Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch.
lung in Wien, zu welcher jener Rossharnisch gehört, der gegenwärtig
im Zeughause zu Berlin bewahrt wird.

Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten die Sättel für
den bürgerlichen Gebrauch, namentlich für ein prunkvolleres Auftreten
eine wesentlich geänderte Form. Die hohen Bögen verschwinden
allmählich und machen gepolsterten, reich mit Samt oder Seide über-
zogenen Kissen Platz, die Schenkelwülste entfallen ganz, der Sitz
wird flacher, das Sitzkissen erhält Verzierungen in Stepparbeit und
Auszierungen in Soutache. Der Sattel wird wieder erheblich kleiner,
ebenso die Satteldecke, welche jedoch immer noch der Gegenstand
einer reichen Auszierung bleibt. Die ersten Muster dieser Formen
gelangten aus Spanien nach Frankreich und Deutschland. Der Kriegs-
sattel aber behält in jener Zeit im wesentlichen die alte Form der
Kürisssättel, namentlich in der schweren Reiterei; nur verliert er, in-

[Abbildung] Fig. 223.

Steigbügel zu einem schweren Rosszeuge. Um 1510.

[Abbildung] Fig. 224.

Geschlossener Steigbügel von einem Prunksattel
aus der Zeit Kaiser Maximilians II.

folge der Ausbildung der Reitkunst, die Schenkelwülste. Leichte
Reiterei bedient sich aber schon spanischer Sättel.

In keinem Gegenstande der kriegerischen Ausrüstung macht sich
der Gegensatz der Anschauungen zwischen dem Orient und dem
Occident drastischer geltend, als in der Ausrüstung des Pferdes. Hatte
sich im Occident dem Naturell, der Taktik entsprechend die Pferde-
rüstung immer schwerfälliger herausgebildet, so sehen wir dieselbe im
Oriente leicht und dem Baue des Pferdes angemessener. Die Taktik
der Orientalen beruhte immer auf Beweglichkeit und Ausdauer, mehr
auf der moralischen Wirkung, als auf jener des physischen Anpralles.
Sage wie Geschichte belehren uns, dass der Araber im Kampfe sich
in der Regel nicht der Hengste, sondern der Stuten bediente. Die so

10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch.
lung in Wien, zu welcher jener Roſsharnisch gehört, der gegenwärtig
im Zeughause zu Berlin bewahrt wird.

Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten die Sättel für
den bürgerlichen Gebrauch, namentlich für ein prunkvolleres Auftreten
eine wesentlich geänderte Form. Die hohen Bögen verschwinden
allmählich und machen gepolsterten, reich mit Samt oder Seide über-
zogenen Kissen Platz, die Schenkelwülste entfallen ganz, der Sitz
wird flacher, das Sitzkissen erhält Verzierungen in Stepparbeit und
Auszierungen in Soutache. Der Sattel wird wieder erheblich kleiner,
ebenso die Satteldecke, welche jedoch immer noch der Gegenstand
einer reichen Auszierung bleibt. Die ersten Muster dieser Formen
gelangten aus Spanien nach Frankreich und Deutschland. Der Kriegs-
sattel aber behält in jener Zeit im wesentlichen die alte Form der
Küriſssättel, namentlich in der schweren Reiterei; nur verliert er, in-

[Abbildung] Fig. 223.

Steigbügel zu einem schweren Roſszeuge. Um 1510.

[Abbildung] Fig. 224.

Geschlossener Steigbügel von einem Prunksattel
aus der Zeit Kaiser Maximilians II.

folge der Ausbildung der Reitkunst, die Schenkelwülste. Leichte
Reiterei bedient sich aber schon spanischer Sättel.

