Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

Bild:
<< vorherige Seite

Strukaras,
sen, er hielt sie von allen Büchern entfernt, in-
sonderheit verhütete er mit einer Art von Eifer-
sucht, daß ihr keine von den Schriften der Cri-
tik
oder der Satyre zu Gesichte käme. Mit ei-
nem Worte, er tractirte sie als eine Frau, die
zu nichts weiterm fähig wäre. Man sagt, daß
dieses sie nicht so sehr gekräncket habe, als daß
er so verstockt wider sein besseres Wissen han-
delte.

Dieses Begegniß war der Critik nicht verbor-
gen, sie wußte, daß mit seinem verderbten Ver-
stande nichts in Vergleichung käme, als sein
verderbter Wille. Darum besann sie sich eines
Mittels ihm das Gewissen zu rühren, damit er
aufhörete der Wahrheit zu widerstreben. Sei-
ne Bekehrung war ihr nicht um seiner Person
willen alleine angelegen, sondern um aller derer
unschuldigen willen, welche von seinen Groß-
sprechereyen verführt, Recepte für den Witz
und den Geschmack von ihm nahmen, womit sie
aber nur ihr gutes Naturell und ihre natürlichen
Empfindungen verderbeten. Sie verfügete sich
zu dem Schlaf in seine braunen Zimmer der
Nacht und des Schattens, und bat ihn, daß
er ihr den Phantasos, denjenigen von seinen
Träumen zugeben wollte, welcher die langver-
strichenen, die weit entfernten, die bloßmögli-
chen Dinge so lebhaft in die Phantasie schildern
konnte, daß sie gegenwärtig zu seyn schienen.
Auf dessen willfährige Einwilligung befahl sie
diesem Traume, daß er sich auf die Bettstätte
des Strukaras setzen, und drey Nächte nach

einan-

Strukaras,
ſen, er hielt ſie von allen Buͤchern entfernt, in-
ſonderheit verhuͤtete er mit einer Art von Eifer-
ſucht, daß ihr keine von den Schriften der Cri-
tik
oder der Satyre zu Geſichte kaͤme. Mit ei-
nem Worte, er tractirte ſie als eine Frau, die
zu nichts weiterm faͤhig waͤre. Man ſagt, daß
dieſes ſie nicht ſo ſehr gekraͤncket habe, als daß
er ſo verſtockt wider ſein beſſeres Wiſſen han-
delte.

Dieſes Begegniß war der Critik nicht verbor-
gen, ſie wußte, daß mit ſeinem verderbten Ver-
ſtande nichts in Vergleichung kaͤme, als ſein
verderbter Wille. Darum beſann ſie ſich eines
Mittels ihm das Gewiſſen zu ruͤhren, damit er
aufhoͤrete der Wahrheit zu widerſtreben. Sei-
ne Bekehrung war ihr nicht um ſeiner Perſon
willen alleine angelegen, ſondern um aller derer
unſchuldigen willen, welche von ſeinen Groß-
ſprechereyen verfuͤhrt, Recepte fuͤr den Witz
und den Geſchmack von ihm nahmen, womit ſie
aber nur ihr gutes Naturell und ihre natuͤrlichen
Empfindungen verderbeten. Sie verfuͤgete ſich
zu dem Schlaf in ſeine braunen Zimmer der
Nacht und des Schattens, und bat ihn, daß
er ihr den Phantaſos, denjenigen von ſeinen
Traͤumen zugeben wollte, welcher die langver-
ſtrichenen, die weit entfernten, die bloßmoͤgli-
chen Dinge ſo lebhaft in die Phantaſie ſchildern
konnte, daß ſie gegenwaͤrtig zu ſeyn ſchienen.
Auf deſſen willfaͤhrige Einwilligung befahl ſie
dieſem Traume, daß er ſich auf die Bettſtaͤtte
des Strukaras ſetzen, und drey Naͤchte nach

