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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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I. Die Schutzwaffen.
schön geziertem Harnisch von blankem Eisen. Viel häufiger wird
eine reich gezierte Jacke mit kurzen faltigen Schösschen unter dem
Harnische getragen, wo dann die letzteren unter dem Rücken her-
vorstehen. Später, um 1570, trägt man auch nur die Schösschen
allein, die um den Leib geschnallt werden.

Am Beginne des 16. Jahrhunderts, der Periode der vollen Um-
bildung des gothischen Harnisches in die Form der Renaissance, be-
gegnen wir einer Hinneigung der deutschen Ritterschaft, bei festlichen
Anlässen, um würdevoll zu erscheinen, sich Harnische zu bedienen,
welche nur beim Turniere üblich waren. Es ist, als wollte die
Ritterschaft damit allenthalben ihre bevorzugte Stellung gegenüber
dem aufstrebenden Landsknechttume darlegen, was sie nicht deut-
licher bezeugen konnte, als durch den Hinweis auf ihre Turnier-
fähigkeit. Um diese Zeit wurden nun prächtig ausgestattete Kampf-
harnische mit langen Schurzen getragen, die nur bei Festlichkeiten
gebraucht wurden. Bei derlei Anlässen war aber das Erscheinen zu
Pferde meist bedingt; um nun in diesem Turnierharnisch zu Pferde
steigen zu können, wurden aus den Schurzen vorn und rückwärts
bogenförmige Blätter ausgeschnitten, die, wenn der Mann zu Fusse
erschien, wieder in die Ausschnitte mittelst Häkchen und Federzapfen
eingefügt wurden. Überhaupt erschien der Adlige bis etwa 1530
bei Festlichkeiten lieber in seinem Turnierharnisch für das Gestech,
als in einer Zusammenstellung für das Feld.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass auf die Formbildung
der ersten Harnische der Renaissanceperiode Maximilian I. einen
nicht unbedeutenden, wenn nicht einen entscheidenden Einfluss
geübt hatte. In mehreren Bestandteilen, wie in Brust und Rücken,
den Bauchreifen und Beintaschen, erscheint der Landsknechtharnisch
mit dem reisigen gleich gebildet, wie überhaupt auch späterhin die
Formen der Bruststücke beider sich ziemlich gleichartig weiterbilden.

Um 1500 erblicken wir plötzlich eine besondere Art von Har-
nischen, welche in der allgemeinen Form zwar mit den vorher be-
schriebenen gleich gebildet sind, aber an allen Teilen ihrer Oberfläche
mit Ausnahme der Beinröhren feine Kehlungen oder Riffelungen
besitzen. Diese geriffelten Harnische (französisch armure cannellee,
Maximilienne, italienisch armatura spigolata) nannten die älteren Archä-
ologen im Fache "Mailänder Harnische", eine auf keinerlei Beweise sich
stützende Bezeichnung, die umsoweniger stichhaltig ist, als sämtliche
noch vorhandenen derlei Harnische deutsches, meist Nürnberger
Fabrikat sind. (Fig. 164.) Sie treten gleichfalls so plötzlich vor
Augen, dass wir auch hier wieder in ihrer Einführung imperative
Impulse voraussetzen müssen. Alle Umstände treffen zusammen, sie
als eine Erfindung Maximilians I. anzusehen, der durch die feinen
Riffelungen eine Verstärkung des Harnisches zu erzielen gedachte,
ohne das Harnischblech verstärken zu müssen. Neuere Schriftsteller

I. Die Schutzwaffen.
schön geziertem Harnisch von blankem Eisen. Viel häufiger wird
eine reich gezierte Jacke mit kurzen faltigen Schöſschen unter dem
Harnische getragen, wo dann die letzteren unter dem Rücken her-
vorstehen. Später, um 1570, trägt man auch nur die Schöſschen
allein, die um den Leib geschnallt werden.

Am Beginne des 16. Jahrhunderts, der Periode der vollen Um-
bildung des gothischen Harnisches in die Form der Renaissance, be-
gegnen wir einer Hinneigung der deutschen Ritterschaft, bei festlichen
Anlässen, um würdevoll zu erscheinen, sich Harnische zu bedienen,
welche nur beim Turniere üblich waren. Es ist, als wollte die
Ritterschaft damit allenthalben ihre bevorzugte Stellung gegenüber
dem aufstrebenden Landsknechttume darlegen, was sie nicht deut-
licher bezeugen konnte, als durch den Hinweis auf ihre Turnier-
fähigkeit. Um diese Zeit wurden nun prächtig ausgestattete Kampf-
harnische mit langen Schurzen getragen, die nur bei Festlichkeiten
gebraucht wurden. Bei derlei Anlässen war aber das Erscheinen zu
Pferde meist bedingt; um nun in diesem Turnierharnisch zu Pferde
steigen zu können, wurden aus den Schurzen vorn und rückwärts
bogenförmige Blätter ausgeschnitten, die, wenn der Mann zu Fuſse
erschien, wieder in die Ausschnitte mittelst Häkchen und Federzapfen
eingefügt wurden. Überhaupt erschien der Adlige bis etwa 1530
bei Festlichkeiten lieber in seinem Turnierharnisch für das Gestech,
als in einer Zusammenstellung für das Feld.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daſs auf die Formbildung
der ersten Harnische der Renaissanceperiode Maximilian I. einen
nicht unbedeutenden, wenn nicht einen entscheidenden Einfluſs
geübt hatte. In mehreren Bestandteilen, wie in Brust und Rücken,
den Bauchreifen und Beintaschen, erscheint der Landsknechtharnisch
mit dem reisigen gleich gebildet, wie überhaupt auch späterhin die
Formen der Bruststücke beider sich ziemlich gleichartig weiterbilden.

