Rennen des 15. und 16. Jahrhunderts weit gefahr- und opfervoller gewesen.
Mehr fachlich entwickelt erscheint das Turnier im "Frauen- dienst" des Ulrich von Lichtenstein, der uns als eine vorzügliche Quelle für diese ritterlichen Spiele dienen kann. Hier unterscheiden wir den Waffengang zu zweien, den "tyost" oder das Gestech, von dem "buhurt", dem "turnay" im engeren Sinne, bei dem die Gegner in zahlreichen Scharen in die Bahn traten.
Die Ausrüstung und Bewaffnung unterscheidet sich nur sehr ge- ring von der im Kriege üblichen. Der Wappenrock ist wie die Decke des Pferdes (parsen) von Leder, beide wohl auch mit Samt von einerlei Farbe überzogen und mit Schildchen von Eisenblech besetzt. Halsberg, "spaldenier" (espalderium), der auch bis über die Achseln reichte, und Beinkleider, "eisenhosen", bestanden aus Panzerzeug. Der Schild von dreieckiger Form scheint etwas kürzer als der im Kriege verwendete gewesen zu sein. Der schwere Topfhelm wird erst nach vollendeter Wappnung mit seidenen Schnüren aufgebunden. Die Speere haben bereits kleine Brechscheiben, die dort "speerscheiben" genannt werden.
Im Tyost zu Tarvis traten Reinprecht von Mureck und Ulrich von Lichtenstein in die Bahn, jener schlug seinen Speer unter den Arm -- das war die gebräuchliche Art -- dieser setzte ihn tief am Schenkel, "an den diech", an.
Am Beginne des 13. Jahrhunderts ist bereits das Ziel des Waffen- spieles geändert und bestimmter ausgesprochen. Die Absicht auf beiden Seiten ist, entweder den Speer kunstgerecht an dem an der linken Schulter hangenden Schilde zu verstechen, so dass der Schaft beim Anrennen zersplitterte, oder den Gegner hinter das Ross zu setzen. Für beide Gegner war es im ersten Falle selbstverständlich, dass sie den mässigen Stoss "auszusitzen" im stande waren, d. h. nicht vom Pferde fielen. Für diesen Fall wurde die Stellung zum Anreiten nahe, der "puneiz" (von poser, ponere, stellen) kurz genommen. In dem anderen Falle, wo der Stecher die Absicht hat, den Gegner seine Kraft und Geschicklichkeit fühlen zu lassen oder ihn zu be- schämen, nahm er seine Stellung entfernter, "den puneiz lanc", und warf ihn mit kunstgerechtem Stosse hinter das Ross, wobei natürlich beide Speere gleichfalls zerschellten. Es ist hieraus zu ersehen, dass die Speere seit dem 12. Jahrhundert allmählich stärker wurden. Immerhin aber besassen sie noch einen 6.5 cm. nicht überschreitenden Durchmesser und blieben damit so handsam und leicht, dass sie ohne Auflager (Rüsthaken) angesetzt werden konnten. Die Knechte Ul- richs von Lichtenstein führten beim festlichen Einritte jeder 3 zusammengebundene Speere in der Hand.
Wir unterscheiden im 13. Jahrhundert bereits zweierlei Turniere, das Wanderturnier und das ausgeschriebene. Jenes ist ein zu-
III. Die Turnierwaffen.
Rennen des 15. und 16. Jahrhunderts weit gefahr- und opfervoller gewesen.
Mehr fachlich entwickelt erscheint das Turnier im „Frauen- dienst“ des Ulrich von Lichtenstein, der uns als eine vorzügliche Quelle für diese ritterlichen Spiele dienen kann. Hier unterscheiden wir den Waffengang zu zweien, den „tyost“ oder das Gestech, von dem „buhurt“, dem „turnay“ im engeren Sinne, bei dem die Gegner in zahlreichen Scharen in die Bahn traten.
Die Ausrüstung und Bewaffnung unterscheidet sich nur sehr ge- ring von der im Kriege üblichen. Der Wappenrock ist wie die Decke des Pferdes (parsen) von Leder, beide wohl auch mit Samt von einerlei Farbe überzogen und mit Schildchen von Eisenblech besetzt. Halsberg, „spaldenier“ (espalderium), der auch bis über die Achseln reichte, und Beinkleider, „îsenhosen“, bestanden aus Panzerzeug. Der Schild von dreieckiger Form scheint etwas kürzer als der im Kriege verwendete gewesen zu sein. Der schwere Topfhelm wird erst nach vollendeter Wappnung mit seidenen Schnüren aufgebunden. Die Speere haben bereits kleine Brechscheiben, die dort „speerscheiben“ genannt werden.
Im Tyost zu Tarvis traten Reinprecht von Mureck und Ulrich von Lichtenstein in die Bahn, jener schlug seinen Speer unter den Arm — das war die gebräuchliche Art — dieser setzte ihn tief am Schenkel, „an den diech“, an.