In keinem Gegenstande der kriegerischen Ausrüstung macht sich
der Gegensatz der Anschauungen zwischen dem Orient und dem
Occident drastischer geltend, als in der Ausrüstung des Pferdes. Hatte
sich im Occident dem Naturell, der Taktik entsprechend die Pferde-
rüstung immer schwerfälliger herausgebildet, so sehen wir dieselbe im
Oriente leicht und dem Baue des Pferdes angemessener. Die Taktik
der Orientalen beruhte immer auf Beweglichkeit und Ausdauer, mehr
auf der moralischen Wirkung, als auf jener des physischen Anpralles.
Sage wie Geschichte belehren uns, daſs der Araber im Kampfe sich
in der Regel nicht der Hengste, sondern der Stuten bediente. Die so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="205"/><fw place="top" type="header">10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch.</fw><lb/>
lung in Wien, zu welcher jener Ro&#x017F;sharnisch gehört, der gegenwärtig<lb/>
im Zeughause zu Berlin bewahrt wird.</p><lb/>
          <p>Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten die Sättel für<lb/>
den bürgerlichen Gebrauch, namentlich für ein prunkvolleres Auftreten<lb/>
eine wesentlich geänderte Form. Die hohen Bögen verschwinden<lb/>
allmählich und machen gepolsterten, reich mit Samt oder Seide über-<lb/>
zogenen Kissen Platz, die Schenkelwülste entfallen ganz, der Sitz<lb/>
wird flacher, das Sitzkissen erhält Verzierungen in Stepparbeit und<lb/>
Auszierungen in Soutache. Der Sattel wird wieder erheblich kleiner,<lb/>
ebenso die Satteldecke, welche jedoch immer noch der Gegenstand<lb/>
einer reichen Auszierung bleibt. Die ersten Muster dieser Formen<lb/>
gelangten aus Spanien nach Frankreich und Deutschland. Der Kriegs-<lb/>
sattel aber behält in jener Zeit im wesentlichen die alte Form der<lb/>
Küri&#x017F;ssättel, namentlich in der schweren Reiterei; nur verliert er, in-<lb/><figure><head><hi rendition="#g">Fig</hi>. 223.</head><p><hi rendition="#g">Steigbügel</hi> zu einem schweren Ro&#x017F;szeuge. Um 1510.</p></figure><lb/><figure><head><hi rendition="#g">Fig</hi>. 224.</head><p><hi rendition="#g">Geschlossener Steigbügel</hi> von einem Prunksattel<lb/>
aus der Zeit Kaiser <hi rendition="#g">Maximilians</hi> II.</p></figure><lb/>
folge der Ausbildung der Reitkunst, die Schenkelwülste. Leichte<lb/>
Reiterei bedient sich aber schon spanischer Sättel.</p><lb/>
          <p>In keinem Gegenstande der kriegerischen Ausrüstung macht sich<lb/>
der Gegensatz der Anschauungen zwischen dem Orient und dem<lb/>
Occident drastischer geltend, als in der Ausrüstung des Pferdes. Hatte<lb/>
sich im Occident dem Naturell, der Taktik entsprechend die Pferde-<lb/>
rüstung immer schwerfälliger herausgebildet, so sehen wir dieselbe im<lb/>
Oriente leicht und dem Baue des Pferdes angemessener. Die Taktik<lb/>
der Orientalen beruhte immer auf Beweglichkeit und Ausdauer, mehr<lb/>
auf der moralischen Wirkung, als auf jener des physischen Anpralles.<lb/>
Sage wie Geschichte belehren uns, da&#x017F;s der Araber im Kampfe sich<lb/>
in der Regel nicht der Hengste, sondern der Stuten bediente. Die so<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0223] 10. Das Pferdezeug und der Pferdeharnisch. lung in Wien, zu welcher jener Roſsharnisch gehört, der gegenwärtig im Zeughause zu Berlin bewahrt wird. Etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten die Sättel für den bürgerlichen Gebrauch, namentlich für ein prunkvolleres Auftreten eine wesentlich geänderte Form. Die hohen Bögen verschwinden allmählich und machen gepolsterten, reich mit Samt oder Seide über- zogenen Kissen Platz, die Schenkelwülste entfallen ganz, der Sitz wird flacher, das Sitzkissen erhält Verzierungen in Stepparbeit und Auszierungen in Soutache. Der Sattel wird wieder erheblich kleiner, ebenso die Satteldecke, welche jedoch immer noch der Gegenstand einer reichen Auszierung bleibt. Die ersten Muster dieser Formen gelangten aus Spanien nach Frankreich und Deutschland. Der Kriegs- sattel aber behält in jener Zeit im wesentlichen die alte Form der Küriſssättel, namentlich in der schweren Reiterei; nur verliert er, in- [Abbildung Fig. 223. Steigbügel zu einem schweren Roſszeuge. Um 1510.] [Abbildung Fig. 224. Geschlossener Steigbügel von einem Prunksattel aus der Zeit Kaiser Maximilians II.] folge der Ausbildung der Reitkunst, die Schenkelwülste. Leichte Reiterei bedient sich aber schon spanischer Sättel. In keinem Gegenstande der kriegerischen Ausrüstung macht sich der Gegensatz der Anschauungen zwischen dem Orient und dem Occident drastischer geltend, als in der Ausrüstung des Pferdes. Hatte sich im Occident dem Naturell, der Taktik entsprechend die Pferde- rüstung immer schwerfälliger herausgebildet, so sehen wir dieselbe im Oriente leicht und dem Baue des Pferdes angemessener. Die Taktik der Orientalen beruhte immer auf Beweglichkeit und Ausdauer, mehr auf der moralischen Wirkung, als auf jener des physischen Anpralles. Sage wie Geschichte belehren uns, daſs der Araber im Kampfe sich in der Regel nicht der Hengste, sondern der Stuten bediente. Die so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/223
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/223>, abgerufen am 24.11.2024.