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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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III. Die Turnierwaffen.
Nationen und im Laufe der Zeiten beträchtlich veränderten und sich
ins Unglaubliche vervielfältigten. So war am Ende des 11. Jahrhun-
derts das Anrennen der Gegner mit der unter dem Arme gehaltenen
Spiessstange noch nicht allgemein im Gebrauche. Der Teppich von
Bayeux zeigt uns vielmehr, wie die Kavaliere ihre langen, dünn-
schäftigen Spiesse beinahe alle mit erhobenem Arme, wie die Alten
den Wurfspiess, das pilum, führen.

Bis ins 14. Jahrhundert blieb die Ausrüstung und Bewaffnung
im Turniere dieselbe wie im Kriege. Im Nibelungenliede spricht sich
der Dichter darüber bei der Beschreibung des Wettkampfes mit
Brunhild aus. Ein Waffenhemd von Seide (dem pfellil aus Libyen,
sicherer wohl aus Spanien), eine feste Brünne, darüber die Eisenplatten,
die "stahelzein", genäht. Die Helme werden aufgebunden. Ein
Schild, von Gold berandet, stark und breit; der "schildvezzel", Schild-
riemen, war mit Steinen besetzt. Wenn wir in der Erzählung von
dem unter dem Buckel drei Handbreiten dicken Schilde lesen, den
vier der Kämmerer kaum zu tragen vermochten, so lässt uns dieses
nur auf das Bestreben schliessen, die Schilde zu verstärken, die sich
gegen den Hieb und besonders gegen den Stoss zu schwach erwiesen.
Wiederholt wird von durchstossenen Schilden, und von solchen ge-
sprochen, in denen die Spiess- oder Speerschäfte stecken geblieben
waren. Zu den Stosswaffen sind der Speer und der "ger" oder
Wurfspiess zu zählen. Die Sättel waren mit Steinen besetzt und mit
goldenen Schellen behangen. Alle diese Merkmale deuten eher
auf die Mitte des 12., als den Beginn des 13. Jahrhunderts, denn
zu jenem Zeitraume waren die Schilde bereits an der Schulter be-
festigt, und man bediente sich nicht mehr des Wurfspiesses, sondern
ausnahmslos der Speere. Die Schäfte waren zu schwach, um mit
ihnen beim Anrennen den Gegner hinter das Ross zu setzen; man
liest darum in den älteren Teilen des Nibelungenliedes nirgends einen
solchen Fall, wohl aber, dass die Schafttrümmer wie Spreu in die
Luft flogen. Erst in dem jüngeren Teile, der XXVI. Aventiure, wird
gelegentlich der Erzählung des Kampfes zwischen Gelpfrat und
Hagen erwähnt, dass letzterer hinter das Ross gesetzt worden, ersterer
vom Pferde gefallen sei. Dabei lesen wir die bemerkenswerten
Verse:

"Wer in die ros behielte,
Daz ist mir vnbechant".

Wir sehen aus dieser Stelle, wie alt die Gepflogenheit ist, in den
Turnieren eigene Leute zur Seite zu haben, deren Aufgabe es war,
die Pferde aufzuhalten und den aus dem Sattel gehobenen Reitern
behende beizuspringen, um die Wucht des Falles zu mässigen. Diese
wichtige Hilfeleistung, mit der vom 15. Jahrhundert an eigene ge-
schulte Leute, die "Grieswärtel" betraut waren, wird gleichwohl in den
Turnierbüchern gern verhehlt. Ohne sie wären die Gesteche und

III. Die Turnierwaffen.
Nationen und im Laufe der Zeiten beträchtlich veränderten und sich
ins Unglaubliche vervielfältigten. So war am Ende des 11. Jahrhun-
derts das Anrennen der Gegner mit der unter dem Arme gehaltenen
Spieſsstange noch nicht allgemein im Gebrauche. Der Teppich von
Bayeux zeigt uns vielmehr, wie die Kavaliere ihre langen, dünn-
schäftigen Spieſse beinahe alle mit erhobenem Arme, wie die Alten
den Wurfspieſs, das pilum, führen.

Bis ins 14. Jahrhundert blieb die Ausrüstung und Bewaffnung
im Turniere dieselbe wie im Kriege. Im Nibelungenliede spricht sich
der Dichter darüber bei der Beschreibung des Wettkampfes mit
Brunhild aus. Ein Waffenhemd von Seide (dem pfellil aus Libyen,
sicherer wohl aus Spanien), eine feste Brünne, darüber die Eisenplatten,
die „stahelzein“, genäht. Die Helme werden aufgebunden. Ein
Schild, von Gold berandet, stark und breit; der „schildvezzel“, Schild-
riemen, war mit Steinen besetzt. Wenn wir in der Erzählung von
dem unter dem Buckel drei Handbreiten dicken Schilde lesen, den
vier der Kämmerer kaum zu tragen vermochten, so läſst uns dieses
nur auf das Bestreben schlieſsen, die Schilde zu verstärken, die sich
gegen den Hieb und besonders gegen den Stoſs zu schwach erwiesen.
Wiederholt wird von durchstoſsenen Schilden, und von solchen ge-
sprochen, in denen die Spieſs- oder Speerschäfte stecken geblieben
waren. Zu den Stoſswaffen sind der Speer und der „ger“ oder
Wurfspieſs zu zählen. Die Sättel waren mit Steinen besetzt und mit
goldenen Schellen behangen. Alle diese Merkmale deuten eher
auf die Mitte des 12., als den Beginn des 13. Jahrhunderts, denn
zu jenem Zeitraume waren die Schilde bereits an der Schulter be-
festigt, und man bediente sich nicht mehr des Wurfspieſses, sondern
ausnahmslos der Speere. Die Schäfte waren zu schwach, um mit
ihnen beim Anrennen den Gegner hinter das Roſs zu setzen; man
liest darum in den älteren Teilen des Nibelungenliedes nirgends einen
solchen Fall, wohl aber, daſs die Schafttrümmer wie Spreu in die
Luft flogen. Erst in dem jüngeren Teile, der XXVI. Aventiure, wird
gelegentlich der Erzählung des Kampfes zwischen Gelpfrat und
Hagen erwähnt, daſs letzterer hinter das Roſs gesetzt worden, ersterer
vom Pferde gefallen sei. Dabei lesen wir die bemerkenswerten
Verse:

„Wer in die ros behielte,
Daz ist mir vnbechant“.

Wir sehen aus dieser Stelle, wie alt die Gepflogenheit ist, in den
Turnieren eigene Leute zur Seite zu haben, deren Aufgabe es war,
die Pferde aufzuhalten und den aus dem Sattel gehobenen Reitern
behende beizuspringen, um die Wucht des Falles zu mäſsigen. Diese
wichtige Hilfeleistung, mit der vom 15. Jahrhundert an eigene ge-
schulte Leute, die „Grieswärtel“ betraut waren, wird gleichwohl in den
Turnierbüchern gern verhehlt. Ohne sie wären die Gesteche und

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[519/0537] III. Die Turnierwaffen. Nationen und im Laufe der Zeiten beträchtlich veränderten und sich ins Unglaubliche vervielfältigten. So war am Ende des 11. Jahrhun- derts das Anrennen der Gegner mit der unter dem Arme gehaltenen Spieſsstange noch nicht allgemein im Gebrauche. Der Teppich von Bayeux zeigt uns vielmehr, wie die Kavaliere ihre langen, dünn- schäftigen Spieſse beinahe alle mit erhobenem Arme, wie die Alten den Wurfspieſs, das pilum, führen. Bis ins 14. Jahrhundert blieb die Ausrüstung und Bewaffnung im Turniere dieselbe wie im Kriege. Im Nibelungenliede spricht sich der Dichter darüber bei der Beschreibung des Wettkampfes mit Brunhild aus. Ein Waffenhemd von Seide (dem pfellil aus Libyen, sicherer wohl aus Spanien), eine feste Brünne, darüber die Eisenplatten, die „stahelzein“, genäht. Die Helme werden aufgebunden. Ein Schild, von Gold berandet, stark und breit; der „schildvezzel“, Schild- riemen, war mit Steinen besetzt. Wenn wir in der Erzählung von dem unter dem Buckel drei Handbreiten dicken Schilde lesen, den vier der Kämmerer kaum zu tragen vermochten, so läſst uns dieses nur auf das Bestreben schlieſsen, die Schilde zu verstärken, die sich gegen den Hieb und besonders gegen den Stoſs zu schwach erwiesen. Wiederholt wird von durchstoſsenen Schilden, und von solchen ge- sprochen, in denen die Spieſs- oder Speerschäfte stecken geblieben waren. Zu den Stoſswaffen sind der Speer und der „ger“ oder Wurfspieſs zu zählen. Die Sättel waren mit Steinen besetzt und mit goldenen Schellen behangen. Alle diese Merkmale deuten eher auf die Mitte des 12., als den Beginn des 13. Jahrhunderts, denn zu jenem Zeitraume waren die Schilde bereits an der Schulter be- festigt, und man bediente sich nicht mehr des Wurfspieſses, sondern ausnahmslos der Speere. Die Schäfte waren zu schwach, um mit ihnen beim Anrennen den Gegner hinter das Roſs zu setzen; man liest darum in den älteren Teilen des Nibelungenliedes nirgends einen solchen Fall, wohl aber, daſs die Schafttrümmer wie Spreu in die Luft flogen. Erst in dem jüngeren Teile, der XXVI. Aventiure, wird gelegentlich der Erzählung des Kampfes zwischen Gelpfrat und Hagen erwähnt, daſs letzterer hinter das Roſs gesetzt worden, ersterer vom Pferde gefallen sei. Dabei lesen wir die bemerkenswerten Verse: „Wer in die ros behielte, Daz ist mir vnbechant“. Wir sehen aus dieser Stelle, wie alt die Gepflogenheit ist, in den Turnieren eigene Leute zur Seite zu haben, deren Aufgabe es war, die Pferde aufzuhalten und den aus dem Sattel gehobenen Reitern behende beizuspringen, um die Wucht des Falles zu mäſsigen. Diese wichtige Hilfeleistung, mit der vom 15. Jahrhundert an eigene ge- schulte Leute, die „Grieswärtel“ betraut waren, wird gleichwohl in den Turnierbüchern gern verhehlt. Ohne sie wären die Gesteche und

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/537>, abgerufen am 22.11.2024.