Am Beginne des 13. Jahrhunderts ist bereits das Ziel des Waffen- spieles geändert und bestimmter ausgesprochen. Die Absicht auf beiden Seiten ist, entweder den Speer kunstgerecht an dem an der linken Schulter hangenden Schilde zu verstechen, so daſs der Schaft beim Anrennen zersplitterte, oder den Gegner hinter das Roſs zu setzen. Für beide Gegner war es im ersten Falle selbstverständlich, daſs sie den mäſsigen Stoſs „auszusitzen“ im stande waren, d. h. nicht vom Pferde fielen. Für diesen Fall wurde die Stellung zum Anreiten nahe, der „puneiz“ (von poser, ponere, stellen) kurz genommen. In dem anderen Falle, wo der Stecher die Absicht hat, den Gegner seine Kraft und Geschicklichkeit fühlen zu lassen oder ihn zu be- schämen, nahm er seine Stellung entfernter, „den puneiz lanc“, und warf ihn mit kunstgerechtem Stoſse hinter das Roſs, wobei natürlich beide Speere gleichfalls zerschellten. Es ist hieraus zu ersehen, daſs die Speere seit dem 12. Jahrhundert allmählich stärker wurden. Immerhin aber besaſsen sie noch einen 6.5 cm. nicht überschreitenden Durchmesser und blieben damit so handsam und leicht, daſs sie ohne Auflager (Rüsthaken) angesetzt werden konnten. Die Knechte Ul- richs von Lichtenstein führten beim festlichen Einritte jeder 3 zusammengebundene Speere in der Hand.
Wir unterscheiden im 13. Jahrhundert bereits zweierlei Turniere, das Wanderturnier und das ausgeschriebene. Jenes ist ein zu-
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Rennen des 15. und 16. Jahrhunderts weit gefahr- und opfervoller
gewesen.
Mehr fachlich entwickelt erscheint das Turnier im „Frauen-
dienst“ des Ulrich von Lichtenstein, der uns als eine vorzügliche
Quelle für diese ritterlichen Spiele dienen kann. Hier unterscheiden
wir den Waffengang zu zweien, den „tyost“ oder das Gestech, von
dem „buhurt“, dem „turnay“ im engeren Sinne, bei dem die
Gegner in zahlreichen Scharen in die Bahn traten.
Die Ausrüstung und Bewaffnung unterscheidet sich nur sehr ge-
ring von der im Kriege üblichen. Der Wappenrock ist wie die Decke
des Pferdes (parsen) von Leder, beide wohl auch mit Samt von
einerlei Farbe überzogen und mit Schildchen von Eisenblech besetzt.
Halsberg, „spaldenier“ (espalderium), der auch bis über die Achseln
reichte, und Beinkleider, „îsenhosen“, bestanden aus Panzerzeug. Der
Schild von dreieckiger Form scheint etwas kürzer als der im Kriege
verwendete gewesen zu sein. Der schwere Topfhelm wird erst nach
vollendeter Wappnung mit seidenen Schnüren aufgebunden. Die
Speere haben bereits kleine Brechscheiben, die dort „speerscheiben“
genannt werden.
Im Tyost zu Tarvis traten Reinprecht von Mureck und
Ulrich von Lichtenstein in die Bahn, jener schlug seinen Speer unter
den Arm — das war die gebräuchliche Art — dieser setzte ihn tief am
Schenkel, „an den diech“, an.
Am Beginne des 13. Jahrhunderts ist bereits das Ziel des Waffen-
spieles geändert und bestimmter ausgesprochen. Die Absicht auf
beiden Seiten ist, entweder den Speer kunstgerecht an dem an der
linken Schulter hangenden Schilde zu verstechen, so daſs der Schaft
beim Anrennen zersplitterte, oder den Gegner hinter das Roſs zu
setzen. Für beide Gegner war es im ersten Falle selbstverständlich,
daſs sie den mäſsigen Stoſs „auszusitzen“ im stande waren, d. h. nicht
vom Pferde fielen. Für diesen Fall wurde die Stellung zum Anreiten
nahe, der „puneiz“ (von poser, ponere, stellen) kurz genommen.
In dem anderen Falle, wo der Stecher die Absicht hat, den Gegner
seine Kraft und Geschicklichkeit fühlen zu lassen oder ihn zu be-
schämen, nahm er seine Stellung entfernter, „den puneiz lanc“, und
warf ihn mit kunstgerechtem Stoſse hinter das Roſs, wobei natürlich
beide Speere gleichfalls zerschellten. Es ist hieraus zu ersehen, daſs
die Speere seit dem 12. Jahrhundert allmählich stärker wurden.
Immerhin aber besaſsen sie noch einen 6.5 cm. nicht überschreitenden
Durchmesser und blieben damit so handsam und leicht, daſs sie ohne
Auflager (Rüsthaken) angesetzt werden konnten. Die Knechte Ul-
richs von Lichtenstein führten beim festlichen Einritte jeder 3
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Wir unterscheiden im 13. Jahrhundert bereits zweierlei Turniere,
das Wanderturnier und das ausgeschriebene. Jenes ist ein zu-
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/538>, abgerufen am 25.11.2024.
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