Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Die Schutzwaffen.

Das gesamte Beinzeug am Plattenharnische kristallisierte sich
gewissermassen aus den Knieen heraus, denn wir sehen eine Deckung
des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als
im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem
Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfuss bedeckten
und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz
des errungenen Vorteiles, dass die der Verletzung am meisten aus-
gesetzten Kniee durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend ge-
schützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Kniees einen
breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der
Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten
Kniebuckel (genouillieres) treten schon am Beginne des 13. Jahrhunderts
auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmale
des Robert de Vere, Herzogs von Oxford, von 1221. Der
Haubert, damals noch bis zu den Knieen reichend, deckte die
Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen
veranlasst. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Kniees
erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen
und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um
1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen
Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge
der oberen Schenkelschienen, welche Dielinge oder Diechlinge
(cuissots) genannt werden. Nach dem Mass, als der Haubert kürzer
gemacht wurde, was schon am Beginne des 14. Jahrhunderts merkbar
wird, musste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden; so ersehen
wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen
Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äussere
Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Demungeachtet
versuchte man gegen 1360, die Oberschenkel in Röhren zu stecken,
eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der
alten Form zurück, versah aber die äussere Seite des Diechlings mit
einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde,
später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese Streifschienen ange-
nietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äusseren Seite führte
zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin aus-
zudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit
seiner äusseren Muschel, wie er im wesentlichen bis ins 17. Jahr-
hundert gleich geblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diech-
linge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf,
die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu
decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil
des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein
immer mehr umfassten. So entsteht am Anfange des 14. Jahrhunderts
die Beinröhre (greve), welche in steter Ausbildung bis ans Ende
des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns

