sie kleideten sich nach Willkür, und die Verachtung jeder schweren Harnischausrüstung war bei ihnen zur Tradition geworden.
Gegen das Ende des 12. Jahrhunderts mit der Beendigung des 2. Kreuzzuges kommt der normanische Helm immer mehr in Ab- nahme,*) und nach einem merkbaren Herumtasten wird der deutsche Topfhelm allenthalben angenommen. Diese Veränderung steht in Verbindung mit der Veränderung der Taktik und geht nur Schritt für Schritt vor sich. In den westlichen Ländern Europas, in dem England Richard Löwenherz', dem Frankreich Philipp Augusts er- scheinen zuerst niedere cylindrische Helme, welche über der Brünne auf der Stirne aufsitzen. Statt des Naseneisens tritt zuerst das feste Visier mit Sehspalt oder den Augenlöchern auf. Der Haubert reicht bis ans Knie, unter selbem ist in der Regel das seidene oder leinene Wams (bliaud) sichtbar, das, wie wir an Siegeln ersehen, oft bis an die Füsse herabreicht. Charakteristisch für diese wie für die vergan- genen Perioden ist die enge an den Hals schliessende Brünne. Die Füsse stecken in Eisenhosen aus Panzerwerk oder mit Lederstreifen und Ringen verstärkt, die am Vorfusse spitz enden. Diese schwere Ausrüstung mit eiserner Epidermis wurde unter der heissen Sonne des Orientes unerträglich. Um das Erhitzen des Metalls nur etwas zu vermindern, trugen die Ritter im zweiten Kreuzzuge lange weisse Hemden über den Haubert. Diese waren ohne Ärmel und waren vom Unterrande bis in die Gegend des Sitzes an den Seiten aufge- schlitzt. Auch die Helme erhielten Decken aus weisser Leinwand. Über das Hemd, das bei den Franzosen "gambeson" hiess, wurde das Schwert gegürtet (Fig. 146). In den östlichen Ländern wurden cylindrische Helme selten, dafür aber halbkugelförmige und spitze ge- tragen. Um diese Periode von etwa 1170 an, also gerade in jenem Zeitpunkte, wo die Helme das Antlitz verdecken, beginnt man auf Schilde und Helme, später auch auf die Fahnen, Rossdecken, Sättel etc. gewisse Darstellungen als persönliche Erkennungszeichen zu malen; damit entwickelt sich die Heraldik im Ritterwesen, die ihre Anfänge allerdings, wie wir gesehen haben, schon 5 Jahrhunderte vorher gefunden hatte.
Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts schreitet die Reform in der kriegerischen Ausrüstung weiter, und ihre beste Stütze findet sie in den Fortschritten, welche das Handwerk überhaupt und damit auch
*) Der Übergang fand nicht plötzlich statt, das erklärt sich schon aus den Verhältnissen. Die Harnische und Waffen wurden von dem Vater auf den Sohn, den Enkel vererbt, und wurden von diesen teils aus Pietät, teils der nicht ge- ringen Kosten neuer Waffen wegen oft noch ein halbes Jahrhundert und später getragen, als schon längst die Kriegserfahrung andere Formen an die Stelle ge- setzt hatte. Nur die Vornehmsten und Wohlhabendsten vermochten mit der Ver- änderung des Waffenwesens gleichen Schritt zu halten, sie bildeten gewissermassen das Muster für die Geringeren.
I. Die Schutzwaffen.
sie kleideten sich nach Willkür, und die Verachtung jeder schweren Harnischausrüstung war bei ihnen zur Tradition geworden.
Gegen das Ende des 12. Jahrhunderts mit der Beendigung des 2. Kreuzzuges kommt der normanische Helm immer mehr in Ab- nahme,*) und nach einem merkbaren Herumtasten wird der deutsche Topfhelm allenthalben angenommen. Diese Veränderung steht in Verbindung mit der Veränderung der Taktik und geht nur Schritt für Schritt vor sich. In den westlichen Ländern Europas, in dem England Richard Löwenherz’, dem Frankreich Philipp Augusts er- scheinen zuerst niedere cylindrische Helme, welche über der Brünne auf der Stirne aufsitzen. Statt des Naseneisens tritt zuerst das feste Visier mit Sehspalt oder den Augenlöchern auf. Der Haubert reicht bis ans Knie, unter selbem ist in der Regel das seidene oder leinene Wams (bliaud) sichtbar, das, wie wir an Siegeln ersehen, oft bis an die Füſse herabreicht. Charakteristisch für diese wie für die vergan- genen Perioden ist die enge an den Hals schlieſsende Brünne. Die Füſse stecken in Eisenhosen aus Panzerwerk oder mit Lederstreifen und Ringen verstärkt, die am Vorfuſse spitz enden. Diese schwere Ausrüstung mit eiserner Epidermis wurde unter der heiſsen Sonne des Orientes unerträglich. Um das Erhitzen des Metalls nur etwas zu vermindern, trugen die Ritter im zweiten Kreuzzuge lange weiſse Hemden über den Haubert. Diese waren ohne Ärmel und waren vom Unterrande bis in die Gegend des Sitzes an den Seiten aufge- schlitzt. Auch die Helme erhielten Decken aus weiſser Leinwand. Über das Hemd, das bei den Franzosen „gambeson“ hieſs, wurde das Schwert gegürtet (Fig. 146). In den östlichen Ländern wurden cylindrische Helme selten, dafür aber halbkugelförmige und spitze ge- tragen. Um diese Periode von etwa 1170 an, also gerade in jenem Zeitpunkte, wo die Helme das Antlitz verdecken, beginnt man auf Schilde und Helme, später auch auf die Fahnen, Roſsdecken, Sättel etc. gewisse Darstellungen als persönliche Erkennungszeichen zu malen; damit entwickelt sich die Heraldik im Ritterwesen, die ihre Anfänge allerdings, wie wir gesehen haben, schon 5 Jahrhunderte vorher gefunden hatte.
Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts schreitet die Reform in der kriegerischen Ausrüstung weiter, und ihre beste Stütze findet sie in den Fortschritten, welche das Handwerk überhaupt und damit auch
*) Der Übergang fand nicht plötzlich statt, das erklärt sich schon aus den Verhältnissen. Die Harnische und Waffen wurden von dem Vater auf den Sohn, den Enkel vererbt, und wurden von diesen teils aus Pietät, teils der nicht ge- ringen Kosten neuer Waffen wegen oft noch ein halbes Jahrhundert und später getragen, als schon längst die Kriegserfahrung andere Formen an die Stelle ge- setzt hatte. Nur die Vornehmsten und Wohlhabendsten vermochten mit der Ver- änderung des Waffenwesens gleichen Schritt zu halten, sie bildeten gewissermaſsen das Muster für die Geringeren.
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I. Die Schutzwaffen.
sie kleideten sich nach Willkür, und die Verachtung jeder schweren
Harnischausrüstung war bei ihnen zur Tradition geworden.
Gegen das Ende des 12. Jahrhunderts mit der Beendigung des
2. Kreuzzuges kommt der normanische Helm immer mehr in Ab-
nahme, *) und nach einem merkbaren Herumtasten wird der deutsche
Topfhelm allenthalben angenommen. Diese Veränderung steht in
Verbindung mit der Veränderung der Taktik und geht nur Schritt
für Schritt vor sich. In den westlichen Ländern Europas, in dem
England Richard Löwenherz’, dem Frankreich Philipp Augusts er-
scheinen zuerst niedere cylindrische Helme, welche über der Brünne
auf der Stirne aufsitzen. Statt des Naseneisens tritt zuerst das feste
Visier mit Sehspalt oder den Augenlöchern auf. Der Haubert reicht
bis ans Knie, unter selbem ist in der Regel das seidene oder leinene
Wams (bliaud) sichtbar, das, wie wir an Siegeln ersehen, oft bis an
die Füſse herabreicht. Charakteristisch für diese wie für die vergan-
genen Perioden ist die enge an den Hals schlieſsende Brünne. Die
Füſse stecken in Eisenhosen aus Panzerwerk oder mit Lederstreifen
und Ringen verstärkt, die am Vorfuſse spitz enden. Diese schwere
Ausrüstung mit eiserner Epidermis wurde unter der heiſsen Sonne
des Orientes unerträglich. Um das Erhitzen des Metalls nur etwas
zu vermindern, trugen die Ritter im zweiten Kreuzzuge lange weiſse
Hemden über den Haubert. Diese waren ohne Ärmel und waren
vom Unterrande bis in die Gegend des Sitzes an den Seiten aufge-
schlitzt. Auch die Helme erhielten Decken aus weiſser Leinwand.
Über das Hemd, das bei den Franzosen „gambeson“ hieſs, wurde
das Schwert gegürtet (Fig. 146). In den östlichen Ländern wurden
cylindrische Helme selten, dafür aber halbkugelförmige und spitze ge-
tragen. Um diese Periode von etwa 1170 an, also gerade in jenem
Zeitpunkte, wo die Helme das Antlitz verdecken, beginnt man auf
Schilde und Helme, später auch auf die Fahnen, Roſsdecken, Sättel etc.
gewisse Darstellungen als persönliche Erkennungszeichen zu malen;
damit entwickelt sich die Heraldik im Ritterwesen, die ihre Anfänge
allerdings, wie wir gesehen haben, schon 5 Jahrhunderte vorher gefunden
hatte.
Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts schreitet die Reform in der
kriegerischen Ausrüstung weiter, und ihre beste Stütze findet sie in
den Fortschritten, welche das Handwerk überhaupt und damit auch
*) Der Übergang fand nicht plötzlich statt, das erklärt sich schon aus den
Verhältnissen. Die Harnische und Waffen wurden von dem Vater auf den Sohn,
den Enkel vererbt, und wurden von diesen teils aus Pietät, teils der nicht ge-
ringen Kosten neuer Waffen wegen oft noch ein halbes Jahrhundert und später
getragen, als schon längst die Kriegserfahrung andere Formen an die Stelle ge-
setzt hatte. Nur die Vornehmsten und Wohlhabendsten vermochten mit der Ver-
änderung des Waffenwesens gleichen Schritt zu halten, sie bildeten gewissermaſsen
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/152>, abgerufen am 24.11.2024.
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