Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.II. Die Angriffswaffen. einem ausgeführten Stosse die Spiessstange zurückprallte und demReisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben. Um dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ringe umgeben, der aus 4--5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln be- stand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine Umhüllung von weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein, dass der Rüsthaken knapp hinter dem Ringe sass. Beim Stosse drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein und bildeten mit dieser einen Körper. (Fig. 386 und 387.)*) Kommt der Reisspiess im 15. Jahrhundert häufiger ohne Brechscheibe vor, so finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen- und Fähnleinschäften. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, jener Epoche, in welcher In der deutschen und französischen Reiterei werden die Harnische *) Belleval, M. R., Du costume militaire des Francais en 1446. Noten 58
bis 63 nach zwei anonymen Manuskripten, das eine in der Bibliotheque nationale, das andere im Besitze Mr. Bellevals. Dem Verfasser, welchem diese Einrichtung zwar ganz entsprechend erscheint, ist nie ein Exemplar eines derartigen Ringes vor Augen gekommen; auch in der deutschen Litteratur der Zeit verlautet nichts dar- über. Es scheint demnach, dass dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und dass man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu verhindern trachtete. II. Die Angriffswaffen. einem ausgeführten Stoſse die Spieſsstange zurückprallte und demReisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben. Um dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ringe umgeben, der aus 4—5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln be- stand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine Umhüllung von weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein, daſs der Rüsthaken knapp hinter dem Ringe saſs. Beim Stoſse drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein und bildeten mit dieser einen Körper. (Fig. 386 und 387.)*) Kommt der Reisspieſs im 15. Jahrhundert häufiger ohne Brechscheibe vor, so finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen- und Fähnleinschäften. Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, jener Epoche, in welcher In der deutschen und französischen Reiterei werden die Harnische *) Belleval, M. R., Du costume militaire des Français en 1446. Noten 58
bis 63 nach zwei anonymen Manuskripten, das eine in der Bibliothèque nationale, das andere im Besitze Mr. Bellevals. Dem Verfasser, welchem diese Einrichtung zwar ganz entsprechend erscheint, ist nie ein Exemplar eines derartigen Ringes vor Augen gekommen; auch in der deutschen Litteratur der Zeit verlautet nichts dar- über. Es scheint demnach, daſs dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und daſs man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu verhindern trachtete. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0346" n="328"/><fw place="top" type="header">II. Die Angriffswaffen.</fw><lb/> einem ausgeführten Stoſse die Spieſsstange zurückprallte und dem<lb/> Reisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder<lb/> der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei<lb/> wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben. Um<lb/> dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ringe<lb/> umgeben, der aus 4—5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln be-<lb/> stand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine<lb/> Umhüllung von weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff<lb/> der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein,<lb/> daſs der Rüsthaken knapp hinter dem Ringe saſs. Beim Stoſse<lb/> drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein<lb/> und bildeten mit dieser einen Körper. (Fig. 386 und 387.)<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Belleval</hi>, M. R., Du costume militaire des Français en 1446. Noten 58<lb/> bis 63 nach zwei anonymen Manuskripten, das eine in der Bibliothèque nationale,<lb/> das andere im Besitze Mr. Bellevals. Dem Verfasser, welchem diese Einrichtung<lb/> zwar ganz entsprechend erscheint, ist nie ein Exemplar eines derartigen Ringes vor<lb/> Augen gekommen; auch in der deutschen Litteratur der Zeit verlautet nichts dar-<lb/> über. Es scheint demnach, daſs dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und<lb/> daſs man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu<lb/> verhindern trachtete.</note> Kommt<lb/> der Reisspieſs im 15. Jahrhundert häufiger ohne Brechscheibe vor, so<lb/> finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern<lb/> des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen-<lb/> und Fähnleinschäften.