Um 1460 führte der italienische leichte Reiter, später auch der französische ein spannelanges Rohr (scopitus), welches rückwärts in eine Stange auslief, die mit einem Ringe endete. Der Reiter trug diese Hand- oder Knallbüchse an einem Riemen um den Hals und legte sie zum Schusse auf eine Gabel auf, welche an dem vorderen Sattelbogen befestigt war. Diese Scopiti (davon das spätere Wort Escopette für kurze Reitergewehre) blieben in Frankreich mit allerlei Verbesserungen sehr lange in Verwendung, und aus ihnen ist das spätere Faustrohr entstanden. Von dem Gebrauche, sie an die Harnisch- brust anzusetzen, erhielten sie die Bezeichnung petrinal (von poitrine). Diese kleinen Reiterbüchsen wurden mit der Lunte abgefeuert (Fig. 522). Ein grosser Übelstand bei den ersten Feuerrohren war ungemein starker Rückprall; man versuchte daher diesen auf einen anderen festen Gegenstand zu übertragen und versah zu diesem Zwecke das Rohr an seiner Mündung unterhalb mit einem starken Ansatze (Haken), der beim Schusse an eine Mauer oder einen Pflock angelegt wurde. Von diesem Haken stammt ohne Zweifel die spätere Bezeichnung Hakenbüchse.*) Einen Gegenstand emsiger Sorge bildete die zur Handhabung des Rohres unentbehrliche Schäftung. Die ersten Feuerrohre besassen keinen Holz- schaft, sondern endeten rückwärts in einem stangenartigen Fortsatz (Schwanz). Später wurde an das Bodenstück ein spitzer Dorn an- geschweisst, welcher in ein längliches, prismatisches Holzstück (Kolben) eingelassen wurde. Erst gegen 1470 erhält das Rohr einen (ganzen) Schaft, in dessen Rinne es eingelagert erscheint. Bei diesen ersten ganzen Schäften waren der Kolben gerade gestaltet und das Rohr in der ausgehöhlten Rinne mit Stiften befestigt. Diese älteste Form ist das Vorbild des späteren deutschen Schaftes (Fig. 523). In Italien und Frankreich finden sich mannigfache andere Formen, namentlich in der Partie am Kolben; da erscheinen ringförmige Kolben, solche, welche hakenähnlich enden, um die Schulter daran zu stem- men (Fig. 524), endlich auch nach abwärts abgebogene. Alle diese Änderungen führen später zu bestimmten nationalen Schaftformen, die wir später erwähnen werden.
Bei der primitiven Abfeuerungsart aus freier Hand (Fig. 525) war ein Zielen nur sehr schwer möglich, da das Auge dem Schwamm oder der Lunte folgen musste; man sann demnach auf ein Mittel, die Zündung auf mechanischem Wege zu bewirken. Aus diesem Streben entwickeln sich bald nach 1420 die ersten Anfänge des Lunten- schlosses. Das älteste bestand aus einem zweiarmigen Hebel, an dessen vorderem Ende der Feuerschwamm in eine Spalte eingezwängt wurde. Ein Druck auf den unteren Hebelarm mit einem Finger
*) Und nicht von dem hakenförmigen Hahn am Luntenschlosse, denn die Bezeichnung "arcubusari" kommt schon weit vor Erfindung des Luntenschlosses, 1417, in den Komentarien des Fr. Carpezani, vor. Vergl. Gay, Glossaire, pag. 73.
D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen.
Um 1460 führte der italienische leichte Reiter, später auch der französische ein spannelanges Rohr (scopitus), welches rückwärts in eine Stange auslief, die mit einem Ringe endete. Der Reiter trug diese Hand- oder Knallbüchse an einem Riemen um den Hals und legte sie zum Schusse auf eine Gabel auf, welche an dem vorderen Sattelbogen befestigt war. Diese Scopiti (davon das spätere Wort Escopette für kurze Reitergewehre) blieben in Frankreich mit allerlei Verbesserungen sehr lange in Verwendung, und aus ihnen ist das spätere Faustrohr entstanden. Von dem Gebrauche, sie an die Harnisch- brust anzusetzen, erhielten sie die Bezeichnung petrinal (von poitrine). Diese kleinen Reiterbüchsen wurden mit der Lunte abgefeuert (Fig. 522). Ein groſser Übelstand bei den ersten Feuerrohren war ungemein starker Rückprall; man versuchte daher diesen auf einen anderen festen Gegenstand zu übertragen und versah zu diesem Zwecke das Rohr an seiner Mündung unterhalb mit einem starken Ansatze (Haken), der beim Schusse an eine Mauer oder einen Pflock angelegt wurde. Von diesem Haken stammt ohne Zweifel die spätere Bezeichnung Hakenbüchse.*) Einen Gegenstand emsiger Sorge bildete die zur Handhabung des Rohres unentbehrliche Schäftung. Die ersten Feuerrohre besaſsen keinen Holz- schaft, sondern endeten rückwärts in einem stangenartigen Fortsatz (Schwanz). Später wurde an das Bodenstück ein spitzer Dorn an- geschweiſst, welcher in ein längliches, prismatisches Holzstück (Kolben) eingelassen wurde. Erst gegen 1470 erhält das Rohr einen (ganzen) Schaft, in dessen Rinne es eingelagert erscheint. Bei diesen ersten ganzen Schäften waren der Kolben gerade gestaltet und das Rohr in der ausgehöhlten Rinne mit Stiften befestigt. Diese älteste Form ist das Vorbild des späteren deutschen Schaftes (Fig. 523). In Italien und Frankreich finden sich mannigfache andere Formen, namentlich in der Partie am Kolben; da erscheinen ringförmige Kolben, solche, welche hakenähnlich enden, um die Schulter daran zu stem- men (Fig. 524), endlich auch nach abwärts abgebogene. Alle diese Änderungen führen später zu bestimmten nationalen Schaftformen, die wir später erwähnen werden.