Um 1500 erblicken wir plötzlich eine besondere Art von Har-
nischen, welche in der allgemeinen Form zwar mit den vorher be-
schriebenen gleich gebildet sind, aber an allen Teilen ihrer Oberfläche
mit Ausnahme der Beinröhren feine Kehlungen oder Riffelungen
besitzen. Diese geriffelten Harnische (französisch armure cannellée,
Maximilienne, italienisch armatura spigolata) nannten die älteren Archä-
ologen im Fache „Mailänder Harnische“, eine auf keinerlei Beweise sich
stützende Bezeichnung, die umsoweniger stichhaltig ist, als sämtliche
noch vorhandenen derlei Harnische deutsches, meist Nürnberger
Fabrikat sind. (Fig. 164.) Sie treten gleichfalls so plötzlich vor
Augen, daſs wir auch hier wieder in ihrer Einführung imperative
Impulse voraussetzen müssen. Alle Umstände treffen zusammen, sie
als eine Erfindung Maximilians I. anzusehen, der durch die feinen
Riffelungen eine Verstärkung des Harnisches zu erzielen gedachte,
ohne das Harnischblech verstärken zu müssen. Neuere Schriftsteller

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[152/0170] I. Die Schutzwaffen. schön geziertem Harnisch von blankem Eisen. Viel häufiger wird eine reich gezierte Jacke mit kurzen faltigen Schöſschen unter dem Harnische getragen, wo dann die letzteren unter dem Rücken her- vorstehen. Später, um 1570, trägt man auch nur die Schöſschen allein, die um den Leib geschnallt werden. Am Beginne des 16. Jahrhunderts, der Periode der vollen Um- bildung des gothischen Harnisches in die Form der Renaissance, be- gegnen wir einer Hinneigung der deutschen Ritterschaft, bei festlichen Anlässen, um würdevoll zu erscheinen, sich Harnische zu bedienen, welche nur beim Turniere üblich waren. Es ist, als wollte die Ritterschaft damit allenthalben ihre bevorzugte Stellung gegenüber dem aufstrebenden Landsknechttume darlegen, was sie nicht deut- licher bezeugen konnte, als durch den Hinweis auf ihre Turnier- fähigkeit. Um diese Zeit wurden nun prächtig ausgestattete Kampf- harnische mit langen Schurzen getragen, die nur bei Festlichkeiten gebraucht wurden. Bei derlei Anlässen war aber das Erscheinen zu Pferde meist bedingt; um nun in diesem Turnierharnisch zu Pferde steigen zu können, wurden aus den Schurzen vorn und rückwärts bogenförmige Blätter ausgeschnitten, die, wenn der Mann zu Fuſse erschien, wieder in die Ausschnitte mittelst Häkchen und Federzapfen eingefügt wurden. Überhaupt erschien der Adlige bis etwa 1530 bei Festlichkeiten lieber in seinem Turnierharnisch für das Gestech, als in einer Zusammenstellung für das Feld. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daſs auf die Formbildung der ersten Harnische der Renaissanceperiode Maximilian I. einen nicht unbedeutenden, wenn nicht einen entscheidenden Einfluſs geübt hatte. In mehreren Bestandteilen, wie in Brust und Rücken, den Bauchreifen und Beintaschen, erscheint der Landsknechtharnisch mit dem reisigen gleich gebildet, wie überhaupt auch späterhin die Formen der Bruststücke beider sich ziemlich gleichartig weiterbilden. Um 1500 erblicken wir plötzlich eine besondere Art von Har- nischen, welche in der allgemeinen Form zwar mit den vorher be- schriebenen gleich gebildet sind, aber an allen Teilen ihrer Oberfläche mit Ausnahme der Beinröhren feine Kehlungen oder Riffelungen besitzen. Diese geriffelten Harnische (französisch armure cannellée, Maximilienne, italienisch armatura spigolata) nannten die älteren Archä- ologen im Fache „Mailänder Harnische“, eine auf keinerlei Beweise sich stützende Bezeichnung, die umsoweniger stichhaltig ist, als sämtliche noch vorhandenen derlei Harnische deutsches, meist Nürnberger Fabrikat sind. (Fig. 164.) Sie treten gleichfalls so plötzlich vor Augen, daſs wir auch hier wieder in ihrer Einführung imperative Impulse voraussetzen müssen. Alle Umstände treffen zusammen, sie als eine Erfindung Maximilians I. anzusehen, der durch die feinen Riffelungen eine Verstärkung des Harnisches zu erzielen gedachte, ohne das Harnischblech verstärken zu müssen. Neuere Schriftsteller

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/170>, abgerufen am 26.11.2024.