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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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Arion
schäumenden Gaul ritzte, der den Peneus mit
Rennen überholt, mit klappenden Huffen den
schwindenden Grund erschüttert, und schnell
dem Aug entweicht.

Die Götter, welche auf den leichten Wol-
ken herum schweben, und mit stets wachendem
Auge die Thaten der Menschen beschauen, se-
hen sonst mit Vergnügen von den ewigen Mau-
ren des Himmels herunter, wenn Zephyr mit
heischholem Odem die Wellen kräuselt, wie et-
wann hier sich eine regelmässige Stadt an das
Meer gepflantzet hat, dort ein hoher Port die
ungeheure See einzudämmen suchet, und seinen
wütenden Wogen zu trotzen scheinet, oder wie
ein kühner Mast von einem Welttheile in den
andern hineilet. Jzo hatten sie den treulosen
Anschlag der Schiffer gehöret. Arions Klagen
hatten sie gerühret. Sie wollten nicht, daß er
der Boßheit aufgeopfert würde. Sie wollten
ihn unversehrt nach Corinth bringen, und dem
König seinem Freunde in die Arme liefern, be-
vor die Schiffsleute seine Verräther daselbst an
Bord kämen; damit diese Lasterhafte mit pein-
lichen Strafen gezüchtiget würden.

Nunmehr fuhr Arion schnell dem Lande zu.
Er empfand schon die gewohnte Luft, er sah
schon von weitem die spitzen Thürme, die über
Corinth herfür rageten, wie etwann eine schwan-
ke Aehre aus dem gelben Haufen ihr Haupt noch
einmahl höher als die andern empor recket, das
hohe Schloß, die abgetheilten Aecker, die brau-
nen Wälder, die der Berge Rücken umhülle-

ten,

Arion
ſchaͤumenden Gaul ritzte, der den Peneus mit
Rennen uͤberholt, mit klappenden Huffen den
ſchwindenden Grund erſchuͤttert, und ſchnell
dem Aug entweicht.

Die Goͤtter, welche auf den leichten Wol-
ken herum ſchweben, und mit ſtets wachendem
Auge die Thaten der Menſchen beſchauen, ſe-
hen ſonſt mit Vergnuͤgen von den ewigen Mau-
ren des Himmels herunter, wenn Zephyr mit
heiſchholem Odem die Wellen kraͤuſelt, wie et-
wann hier ſich eine regelmaͤſſige Stadt an das
Meer gepflantzet hat, dort ein hoher Port die
ungeheure See einzudaͤmmen ſuchet, und ſeinen
wuͤtenden Wogen zu trotzen ſcheinet, oder wie
ein kuͤhner Maſt von einem Welttheile in den
andern hineilet. Jzo hatten ſie den treuloſen
Anſchlag der Schiffer gehoͤret. Arions Klagen
hatten ſie geruͤhret. Sie wollten nicht, daß er
der Boßheit aufgeopfert wuͤrde. Sie wollten
ihn unverſehrt nach Corinth bringen, und dem
Koͤnig ſeinem Freunde in die Arme liefern, be-
vor die Schiffsleute ſeine Verraͤther daſelbſt an
Bord kaͤmen; damit dieſe Laſterhafte mit pein-
lichen Strafen gezuͤchtiget wuͤrden.

Nunmehr fuhr Arion ſchnell dem Lande zu.
Er empfand ſchon die gewohnte Luft, er ſah
ſchon von weitem die ſpitzen Thuͤrme, die uͤber
Corinth herfuͤr rageten, wie etwann eine ſchwan-
ke Aehre aus dem gelben Haufen ihr Haupt noch
einmahl hoͤher als die andern empor recket, das
hohe Schloß, die abgetheilten Aecker, die brau-
nen Waͤlder, die der Berge Ruͤcken umhuͤlle-

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[86/0088] Arion ſchaͤumenden Gaul ritzte, der den Peneus mit Rennen uͤberholt, mit klappenden Huffen den ſchwindenden Grund erſchuͤttert, und ſchnell dem Aug entweicht. Die Goͤtter, welche auf den leichten Wol- ken herum ſchweben, und mit ſtets wachendem Auge die Thaten der Menſchen beſchauen, ſe- hen ſonſt mit Vergnuͤgen von den ewigen Mau- ren des Himmels herunter, wenn Zephyr mit heiſchholem Odem die Wellen kraͤuſelt, wie et- wann hier ſich eine regelmaͤſſige Stadt an das Meer gepflantzet hat, dort ein hoher Port die ungeheure See einzudaͤmmen ſuchet, und ſeinen wuͤtenden Wogen zu trotzen ſcheinet, oder wie ein kuͤhner Maſt von einem Welttheile in den andern hineilet. Jzo hatten ſie den treuloſen Anſchlag der Schiffer gehoͤret. Arions Klagen hatten ſie geruͤhret. Sie wollten nicht, daß er der Boßheit aufgeopfert wuͤrde. Sie wollten ihn unverſehrt nach Corinth bringen, und dem Koͤnig ſeinem Freunde in die Arme liefern, be- vor die Schiffsleute ſeine Verraͤther daſelbſt an Bord kaͤmen; damit dieſe Laſterhafte mit pein- lichen Strafen gezuͤchtiget wuͤrden. Nunmehr fuhr Arion ſchnell dem Lande zu. Er empfand ſchon die gewohnte Luft, er ſah ſchon von weitem die ſpitzen Thuͤrme, die uͤber Corinth herfuͤr rageten, wie etwann eine ſchwan- ke Aehre aus dem gelben Haufen ihr Haupt noch einmahl hoͤher als die andern empor recket, das hohe Schloß, die abgetheilten Aecker, die brau- nen Waͤlder, die der Berge Ruͤcken umhuͤlle- ten,

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/88>, abgerufen am 25.11.2024.