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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Hrn. Vatry Gedancken
Ertz oder von Marmor wird bewundert, eine von
Wachs ist fürchterlich. Das Trauerspiel ahmet
nicht allein durch die Rede nach, sondern auch durch
die Töne und die Gebehrden. Die Musik und
der Tantz müssen in diesen beyden Stücken vorne
an stehen, und man kan sagen, daß das Trauer-
spiel ohne sie nicht vollkommen nachahme. - -

Jn Wahrheit, wenn man die Musik aus dem
Trauerspiel verbannen muß, damit es desto wahr-
scheinlicher werde, so sollte man ihm auch den Vers
nehmen, denn es ist nicht natürlicher, in der Heftig-
keit einer Leidenschaft in Versen zu reden, als zu
singen. Aus derselben Ursache wird man die Sta-
tuen mahlen müssen, weil der blosse Stein die Na-
tur nicht zum genauesten nachahmet, und die Far-
be des Fleisches, der Haare, und der Kleidung
nicht ausdrückt.

Lasset uns izo sehen, auf was vor eine Art die
Chöre dem Schauspiel Pracht und Pomp mit-
theilen. Man bilde sich einmahl vor, was vor ei-
ne Würckung diese grosse Anzahl Actores von ver-
schiedenem Geschlecht und Alter thun mußte, aus
welchen der Chor zusammen gesetzet war. Jhre
Täntze, ihre Gesänge, die Pracht ihrer Kleider,
mußten nothwendig die Pracht des Schauspieles
auf eine wunderbare Art erheben. Eines von den
besten Mitteln die Leute an sich zu ziehen, und sie
gleichsam zu bezaubern, sind jederzeit die Musik,
und die Ceremonien gewesen, und diese letztern ha-
ben ohne Zweifel die Alten unter dem allgemeinen
Nahmen der Täntze mit eingeschlossen.

Diese

Hrn. Vatry Gedancken
Ertz oder von Marmor wird bewundert, eine von
Wachs iſt fuͤrchterlich. Das Trauerſpiel ahmet
nicht allein durch die Rede nach, ſondern auch durch
die Toͤne und die Gebehrden. Die Muſik und
der Tantz muͤſſen in dieſen beyden Stuͤcken vorne
an ſtehen, und man kan ſagen, daß das Trauer-
ſpiel ohne ſie nicht vollkommen nachahme. ‒ ‒

Jn Wahrheit, wenn man die Muſik aus dem
Trauerſpiel verbannen muß, damit es deſto wahr-
ſcheinlicher werde, ſo ſollte man ihm auch den Vers
nehmen, denn es iſt nicht natuͤrlicher, in der Heftig-
keit einer Leidenſchaft in Verſen zu reden, als zu
ſingen. Aus derſelben Urſache wird man die Sta-
tuen mahlen muͤſſen, weil der bloſſe Stein die Na-
tur nicht zum genaueſten nachahmet, und die Far-
be des Fleiſches, der Haare, und der Kleidung
nicht ausdruͤckt.

Laſſet uns izo ſehen, auf was vor eine Art die
Choͤre dem Schauſpiel Pracht und Pomp mit-
theilen. Man bilde ſich einmahl vor, was vor ei-
ne Wuͤrckung dieſe groſſe Anzahl Actores von ver-
ſchiedenem Geſchlecht und Alter thun mußte, aus
welchen der Chor zuſammen geſetzet war. Jhre
Taͤntze, ihre Geſaͤnge, die Pracht ihrer Kleider,
mußten nothwendig die Pracht des Schauſpieles
auf eine wunderbare Art erheben. Eines von den
beſten Mitteln die Leute an ſich zu ziehen, und ſie
gleichſam zu bezaubern, ſind jederzeit die Muſik,
und die Ceremonien geweſen, und dieſe letztern ha-
ben ohne Zweifel die Alten unter dem allgemeinen
Nahmen der Taͤntze mit eingeſchloſſen.

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[90/0090] Hrn. Vatry Gedancken Ertz oder von Marmor wird bewundert, eine von Wachs iſt fuͤrchterlich. Das Trauerſpiel ahmet nicht allein durch die Rede nach, ſondern auch durch die Toͤne und die Gebehrden. Die Muſik und der Tantz muͤſſen in dieſen beyden Stuͤcken vorne an ſtehen, und man kan ſagen, daß das Trauer- ſpiel ohne ſie nicht vollkommen nachahme. ‒ ‒ Jn Wahrheit, wenn man die Muſik aus dem Trauerſpiel verbannen muß, damit es deſto wahr- ſcheinlicher werde, ſo ſollte man ihm auch den Vers nehmen, denn es iſt nicht natuͤrlicher, in der Heftig- keit einer Leidenſchaft in Verſen zu reden, als zu ſingen. Aus derſelben Urſache wird man die Sta- tuen mahlen muͤſſen, weil der bloſſe Stein die Na- tur nicht zum genaueſten nachahmet, und die Far- be des Fleiſches, der Haare, und der Kleidung nicht ausdruͤckt. Laſſet uns izo ſehen, auf was vor eine Art die Choͤre dem Schauſpiel Pracht und Pomp mit- theilen. Man bilde ſich einmahl vor, was vor ei- ne Wuͤrckung dieſe groſſe Anzahl Actores von ver- ſchiedenem Geſchlecht und Alter thun mußte, aus welchen der Chor zuſammen geſetzet war. Jhre Taͤntze, ihre Geſaͤnge, die Pracht ihrer Kleider, mußten nothwendig die Pracht des Schauſpieles auf eine wunderbare Art erheben. Eines von den beſten Mitteln die Leute an ſich zu ziehen, und ſie gleichſam zu bezaubern, ſind jederzeit die Muſik, und die Ceremonien geweſen, und dieſe letztern ha- ben ohne Zweifel die Alten unter dem allgemeinen Nahmen der Taͤntze mit eingeſchloſſen. Dieſe

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/90>, abgerufen am 22.11.2024.