem erhöhten Punkte an einem Faden aufgehängten Ringe stachen. Im Stallgebäude zu Dresden sieht man noch heute die zierlichen bronzenen Säulen, zwischen welchen die Ringe an Schnüren aufgehängt wurden. Als um 1700 auch dieses Spiel auſser Übung kam, klang das alte Turnier des Mittelalters in den Roſsballetten aus. Lediglich um irrigen Auffassungen zu begegnen, erwähnen wir zum Schlusse noch der sogenannten Quintana, franz. quintaine,

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/587>, abgerufen am 22.11.2024.