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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
Spannen nicht hinderlich werde, wurde er nach der linken Seite ge-
dreht. (Fig. 486 c.)

Indem wir uns dahin wenden, die verschiedenen Spannvor-
richtungen möglichst unter Zugrundelegung von Beispielen an noch
vorhandenen Originalen zu beschreiben, bemerken wir, dass alle in
den Sammlungen noch bewahrten Armrüste einer Zeit entstammen,
in der die Schleuder- und Schnellwaffen durch die erhöhte Wirkung
der Feuerwaffen bereits in den Hintergrund gedrängt waren; die
ältesten Armrüste reichen nur bis in die Hälfte des 15. Jahrhunderts
hinan.

Bis ins 12. Jahrhundert spannten die Armrustschützen ihre Bogen
noch ohne mechanische Hilfsmittel mit den beiden Händen. Auf
diese Kraft musste die Stärke derselben eingerichtet werden. Dieser
einfachsten Art folgte im 14. Jahrhundert eine nur wenig kom-
pliziertere mittels des Spannhakens, (crochet); sie erhielt sich
bis an den Beginn des 15. Jahrhunderts. Dieser Spannhaken, am

[Abbildung] Fig. 487.

Spann-
haken
vom Ende
des 14. Jahrh. Ehe-
malige Sammlung zu
Pierrefonds. Nach
Viollet-le-Duc.

abgebogenen Ende in zwei Arme sich spaltend, war
an einem breiten, starken Riemen befestigt, welchen
der Schütze um die Lenden geschnallt trug, so dass
er vorne herabhing. Zum Spannen wurde die Arm-
rust verkehrt und mit der oberen Seite gegen den
Schützen gewendet auf den Boden gestellt, der
Schütze trat mit einem Fusse in den bügelförmigen
Ring, etrier, legte den Haken in die Sehne ein
und spannte diese in der Weise, dass er mit der
vollen Kraft seines Körpers sich aus der gebückten
Stellung aufrichtete, bis die Sehne in die Nuss ein-
klappte; dabei musste er den Abzugbügel nach vor-
wärts drücken, damit der Fortsatz in die Rast zu
liegen kam. Ein solcher Spannhaken hatte sich
noch in der ehemaligen Sammlung von Pierrefonds
erhalten und dürfte gegenwärtig im Musee d'Artil-
lerie zu Paris zu finden sein. (Fig. 487.)

Diese Art des Spannens war allerdings weit vorteilhafter, als
jene mit den blossen Händen. Der Schütze konnte von den Lenden
aus eine bedeutendere Last nach aufwärts ziehen. Damit konnte der
Bogen entsprechend stärker und kräftiger gemacht werden, was gleich-
bedeutend war mit dem Erreichen einer grösseren Tragfähigkeit.

Aber die stetig zunehmende Bedeutung der Fernwaffe drängte
nach fortwährender Vergrösserung ihrer Wirkung; man sah sich ge-
nötigt, die Bogen kräftiger zu machen, um ihre Spannkraft aufs höchste
auszunutzen; da reichte die Körperkraft allein zu ihrer Handhabung
nicht mehr hin, man musste daher mechanische Mittel zu Hilfe nehmen,
um die Kraft zu erhöhen.

Eines der ältesten dieser Mittel zum Spannen der Armrustbogen

II. Die Angriffswaffen.
Spannen nicht hinderlich werde, wurde er nach der linken Seite ge-
dreht. (Fig. 486 c.)

Indem wir uns dahin wenden, die verschiedenen Spannvor-
richtungen möglichst unter Zugrundelegung von Beispielen an noch
vorhandenen Originalen zu beschreiben, bemerken wir, daſs alle in
den Sammlungen noch bewahrten Armrüste einer Zeit entstammen,
in der die Schleuder- und Schnellwaffen durch die erhöhte Wirkung
der Feuerwaffen bereits in den Hintergrund gedrängt waren; die
ältesten Armrüste reichen nur bis in die Hälfte des 15. Jahrhunderts
hinan.

Bis ins 12. Jahrhundert spannten die Armrustschützen ihre Bogen
noch ohne mechanische Hilfsmittel mit den beiden Händen. Auf
diese Kraft muſste die Stärke derselben eingerichtet werden. Dieser
einfachsten Art folgte im 14. Jahrhundert eine nur wenig kom-
pliziertere mittels des Spannhakens, (crochet); sie erhielt sich
bis an den Beginn des 15. Jahrhunderts. Dieser Spannhaken, am

[Abbildung] Fig. 487.