I. Die Schutzwaffen.

Das gesamte Beinzeug am Plattenharnische kristallisierte sich
gewissermaſsen aus den Knieen heraus, denn wir sehen eine Deckung
des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als
im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem
Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfuſs bedeckten
und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz
des errungenen Vorteiles, daſs die der Verletzung am meisten aus-
gesetzten Kniee durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend ge-
schützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Kniees einen
breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der
Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten
Kniebuckel (genouillières) treten schon am Beginne des 13. Jahrhunderts
auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmale
des Robert de Vere, Herzogs von Oxford, von 1221. Der
Haubert, damals noch bis zu den Knieen reichend, deckte die
Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen
veranlaſst. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Kniees
erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen
und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um
1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen
Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge
der oberen Schenkelschienen, welche Dielinge oder Diechlinge
(cuissots) genannt werden. Nach dem Maſs, als der Haubert kürzer
gemacht wurde, was schon am Beginne des 14. Jahrhunderts merkbar
wird, muſste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden; so ersehen
wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen
Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äuſsere
Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Demungeachtet
versuchte man gegen 1360, die Oberschenkel in Röhren zu stecken,
eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der
alten Form zurück, versah aber die äuſsere Seite des Diechlings mit
einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde,
später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese Streifschienen ange-
nietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äuſseren Seite führte
zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin aus-
zudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit
seiner äuſseren Muschel, wie er im wesentlichen bis ins 17. Jahr-
hundert gleich geblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diech-
linge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf,
die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu
decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil
des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein
immer mehr umfaſsten. So entsteht am Anfange des 14. Jahrhunderts
die Beinröhre (grève), welche in steter Ausbildung bis ans Ende
des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0130" n="112"/>
          <fw place="top" type="header">I. Die Schutzwaffen.</fw><lb/>
          <p>Das gesamte Beinzeug am Plattenharnische kristallisierte sich<lb/>
gewisserma&#x017F;sen aus den Knieen heraus, denn wir sehen eine Deckung<lb/>
des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als<lb/>
im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem<lb/>
Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfu&#x017F;s bedeckten<lb/>
und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz<lb/>
des errungenen Vorteiles, da&#x017F;s die der Verletzung am meisten aus-<lb/>
gesetzten Kniee durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend ge-<lb/>
schützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Kniees einen<lb/>
breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der<lb/>
Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten<lb/>
Kniebuckel (genouillières) treten schon am Beginne des 13. Jahrhunderts<lb/>
auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmale<lb/>
des <hi rendition="#g">Robert de Vere</hi>, Herzogs von Oxford, von 1221. Der<lb/>
Haubert, damals noch bis zu den Knieen reichend, deckte die<lb/>
Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen<lb/>
veranla&#x017F;st. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Kniees<lb/>
erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen<lb/>
und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um<lb/>
1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen<lb/>
Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge<lb/>
der oberen Schenkelschienen, welche <hi rendition="#g">Dielinge</hi> oder <hi rendition="#g">Diechlinge</hi><lb/>
(cuissots) genannt werden. Nach dem Ma&#x017F;s, als der Haubert kürzer<lb/>
gemacht wurde, was schon am Beginne des 14. Jahrhunderts merkbar<lb/>
wird, mu&#x017F;ste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden; so ersehen<lb/>
wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen<lb/>
Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äu&#x017F;sere<lb/>
Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Demungeachtet<lb/>
versuchte man gegen 1360, die Oberschenkel in Röhren zu stecken,<lb/>
eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der<lb/>
alten Form zurück, versah aber die äu&#x017F;sere Seite des Diechlings mit<lb/>
einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde,<lb/>
später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese <hi rendition="#g">Streifschienen</hi> ange-<lb/>
nietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äu&#x017F;seren Seite führte<lb/>
zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin aus-<lb/>
zudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit<lb/>
seiner äu&#x017F;seren <hi rendition="#g">Muschel</hi>, wie er im wesentlichen bis ins 17. Jahr-<lb/>
hundert gleich geblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diech-<lb/>
linge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf,<lb/>
die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu<lb/>
decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil<lb/>
des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein<lb/>
immer mehr umfa&#x017F;sten. So entsteht am Anfange des 14. Jahrhunderts<lb/>
die <hi rendition="#g">Beinröhre</hi> (grève), welche in steter Ausbildung bis ans Ende<lb/>
des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0130] I. Die Schutzwaffen. Das gesamte Beinzeug am Plattenharnische kristallisierte sich gewissermaſsen aus den Knieen heraus, denn wir sehen eine Deckung des Beines durch Platten zuerst an den Kniepunkten auftreten. Als im Laufe des 12. Jahrhunderts die Beinkleider aus sogenanntem Panzerzeug in Aufnahme kamen, welche auch den Vorfuſs bedeckten und in welchen die Beine wie in Säcken steckten, fühlte man trotz des errungenen Vorteiles, daſs die der Verletzung am meisten aus- gesetzten Kniee durch den Ringpanzer noch nicht ausreichend ge- schützt waren. Man schnallte daher über die Partie des Kniees einen breiten Streifen aus starkem Leder, auf welchen gerade über der Kniescheibe eine kreisrunde Eisenplatte genäht wurde. Diese ersten Kniebuckel (genouillières) treten schon am Beginne des 13. Jahrhunderts auf, denn wir finden sie schon in guter Ausbildung am Grabmale des Robert de Vere, Herzogs von Oxford, von 1221. Der Haubert, damals noch bis zu den Knieen reichend, deckte die Oberschenkel anfangs leidlich, dennoch sah man sich zu Verbesserungen veranlaſst. Der breite Lederstreif, welcher das Beugen des Kniees erschwerte, fiel weg, die eisernen Kniebuckel wurden mittelst Riemen und Schnallen in der Kniebeuge befestigt (Fig. 120) und schon um 1270 fügte man zuweilen ein einfaches Geschübe an, welches einen Teil der Oberschenkel deckte. Dadurch bildeten sich die Anfänge der oberen Schenkelschienen, welche Dielinge oder Diechlinge (cuissots) genannt werden. Nach dem Maſs, als der Haubert kürzer gemacht wurde, was schon am Beginne des 14. Jahrhunderts merkbar wird, muſste der Schutz der Oberschenkel nötiger werden; so ersehen wir auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Diechlinge den ganzen Schenkel ausfüllend. Die ersten Diechlinge deckten nur die äuſsere Seite, da der innere Teil am Sattel zu liegen kam. Demungeachtet versuchte man gegen 1360, die Oberschenkel in Röhren zu stecken, eine Form, die sich unmöglich erhalten konnte. Man kehrte zu der alten Form zurück, versah aber die äuſsere Seite des Diechlings mit einer Längsschiene, die an ersterem mittelst Riemen befestigt wurde, später, bis ins 15. Jahrhundert, wurden diese Streifschienen ange- nietet. Die Sorge nach möglichstem Schutz der äuſseren Seite führte zunächst dahin, auch die Kniebuckel nach dieser Richtung hin aus- zudehnen. So entstand um 1390 der vollständige Kniebuckel mit seiner äuſseren Muschel, wie er im wesentlichen bis ins 17. Jahr- hundert gleich geblieben ist. Noch vor dem Entstehen der Diech- linge, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, tritt das Bedürfnis auf, die damals weit mehr gefährdeten Unterschenkel durch Platten zu decken. Anfänglich wurden schmale Schienen an den vorderen Teil des Beines geschnallt, die allgemach breiter wurden und das Bein immer mehr umfaſsten. So entsteht am Anfange des 14. Jahrhunderts die Beinröhre (grève), welche in steter Ausbildung bis ans Ende des 16. Jahrhunderts einen Harnischbestandteil darstellt, der für uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/130
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/130>, abgerufen am 27.11.2024.