einan-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Strukaras,</hi></fw><lb/>
&#x017F;en, er hielt &#x017F;ie von allen Bu&#x0364;chern entfernt, in-<lb/>
&#x017F;onderheit verhu&#x0364;tete er mit einer Art von Eifer-<lb/>
&#x017F;ucht, daß ihr keine von den Schriften der <hi rendition="#fr">Cri-<lb/>
tik</hi> oder der <hi rendition="#fr">Satyre</hi> zu Ge&#x017F;ichte ka&#x0364;me. Mit ei-<lb/>
nem Worte, er tractirte &#x017F;ie als eine Frau, die<lb/>
zu nichts weiterm fa&#x0364;hig wa&#x0364;re. Man &#x017F;agt, daß<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;ie nicht &#x017F;o &#x017F;ehr gekra&#x0364;ncket habe, als daß<lb/>
er &#x017F;o ver&#x017F;tockt wider &#x017F;ein be&#x017F;&#x017F;eres Wi&#x017F;&#x017F;en han-<lb/>
delte.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es Begegniß war der <hi rendition="#fr">Critik</hi> nicht verbor-<lb/>
gen, &#x017F;ie wußte, daß mit &#x017F;einem verderbten Ver-<lb/>
&#x017F;tande nichts in Vergleichung ka&#x0364;me, als &#x017F;ein<lb/>
verderbter Wille. Darum be&#x017F;ann &#x017F;ie &#x017F;ich eines<lb/>
Mittels ihm das Gewi&#x017F;&#x017F;en zu ru&#x0364;hren, damit er<lb/>
aufho&#x0364;rete der Wahrheit zu wider&#x017F;treben. Sei-<lb/>
ne Bekehrung war ihr nicht um &#x017F;einer Per&#x017F;on<lb/>
willen alleine angelegen, &#x017F;ondern um aller derer<lb/>
un&#x017F;chuldigen willen, welche von &#x017F;einen Groß-<lb/>
&#x017F;prechereyen verfu&#x0364;hrt, Recepte fu&#x0364;r den Witz<lb/>
und den Ge&#x017F;chmack von ihm nahmen, womit &#x017F;ie<lb/>
aber nur ihr gutes Naturell und ihre natu&#x0364;rlichen<lb/>
Empfindungen verderbeten. Sie verfu&#x0364;gete &#x017F;ich<lb/>
zu dem Schlaf in &#x017F;eine braunen Zimmer der<lb/>
Nacht und des Schattens, und bat ihn, daß<lb/>
er ihr den <hi rendition="#fr">Phanta&#x017F;os,</hi> denjenigen von &#x017F;einen<lb/>
Tra&#x0364;umen zugeben wollte, welcher die langver-<lb/>
&#x017F;trichenen, die weit entfernten, die bloßmo&#x0364;gli-<lb/>
chen Dinge &#x017F;o lebhaft in die Phanta&#x017F;ie &#x017F;childern<lb/>
konnte, daß &#x017F;ie gegenwa&#x0364;rtig zu &#x017F;eyn &#x017F;chienen.<lb/>
Auf de&#x017F;&#x017F;en willfa&#x0364;hrige Einwilligung befahl &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;em Traume, daß er &#x017F;ich auf die Bett&#x017F;ta&#x0364;tte<lb/>
des Strukaras &#x017F;etzen, und drey Na&#x0364;chte nach<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einan-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0068] Strukaras, ſen, er hielt ſie von allen Buͤchern entfernt, in- ſonderheit verhuͤtete er mit einer Art von Eifer- ſucht, daß ihr keine von den Schriften der Cri- tik oder der Satyre zu Geſichte kaͤme. Mit ei- nem Worte, er tractirte ſie als eine Frau, die zu nichts weiterm faͤhig waͤre. Man ſagt, daß dieſes ſie nicht ſo ſehr gekraͤncket habe, als daß er ſo verſtockt wider ſein beſſeres Wiſſen han- delte. Dieſes Begegniß war der Critik nicht verbor- gen, ſie wußte, daß mit ſeinem verderbten Ver- ſtande nichts in Vergleichung kaͤme, als ſein verderbter Wille. Darum beſann ſie ſich eines Mittels ihm das Gewiſſen zu ruͤhren, damit er aufhoͤrete der Wahrheit zu widerſtreben. Sei- ne Bekehrung war ihr nicht um ſeiner Perſon willen alleine angelegen, ſondern um aller derer unſchuldigen willen, welche von ſeinen Groß- ſprechereyen verfuͤhrt, Recepte fuͤr den Witz und den Geſchmack von ihm nahmen, womit ſie aber nur ihr gutes Naturell und ihre natuͤrlichen Empfindungen verderbeten. Sie verfuͤgete ſich zu dem Schlaf in ſeine braunen Zimmer der Nacht und des Schattens, und bat ihn, daß er ihr den Phantaſos, denjenigen von ſeinen Traͤumen zugeben wollte, welcher die langver- ſtrichenen, die weit entfernten, die bloßmoͤgli- chen Dinge ſo lebhaft in die Phantaſie ſchildern konnte, daß ſie gegenwaͤrtig zu ſeyn ſchienen. Auf deſſen willfaͤhrige Einwilligung befahl ſie dieſem Traume, daß er ſich auf die Bettſtaͤtte des Strukaras ſetzen, und drey Naͤchte nach einan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/68
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/68>, abgerufen am 23.11.2024.