Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die Angriffswaffen.
Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den
flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art
Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem
etwa 50 cm. langen Stiele bestehen, der ziemlich gewichtig sein
muss, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr
diese einfache und gewiss wirksame Waffe unter den Tüchtigsten
Ansehen genoss, ersehen wir in dem französischen Roman der Alis-
cans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held
Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und
mit seinem 15 Fuss langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen be-
kämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streit-
kolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript
des Tristan von ungefähr 1250.*)

Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fuss-

[Abbildung] Fig. 418.

Fussknecht in Haubert, Brünne und Waffenhemd
gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus
dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340.

[Abbildung] Fig. 419.

Streitkolben aus Bronze, unweit Tarnow aus der
Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski.

volkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungs-
kriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine
ausserordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den
Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der
Streitaxt war der Reiter im Stande, den Helm seines Gegners zu
zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, dass die Schwert-
klinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben
konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten

*) Dict. du mob. francais. Art. Masse.

II. Die Angriffswaffen.
Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den
flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art
Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem
etwa 50 cm. langen Stiele bestehen, der ziemlich gewichtig sein
muſs, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr
diese einfache und gewiſs wirksame Waffe unter den Tüchtigsten
Ansehen genoſs, ersehen wir in dem französischen Roman der Alis-
cans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held
Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und
mit seinem 15 Fuſs langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen be-
kämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streit-
kolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript
des Tristan von ungefähr 1250.*)

Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fuſs-

[Abbildung] Fig. 418.

Fuſsknecht in Haubert, Brünne und Waffenhemd
gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus
dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340.

[Abbildung] Fig. 419.

Streitkolben aus Bronze, unweit Tarnow aus der
Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski.

volkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungs-
kriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine
auſserordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den
Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der
Streitaxt war der Reiter im Stande, den Helm seines Gegners zu
zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, daſs die Schwert-
klinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben
konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten

*) Dict. du mob. français. Art. Masse.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0376" n="358"/><fw place="top" type="header">II. Die Angriffswaffen.</fw><lb/>
Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den<lb/>
flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art<lb/>
Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem<lb/>
etwa 50 cm. langen Stiele bestehen, der ziemlich gewichtig sein<lb/>
mu&#x017F;s, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr<lb/>
diese einfache und gewi&#x017F;s wirksame Waffe unter den Tüchtigsten<lb/>
Ansehen geno&#x017F;s, ersehen wir in dem französischen Roman der Alis-<lb/>
cans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held<lb/>
Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und<lb/>
mit seinem 15 Fu&#x017F;s langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen be-<lb/>
kämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streit-<lb/>
kolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript<lb/>
des Tristan von ungefähr 1250.<note place="foot" n="*)">Dict. du mob. français. Art. Masse.</note></p><lb/>
            <p>Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fu&#x017F;s-<lb/><figure><head><hi rendition="#g">Fig</hi>. 418.</head><p><hi rendition="#g">Fu&#x017F;sknecht</hi> in Haubert, Brünne und Waffenhemd<lb/>
gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus<lb/>
dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340.</p></figure><lb/><figure><head><hi rendition="#g">Fig</hi>. 419.</head><p><hi rendition="#g">Streitkolben</hi> aus Bronze, unweit Tarnow aus der<lb/>
Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski.</p></figure><lb/>
volkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungs-<lb/>
kriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine<lb/>
au&#x017F;serordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den<lb/>
Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der<lb/>
Streitaxt war der Reiter im Stande, den Helm seines Gegners zu<lb/>
zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, da&#x017F;s die Schwert-<lb/>
klinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben<lb/>
konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0376] II. Die Angriffswaffen. Tieres roh zugeschnitzt zu sein scheint. (Fig. 416.) Unter den flüchtenden Engländern aber erblicken wir Leute, welche eine Art Streitkolben führen, die aus einem rosettenartigen Kopf an einem etwa 50 cm. langen Stiele bestehen, der ziemlich gewichtig sein muſs, da sie ihn auf der Schulter tragen. (Fig. 417.) Wie sehr diese einfache und gewiſs wirksame Waffe unter den Tüchtigsten Ansehen genoſs, ersehen wir in dem französischen Roman der Alis- cans aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in welchem der Held Rainvars selbst ein Schwert, das ihm geboten wird, verschmäht und mit seinem 15 Fuſs langen Streitkolben (tinel) die Sarazenen be- kämpft. Die Abbildung eines mit einem einfachen rohen Streit- kolben bewehrten Kriegers bringt Viollet-le-Duc aus dem Manuskript des Tristan von ungefähr 1250. *) Der Streitkolben war weniger eine Waffe des gemeinen Fuſs- [Abbildung Fig. 418. Fuſsknecht in Haubert, Brünne und Waffenhemd gekleidet und mit Schild und Baculus bewaffnet. Randzeichnung aus dem Codex Balduini Treviensis von ca. 1340.] [Abbildung Fig. 419. Streitkolben aus Bronze, unweit Tarnow aus der Erde gegraben. 12. Jahrhundert. Sammlung Rogawski.] volkes als der Bauern, weshalb wir ihn auch in allen Empörungs- kriegen finden. In der Reiterei ist er vom 14. Jahrhundert an eine auſserordentlich verbreitete Waffe, die geradezu unentbehrlich für den Reiter erschien. Mit dem Streitkolben, dem Streithammer und der Streitaxt war der Reiter im Stande, den Helm seines Gegners zu zertrümmern oder den Haubert soweit zu trennen, daſs die Schwert- klinge einen Eingang finden konnte, ja, ein Schlag mit dem Kolben konnte den bestgeharnischten Arm entzweibrechen; davor schützten *) Dict. du mob. français. Art. Masse.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/376
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/376>, abgerufen am 22.11.2024.