Bei der primitiven Abfeuerungsart aus freier Hand (Fig. 525) war ein Zielen nur sehr schwer möglich, da das Auge dem Schwamm oder der Lunte folgen muſste; man sann demnach auf ein Mittel, die Zündung auf mechanischem Wege zu bewirken. Aus diesem Streben entwickeln sich bald nach 1420 die ersten Anfänge des Lunten- schlosses. Das älteste bestand aus einem zweiarmigen Hebel, an dessen vorderem Ende der Feuerschwamm in eine Spalte eingezwängt wurde. Ein Druck auf den unteren Hebelarm mit einem Finger
*) Und nicht von dem hakenförmigen Hahn am Luntenschlosse, denn die Bezeichnung „arcubusari“ kommt schon weit vor Erfindung des Luntenschlosses, 1417, in den Komentarien des Fr. Carpezani, vor. Vergl. Gay, Glossaire, pag. 73.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0465"n="447"/><fwplace="top"type="header">D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen.</fw><lb/><p>Um 1460 führte der italienische leichte Reiter, später auch der<lb/>
französische ein spannelanges Rohr (scopitus), welches rückwärts in<lb/>
eine Stange auslief, die mit einem Ringe endete. Der Reiter trug<lb/>
diese <hirendition="#g">Hand-</hi> oder <hirendition="#g">Knallbüchse</hi> an einem Riemen um den Hals<lb/>
und legte sie zum Schusse auf eine Gabel auf, welche an dem vorderen<lb/>
Sattelbogen befestigt war. Diese Scopiti (davon das spätere Wort<lb/>
Escopette für kurze Reitergewehre) blieben in Frankreich mit allerlei<lb/>
Verbesserungen sehr lange in Verwendung, und aus ihnen ist das<lb/>
spätere Faustrohr entstanden. Von dem Gebrauche, sie an die Harnisch-<lb/>
brust anzusetzen, erhielten sie die Bezeichnung <hirendition="#g">petrinal</hi> (von poitrine).<lb/>
Diese kleinen Reiterbüchsen wurden mit der Lunte abgefeuert (Fig. 522).<lb/>
Ein groſser Übelstand bei den ersten Feuerrohren war ungemein<lb/>
starker Rückprall; man versuchte daher diesen auf einen anderen festen<lb/>
Gegenstand zu übertragen und versah zu diesem Zwecke das Rohr an<lb/>
seiner Mündung unterhalb mit einem starken Ansatze (Haken), der beim<lb/>
Schusse an eine Mauer oder einen Pflock angelegt wurde. Von diesem<lb/>
Haken stammt ohne Zweifel die spätere Bezeichnung Hakenbüchse.<noteplace="foot"n="*)">Und nicht von dem hakenförmigen Hahn am Luntenschlosse, denn die<lb/>
Bezeichnung „arcubusari“ kommt schon weit vor Erfindung des Luntenschlosses,<lb/>
1417, in den Komentarien des Fr. Carpezani, vor. Vergl. Gay, Glossaire, pag. 73.</note><lb/>
Einen Gegenstand emsiger Sorge bildete die zur Handhabung des Rohres<lb/>
unentbehrliche <hirendition="#g">Schäftung</hi>. Die ersten Feuerrohre besaſsen keinen Holz-<lb/>
schaft, sondern endeten rückwärts in einem stangenartigen Fortsatz<lb/>
(Schwanz). Später wurde an das Bodenstück ein spitzer Dorn an-<lb/>
geschweiſst, welcher in ein längliches, prismatisches Holzstück (Kolben)<lb/>
eingelassen wurde. Erst gegen 1470 erhält das Rohr einen (ganzen)<lb/>
Schaft, in dessen Rinne es eingelagert erscheint. Bei diesen<lb/>
ersten ganzen Schäften waren der Kolben gerade gestaltet und das<lb/>
Rohr in der ausgehöhlten Rinne mit Stiften befestigt. Diese älteste<lb/>
Form ist das Vorbild des späteren <hirendition="#g">deutschen Schaftes</hi> (Fig. 523).<lb/>
In Italien und Frankreich finden sich mannigfache andere Formen,<lb/>
namentlich in der Partie am Kolben; da erscheinen ringförmige Kolben,<lb/>
solche, welche hakenähnlich enden, um die Schulter daran zu stem-<lb/>
men (Fig. 524), endlich auch nach abwärts abgebogene. Alle diese<lb/>
Änderungen führen später zu bestimmten nationalen Schaftformen, die<lb/>
wir später erwähnen werden.</p><lb/><p>Bei der primitiven Abfeuerungsart aus freier Hand (Fig. 525)<lb/>
war ein Zielen nur sehr schwer möglich, da das Auge dem Schwamm<lb/>
oder der Lunte folgen muſste; man sann demnach auf ein Mittel, die<lb/>
Zündung auf mechanischem Wege zu bewirken. Aus diesem Streben<lb/>
entwickeln sich bald nach 1420 die ersten Anfänge des Lunten-<lb/>
schlosses. Das älteste bestand aus einem zweiarmigen Hebel, an<lb/>
dessen vorderem Ende der Feuerschwamm in eine Spalte eingezwängt<lb/>
wurde. Ein Druck auf den unteren Hebelarm mit einem Finger<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[447/0465]
D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen.
