[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.Wie weit sich ein Poet Allegorischen Absichten, die ihnen von alten undneuen, heidnischen und christlichen Kunstrichtern zugeschrieben werden, schlechterdings unmöglich seyn. 3. Da Homer und Virgil ältere Geschich- ten zum Grund ihrer Gedichte genommen, so müß- te gezeiget werden, daß sie ohne Verletzung der Wahrscheinlichkeit, denselbigen Zeiten mehrere Er- leuchtung hätten zutheilen können und sollen, als sie nicht gehabt haben. Und endlich 4. stehet noch unerläutert, wie weit ein Poet, insbesondere ein epischer Dichter, der den Jrrthum des herrschen- den Aberglaubens seiner Zeiten in einigen Stücken einsiehet, geschickt sey, unter einem Haufen aber- gläubischer Götzendiener zugleich das Ansehen eines guten und glaubwürdigen Dichters und eines Ver- fechters einer gesunden Theologie zu behaupten; denn davon ist auf der 161. Seite der Breitinger- schen Dichtkunst die Frage; nicht aber wie J. A. K. die Worte hämischer Weise verkehret, als ob Hr. Breitinger so gar zu einer Pflicht der alten Poe- ten gemacht habe, der Theologie des Pöbels gemäß zu reden, über welchen besondern Glau- ben J. A. K. sich nicht genug verwundern kan. Aber dieser ungeschickte Schüler zeiget eben dadurch, daß er zwischen einer moralischen und einer phy- sicalischen Nothwendigkeit noch keinen Unterscheid zu machen wisse; Hr. Prof. Breitinger hat an dem angezogenen Orte den Homer in der Noth- wendigkeit betrachtet, in welcher er gestanden, sei- ne erleuchtetern Begriffe, wenn er je dergleichen gehabt, dem Vorsatz, das Ansehen eines epischen Dichters zu erwerben, aufzuopfern: Diese Noth- wen-
Wie weit ſich ein Poet Allegoriſchen Abſichten, die ihnen von alten undneuen, heidniſchen und chriſtlichen Kunſtrichtern zugeſchrieben werden, ſchlechterdings unmoͤglich ſeyn. 3. Da Homer und Virgil aͤltere Geſchich- ten zum Grund ihrer Gedichte genommen, ſo muͤß- te gezeiget werden, daß ſie ohne Verletzung der Wahrſcheinlichkeit, denſelbigen Zeiten mehrere Er- leuchtung haͤtten zutheilen koͤnnen und ſollen, als ſie nicht gehabt haben. Und endlich 4. ſtehet noch unerlaͤutert, wie weit ein Poet, insbeſondere ein epiſcher Dichter, der den Jrrthum des herrſchen- den Aberglaubens ſeiner Zeiten in einigen Stuͤcken einſiehet, geſchickt ſey, unter einem Haufen aber- glaͤubiſcher Goͤtzendiener zugleich das Anſehen eines guten und glaubwuͤrdigen Dichters und eines Ver- fechters einer geſunden Theologie zu behaupten; denn davon iſt auf der 161. Seite der Breitinger- ſchen Dichtkunſt die Frage; nicht aber wie J. A. K. die Worte haͤmiſcher Weiſe verkehret, als ob Hr. Breitinger ſo gar zu einer Pflicht der alten Poe- ten gemacht habe, der Theologie des Poͤbels gemaͤß zu reden, uͤber welchen beſondern Glau- ben J. A. K. ſich nicht genug verwundern kan. Aber dieſer ungeſchickte Schuͤler zeiget eben dadurch, daß er zwiſchen einer moraliſchen und einer phy- ſicaliſchen Nothwendigkeit noch keinen Unterſcheid zu machen wiſſe; Hr. Prof. Breitinger hat an dem angezogenen Orte den Homer in der Noth- wendigkeit betrachtet, in welcher er geſtanden, ſei- ne erleuchtetern Begriffe, wenn er je dergleichen gehabt, dem Vorſatz, das Anſehen eines epiſchen Dichters zu erwerben, aufzuopfern: Dieſe Noth- wen-
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Wie weit ſich ein Poet
Allegoriſchen Abſichten, die ihnen von alten und
neuen, heidniſchen und chriſtlichen Kunſtrichtern
zugeſchrieben werden, ſchlechterdings unmoͤglich
ſeyn. 3. Da Homer und Virgil aͤltere Geſchich-
ten zum Grund ihrer Gedichte genommen, ſo muͤß-
te gezeiget werden, daß ſie ohne Verletzung der
Wahrſcheinlichkeit, denſelbigen Zeiten mehrere Er-
leuchtung haͤtten zutheilen koͤnnen und ſollen, als
ſie nicht gehabt haben. Und endlich 4. ſtehet noch
unerlaͤutert, wie weit ein Poet, insbeſondere ein
epiſcher Dichter, der den Jrrthum des herrſchen-
den Aberglaubens ſeiner Zeiten in einigen Stuͤcken
einſiehet, geſchickt ſey, unter einem Haufen aber-
glaͤubiſcher Goͤtzendiener zugleich das Anſehen eines
guten und glaubwuͤrdigen Dichters und eines Ver-
fechters einer geſunden Theologie zu behaupten;
denn davon iſt auf der 161. Seite der Breitinger-
ſchen Dichtkunſt die Frage; nicht aber wie J. A. K.
die Worte haͤmiſcher Weiſe verkehret, als ob Hr.
Breitinger ſo gar zu einer Pflicht der alten Poe-
ten gemacht habe, der Theologie des Poͤbels
gemaͤß zu reden, uͤber welchen beſondern Glau-
ben J. A. K. ſich nicht genug verwundern kan.
Aber dieſer ungeſchickte Schuͤler zeiget eben dadurch,
daß er zwiſchen einer moraliſchen und einer phy-
ſicaliſchen Nothwendigkeit noch keinen Unterſcheid
zu machen wiſſe; Hr. Prof. Breitinger hat an
dem angezogenen Orte den Homer in der Noth-
wendigkeit betrachtet, in welcher er geſtanden, ſei-
ne erleuchtetern Begriffe, wenn er je dergleichen
gehabt, dem Vorſatz, das Anſehen eines epiſchen
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