</p><lb/> <p>Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, jener Epoche, in welcher<lb/> die Erfahrungen in den Kriegen der Niederlande sich allenthalben<lb/> geltend machten, verlor der Reisspieſs mehr und mehr an Bedeutung.<lb/> Dazu kamen noch die Einflüsse der italienischen Kriegslehren, in-<lb/> sofern man in Italien von jeher eine schwere Ausrüstung des Reiters<lb/> und die darauf fuſsende Taktik als ungünstig ansah. Alle diese<lb/> Einwirkungen führten zu dem Bestreben, die Beweglichkeit der Reiterei<lb/> zu fördern. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden<lb/> die <hi rendition="#g">Arkebusiere</hi> oder reitenden Schützen, die <hi rendition="#g">Dragoner</hi> (Drachen),<lb/> die geeignet waren, ebenso zu Fuſs als zu Pferde zu fechten und<lb/> deshalb in den Heeren immer zahlreicher wurden, während die Kürisser,<lb/> welche noch den Reisspieſs führten, sich allmählich verminderten. Nun<lb/> erschienen auch die Kürassiere zu schwerfällig, und zur Förderung ihrer<lb/> Beweglichkeit entledigte man sie des schweren Reisspieſses. Damit kam<lb/> das Reiterschwert, der Haudegen, in der Reiterei wieder zu Ehren.<lb/> Nur bei den Ungarn und Polen, die nach den Traditionen des Orientes<lb/> wie im gesamten Leben auch in der Kriegskunst stets konservativ er-<lb/> scheinen, blieb die leichte orientalische Lanze unter der, fachlich<lb/> genommen, unrichtigen Bezeichnung Pike bis ins 18. Jahrhundert, bei<lb/> den Polen selbst bis zur Gegenwart eine beliebte Reiterwaffe.</p><lb/> <p>In der deutschen und französischen Reiterei werden die Harnische<lb/> von ca. 1580 an nicht mehr mit Rüsthaken ausgestattet. Nur einzelne<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [328/0346]
II. Die Angriffswaffen.
einem ausgeführten Stoſse die Spieſsstange zurückprallte und dem
Reisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder
der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei
wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben. Um
dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ringe
umgeben, der aus 4—5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln be-
stand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine
Umhüllung von weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff
der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein,
daſs der Rüsthaken knapp hinter dem Ringe saſs. Beim Stoſse
drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein
und bildeten mit dieser einen Körper. (Fig. 386 und 387.) *) Kommt
der Reisspieſs im 15. Jahrhundert häufiger ohne Brechscheibe vor, so
finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern
des 16. Jahrhunderts fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen-
und Fähnleinschäften.
Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, jener Epoche, in welcher
die Erfahrungen in den Kriegen der Niederlande sich allenthalben
geltend machten, verlor der Reisspieſs mehr und mehr an Bedeutung.
Dazu kamen noch die Einflüsse der italienischen Kriegslehren, in-
sofern man in Italien von jeher eine schwere Ausrüstung des Reiters
und die darauf fuſsende Taktik als ungünstig ansah. Alle diese
Einwirkungen führten zu dem Bestreben, die Beweglichkeit der Reiterei
zu fördern. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden
die Arkebusiere oder reitenden Schützen, die Dragoner (Drachen),
die geeignet waren, ebenso zu Fuſs als zu Pferde zu fechten und
deshalb in den Heeren immer zahlreicher wurden, während die Kürisser,
welche noch den Reisspieſs führten, sich allmählich verminderten. Nun
erschienen auch die Kürassiere zu schwerfällig, und zur Förderung ihrer
Beweglichkeit entledigte man sie des schweren Reisspieſses. Damit kam
das Reiterschwert, der Haudegen, in der Reiterei wieder zu Ehren.
Nur bei den Ungarn und Polen, die nach den Traditionen des Orientes
wie im gesamten Leben auch in der Kriegskunst stets konservativ er-
scheinen, blieb die leichte orientalische Lanze unter der, fachlich
genommen, unrichtigen Bezeichnung Pike bis ins 18. Jahrhundert, bei
den Polen selbst bis zur Gegenwart eine beliebte Reiterwaffe.
In der deutschen und französischen Reiterei werden die Harnische
von ca. 1580 an nicht mehr mit Rüsthaken ausgestattet. Nur einzelne
*) Belleval, M. R., Du costume militaire des Français en 1446. Noten 58
bis 63 nach zwei anonymen Manuskripten, das eine in der Bibliothèque nationale,
das andere im Besitze Mr. Bellevals. Dem Verfasser, welchem diese Einrichtung
zwar ganz entsprechend erscheint, ist nie ein Exemplar eines derartigen Ringes vor
Augen gekommen; auch in der deutschen Litteratur der Zeit verlautet nichts dar-
über. Es scheint demnach, daſs dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und
daſs man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu
verhindern trachtete.
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