Spann-
haken
vom Ende
des 14. Jahrh. Ehe-
malige Sammlung zu
Pierrefonds. Nach
Viollet-le-Duc.

abgebogenen Ende in zwei Arme sich spaltend, war
an einem breiten, starken Riemen befestigt, welchen
der Schütze um die Lenden geschnallt trug, so daſs
er vorne herabhing. Zum Spannen wurde die Arm-
rust verkehrt und mit der oberen Seite gegen den
Schützen gewendet auf den Boden gestellt, der
Schütze trat mit einem Fuſse in den bügelförmigen
Ring, étrier, legte den Haken in die Sehne ein
und spannte diese in der Weise, daſs er mit der
vollen Kraft seines Körpers sich aus der gebückten
Stellung aufrichtete, bis die Sehne in die Nuſs ein-
klappte; dabei muſste er den Abzugbügel nach vor-
wärts drücken, damit der Fortsatz in die Rast zu
liegen kam. Ein solcher Spannhaken hatte sich
noch in der ehemaligen Sammlung von Pierrefonds
erhalten und dürfte gegenwärtig im Musée d’Artil-
lerie zu Paris zu finden sein. (Fig. 487.)

Diese Art des Spannens war allerdings weit vorteilhafter, als
jene mit den bloſsen Händen. Der Schütze konnte von den Lenden
aus eine bedeutendere Last nach aufwärts ziehen. Damit konnte der
Bogen entsprechend stärker und kräftiger gemacht werden, was gleich-
bedeutend war mit dem Erreichen einer gröſseren Tragfähigkeit.

Aber die stetig zunehmende Bedeutung der Fernwaffe drängte
nach fortwährender Vergröſserung ihrer Wirkung; man sah sich ge-
nötigt, die Bogen kräftiger zu machen, um ihre Spannkraft aufs höchste
auszunutzen; da reichte die Körperkraft allein zu ihrer Handhabung
nicht mehr hin, man muſste daher mechanische Mittel zu Hilfe nehmen,
um die Kraft zu erhöhen.

Eines der ältesten dieser Mittel zum Spannen der Armrustbogen

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[410/0428] II. Die Angriffswaffen. Spannen nicht hinderlich werde, wurde er nach der linken Seite ge- dreht. (Fig. 486 c.) Indem wir uns dahin wenden, die verschiedenen Spannvor- richtungen möglichst unter Zugrundelegung von Beispielen an noch vorhandenen Originalen zu beschreiben, bemerken wir, daſs alle in den Sammlungen noch bewahrten Armrüste einer Zeit entstammen, in der die Schleuder- und Schnellwaffen durch die erhöhte Wirkung der Feuerwaffen bereits in den Hintergrund gedrängt waren; die ältesten Armrüste reichen nur bis in die Hälfte des 15. Jahrhunderts hinan. Bis ins 12. Jahrhundert spannten die Armrustschützen ihre Bogen noch ohne mechanische Hilfsmittel mit den beiden Händen. Auf diese Kraft muſste die Stärke derselben eingerichtet werden. Dieser einfachsten Art folgte im 14. Jahrhundert eine nur wenig kom- pliziertere mittels des Spannhakens, (crochet); sie erhielt sich bis an den Beginn des 15. Jahrhunderts. Dieser Spannhaken, am [Abbildung Fig. 487. Spann- haken vom Ende des 14. Jahrh. Ehe- malige Sammlung zu Pierrefonds. Nach Viollet-le-Duc.] abgebogenen Ende in zwei Arme sich spaltend, war an einem breiten, starken Riemen befestigt, welchen der Schütze um die Lenden geschnallt trug, so daſs er vorne herabhing. Zum Spannen wurde die Arm- rust verkehrt und mit der oberen Seite gegen den Schützen gewendet auf den Boden gestellt, der Schütze trat mit einem Fuſse in den bügelförmigen Ring, étrier, legte den Haken in die Sehne ein und spannte diese in der Weise, daſs er mit der vollen Kraft seines Körpers sich aus der gebückten Stellung aufrichtete, bis die Sehne in die Nuſs ein- klappte; dabei muſste er den Abzugbügel nach vor- wärts drücken, damit der Fortsatz in die Rast zu liegen kam. Ein solcher Spannhaken hatte sich noch in der ehemaligen Sammlung von Pierrefonds erhalten und dürfte gegenwärtig im Musée d’Artil- lerie zu Paris zu finden sein. (Fig. 487.) Diese Art des Spannens war allerdings weit vorteilhafter, als jene mit den bloſsen Händen. Der Schütze konnte von den Lenden aus eine bedeutendere Last nach aufwärts ziehen. Damit konnte der Bogen entsprechend stärker und kräftiger gemacht werden, was gleich- bedeutend war mit dem Erreichen einer gröſseren Tragfähigkeit. Aber die stetig zunehmende Bedeutung der Fernwaffe drängte nach fortwährender Vergröſserung ihrer Wirkung; man sah sich ge- nötigt, die Bogen kräftiger zu machen, um ihre Spannkraft aufs höchste auszunutzen; da reichte die Körperkraft allein zu ihrer Handhabung nicht mehr hin, man muſste daher mechanische Mittel zu Hilfe nehmen, um die Kraft zu erhöhen. Eines der ältesten dieser Mittel zum Spannen der Armrustbogen

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/428>, abgerufen am 22.11.2024.