Um 1460 führte der italienische leichte Reiter, später auch der
französische ein spannelanges Rohr (scopitus), welches rückwärts in
eine Stange auslief, die mit einem Ringe endete. Der Reiter trug
diese Hand- oder Knallbüchse an einem Riemen um den Hals
und legte sie zum Schusse auf eine Gabel auf, welche an dem vorderen
Sattelbogen befestigt war. Diese Scopiti (davon das spätere Wort
Escopette für kurze Reitergewehre) blieben in Frankreich mit allerlei
Verbesserungen sehr lange in Verwendung, und aus ihnen ist das
spätere Faustrohr entstanden. Von dem Gebrauche, sie an die Harnisch-
brust anzusetzen, erhielten sie die Bezeichnung petrinal (von poitrine).
Diese kleinen Reiterbüchsen wurden mit der Lunte abgefeuert (Fig. 522).
Ein groſser Übelstand bei den ersten Feuerrohren war ungemein
starker Rückprall; man versuchte daher diesen auf einen anderen festen
Gegenstand zu übertragen und versah zu diesem Zwecke das Rohr an
seiner Mündung unterhalb mit einem starken Ansatze (Haken), der beim
Schusse an eine Mauer oder einen Pflock angelegt wurde. Von diesem
Haken stammt ohne Zweifel die spätere Bezeichnung Hakenbüchse. *)
Einen Gegenstand emsiger Sorge bildete die zur Handhabung des Rohres
unentbehrliche Schäftung. Die ersten Feuerrohre besaſsen keinen Holz-
schaft, sondern endeten rückwärts in einem stangenartigen Fortsatz
(Schwanz). Später wurde an das Bodenstück ein spitzer Dorn an-
geschweiſst, welcher in ein längliches, prismatisches Holzstück (Kolben)
eingelassen wurde. Erst gegen 1470 erhält das Rohr einen (ganzen)
Schaft, in dessen Rinne es eingelagert erscheint. Bei diesen
ersten ganzen Schäften waren der Kolben gerade gestaltet und das
Rohr in der ausgehöhlten Rinne mit Stiften befestigt. Diese älteste
Form ist das Vorbild des späteren deutschen Schaftes (Fig. 523).
In Italien und Frankreich finden sich mannigfache andere Formen,
namentlich in der Partie am Kolben; da erscheinen ringförmige Kolben,
solche, welche hakenähnlich enden, um die Schulter daran zu stem-
men (Fig. 524), endlich auch nach abwärts abgebogene. Alle diese
Änderungen führen später zu bestimmten nationalen Schaftformen, die
wir später erwähnen werden.
Bei der primitiven Abfeuerungsart aus freier Hand (Fig. 525)
war ein Zielen nur sehr schwer möglich, da das Auge dem Schwamm
oder der Lunte folgen muſste; man sann demnach auf ein Mittel, die
Zündung auf mechanischem Wege zu bewirken. Aus diesem Streben
entwickeln sich bald nach 1420 die ersten Anfänge des Lunten-
schlosses. Das älteste bestand aus einem zweiarmigen Hebel, an
dessen vorderem Ende der Feuerschwamm in eine Spalte eingezwängt
wurde. Ein Druck auf den unteren Hebelarm mit einem Finger
*) Und nicht von dem hakenförmigen Hahn am Luntenschlosse, denn die
Bezeichnung „arcubusari“ kommt schon weit vor Erfindung des Luntenschlosses,
1417, in den Komentarien des Fr. Carpezani, vor. Vergl. Gay, Glossaire, pag. 73.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/465>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.